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Begegnungen: Georg Martin Oswald in Indien

Priya Esselborn6. Oktober 2006

Er ist Anwalt. Und er ist Schriftsteller. Für Georg Martin Oswald kein Widerspruch. Außerdem sammelt er gerne ganz neue Eindrücke - wie in diesem Sommer in der südindischen High-Tech-Metropole Bangalore.

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Der Jurist und Schriftsteller Georg Martin Oswald
Georg Martin Oswald (43), Jurist und Autor aus MünchenBild: DW

"Was wusste ich von Bangalore? Dass es eine Boomtown ist, dass dort die Computerindustrie Indiens ansässig ist oder zumindest ein großer Teil davon, dass große deutsche Firmen wie Bosch oder Siemens da schon länger sind. Und über Indien? Mein Gott, das was man über die Medien so erfährt. Ich hatte nie ein spezifisches oder besonderes Interesse für Indien, auch kein besonderes Desinteresse. Aber ich habe so den Eindruck, dass, wenn man als Deutscher oder als Europäer über Indien spricht, dann tut man es aus der Perspektive des Indologen oder des Spezialisten."

Doch wie sollte sich Georg M. Oswald Indien erschließen, wie die oftmals verwirrenden Eindrücke verarbeiten? Der Autor entschloss sich bewusst, eine ganz bestimmte Gegenposition einzunehmen:

"Nämlich die Position des weltoffenen Ignoranten, der keine Ahnung hat, aber trotzdem dort hin geht und versucht, so offen wie möglich zu sein, für alles was ihm dort begegnet, und möglichst wenig diesen Klischees zu überlassen, die man über Indien im Kopf hat. Denn die sind ja nun reichlich bekannt. Aber mein Interesse war eher, einen möglichst unvoreingenommenen Blick auf das Ganze zu werfen, soweit das eben möglich ist."

Vertraut und fremd

Und doch begegnen Oswald die Klischees immer wieder. Die Kühe, die sich seelenruhig mitten auf der Straße niederlassen, sich von Abfällen und manchmal auch von Plastiktüten ernähren. Die oft penetranten Bettler und Händler, die erschreckenden Unterschiede zwischen arm und reich. Indien kann bunt, fast grell und doch wieder trist sein. Vertraut und fremd zugleich. Oswald will all dies mit eigenen Augen sehen, um dann die Klischees über Indien ganz aus seinem Kopf zu verbannen. Der Deutsche fällt auf in Indien, nicht nur durch die blonden Haare. Mit einer Länge von 1,80m gilt er als außergewöhnlich groß:

"Mir ist es zum ersten Mal in meinem Leben so gegangen, dass ich das Gefühl hatte, ich bin groß. Dementsprechend ist auch die Reaktion auf einen, also eher vorsichtig. Dann sticht man natürlich durch die Art sich zu bewegen, sich zu kleiden aus dem Straßenbild heraus. Man hatte mir auch gesagt, dass man an vielen Orten in Indien, wo selten Ausländer hinkommen, angestarrt wird. Das Gefühl hatte ich nicht. Und trotzdem erweckt man eine gewisse Neugierde oder Belustigung."

Blüten und Gottheiten

Oswald genießt den direkten Kontakt mit den Menschen, die er als offen und freundlich erlebt. Viele sprechen Englisch. Wenn nicht, wird einfach gescherzt. Nun sitzt Oswald tausende von Kilometern entfernt in seiner Kanzlei unweit des Hofbräuhauses im Herzen von München. Von draußen hört man ab und an Regentropfen. Der Autor erinnert sich gerne an die vielen kleinen Geschichten, die sich überall und unvermittelt in der 7-Millionen-Stadt entwickelten: bei den Fahrten mit der Auto-Rikscha, beim traditionell auf Bananenblättern servierten Essen, das er mit den Fingern aß oder beim Besuch einer riesigen Markthalle, in der ausschließlich Blumen, Stoffe und Farben verkauft wurden:

"Das waren tausende von Blütenarten, die dort verkauft wurden. Ich hab verstanden, dass verschiedene Blüten für verschiedene Riten wichtig sind, natürlich auch für verschiedene Gottesdienste gegenüber verschiedenen Gottheiten und mir ist da eben auch zum ersten Mal klar geworden, dass nicht alle Hindus alle Gottheiten anbeten, sondern natürlich die unterschiedlichsten. Und dass damit auch wieder soziale und auch religiöse Unterschiede verbunden sind."

Hinduismus - ein fröhlicher Flickenteppich

Für den katholisch erzogenen Oswald sind die religiösen Aspekte im Leben der Inder überraschenderweise das Spannendste. Denn er selbst hat die pseudo-religiösen Modeströmungen, die spirituelle Suche im Europa der 70er und 80er Jahre immer mit Skepsis betrachtet. Der Hinduismus war für Oswald ein bunter fröhlicher Flickenteppich, nun nimmt er ihn als ein sehr differenziertes kulturelles Phänomen wahr. Sein Stadtführer und Begleiter, der Arzt Dayaprasad Kulkarni, hat ihn ebenso wie dessen Familie tief beeindruckt. Ihr harmonisches Leben im Einklang mit ihrem Glauben fasziniert ihn - ein krasser Gegensatz zum eher schmerzhaften Verhältnis zur eigenen Religion in Europa. Oft scheint es Oswald, dass man sich viel näher ist, als er es jemals erwartet hatte. Dies wurde auch bei einem Treffen mit indischen Autoren deutlich:

"Es ist dann eben doch so, dass man selbst wenn man als Deutscher nach Indien fährt, dort feststellt, dass es bestimmte Autoren gibt, auf die man sich einigen kann. Dass auch die Themen, über die man denkt, dass es notwendig wäre, zu schreiben kennt und dass man sich auf dieser Ebene sehr professionell und sehr gut austauschen kann. Gegenüber dem Publikum: Es ist einfach so, dass es eine wahnsinnig reiche Literatur gibt oder reiche Literaturen in all diesen Sprachen. Deshalb beäugt man einen Schriftsteller, der aus Deutschland kommt, nicht mit maßloser Verwunderung. Im Gegenteil: Mein Eindruck war sowieso, dass in Indien Schauspieler die viel größeren Helden sind als Schriftsteller oder wer auch immer.“

Trennungsschmerz und Bewusstseinserweiterung

Nur eine Sache hat Oswald entsetzt: die vielerorts unverhohlene Bewunderung für Adolf Hitler. Er versuchte sich dies durch die völlig andere Perspektive und die Distanz zu Deutschland zu erklären, durch das fehlende Bewusstsein dafür, was der Zweite Weltkrieg und der Holocaust angerichtet haben.

Was Oswald in sein nächstes Werk von seinem Indienaufenthalt einfließen lassen will, hat er für sich selbst noch nicht entschieden. Tatsache ist aber, dass er nach drei Wochen in Bangalore so etwas wie Trennungsschmerz empfand. Indien, so Oswald, könne man nie objektiv erfassen. Für ihn sei es eine unglaubliche Bewusstseinserweiterung gewesen.