Belgien auf Pause
18. März 2020Beim kleinen Supermarkt stehen wir jetzt Schlange. Nicht nur vor der Kasse, wie an normalen Tagen, sondern auch davor. Sobald ein Kunde rausgeht, darf der nächste rein - und muss sich an der Eingangstür noch einen dieser Einweg-Plastikhandschuhe aus einer Box nehmen, die man bisher nur aus dem Krankenhaus kannte.
In Belgien herrscht ab diesem Mittwoch zwölf Uhr Ausnahmezustand. Die Bars und Restaurants sind zwar schon seit einigen Tagen geschlossen, die Schulen auch. Doch am Dienstagabend hat der belgische Nationale Sicherheitsrat nun eine Ausgangssperre verkündet - und folgt damit dem Beispiel von Ländern wie Italien, Spanien, Frankreich und Österreich.
Blumen-Hamsterkauf
Im Brüsseler Viertel St. Gilles sammeln sich kurz vor zwölf Uhr ein paar Menschen vor einem Blumenladen. Drinnen ist selbst für zwei Leute kaum Platz, um die eineinhalb Meter Abstand einzuhalten, die man ab jetzt respektieren soll. Draußen beäugt man sich zuerst etwas misstrauisch - das Virus kann schließlich überall lauern - kommt dann ins Gespräch. Eine Frau erzählt ein bisschen aus ihrem Leben und sagt, sie wolle noch möglichst viele Pflanzen kaufen, damit die Ladenbesitzerin ein bisschen Geld einnimmt, bevor sie ab Mittag erst einmal schließen muss.
Läden, die nicht als "unverzichtbar" gelten, machen also vorerst dicht in ganz Belgien. Supermärkte bleiben offen, genauso wie Banken, Postfilialen, Tankstellen, Apotheken, Ärzte natürlich und einige Frittenbuden. Was auch nicht verboten ist: Busse und Trams zu nutzen und "sich physisch zu betätigen". Seine Runden im Park darf man allerdings nur alleine drehen oder mit höchstens einer anderen Person: einem Familienmitglied oder Freund.
Am besten aber, so lautet die Ansage: zu Hause bleiben. Auch zum Arbeiten. Versammlungen sind verboten. Wer, trotz Home Office, gut frisiert bleiben will, darf weiterhin zum Frisör, aber nur, wenn er oder sie die einzige Kundschaft im Raum ist.
Ein Platz ohne Selfie-Sticks
Das Leben in Belgien wird - wie auch in so vielen anderen Ländern Europas - ein anderes werden. Auch wenn die belgische Premierministerin Sophie Wilmès die aktuelle Lage nicht als "Lockdown" bezeichnen will. Die Sonne scheint an diesem Mittwoch über Brüssel, als wolle sie höchstpersönlich den Frühling einläuten. Einige Menschen sind unterwegs, ein paar mit Maske, viele mit vollgepackten Taschen oder kleinen Wägelchen, vermutlich mit Einkäufen, die sie hinter sich herziehen.
Das touristische Herz der belgischen Hauptstadt, der Grand-Place, ist um einiges leerer als sonst, wenn sich hier Menschen aus allen Nationen drängen, mit sahnebehäuften Waffeln in der einen Hand, dem Selfie-Stick in der anderen.
Brüssel, Hauptstadt Europas, in Wartestellung
Gut zwei Kilometer weiter östlich, im EU-Viertel, streifen nur noch einige Menschen durch die Straßen. In den Gebäuden der EU-Institutionen dürfte es ähnlich aussehen. Viele der Mitarbeiter arbeiten inzwischen von zu Hause aus, Termine wurden entweder abgesagt oder zu Videokonferenzen umgewandelt. Auch die EU-Top-Riege kommuniziert über Video-Calls, genauso wie die Staats- und Regierungschefs der EU, etwa beim Corona-Gipfel am Dienstagabend.
Ein Zustand, der sich so bald nicht ändern wird - und der die EU-Politik massiv verändert. Da Videokonferenzen als informelle Treffen gelten, dürfen dort bisher keine Beschlüsse gefasst werden. Ganz abgesehen von persönlichen Gesprächen, die oft am Rande stattfinden und die jetzt natürlich wegfallen.
Die belgische Ausgangssperre gilt bis zum 5. April. Vorerst. Dann will der Nationale Sicherheitsrat die Lage neu bewerten. Keine einfache Situation für Menschen in Belgien. Doch eine Sache hat ihnen das Coronavirus gebracht: eine neue Regierung. Seit dem Bruch der damaligen Koalition im Herbst 2018 hatten sich die Parteien auf keine neue regierungsfähige Koalition einigen können. Angesichts der Krise erklärten sich Anfang der Woche mehrere der Oppositionsparteien bereit, die Minderheitsregierung von Ministerpräsidentin Sophie Wilmès vorübergehend zu stützen.