Begegnungen: Antje Strubel in den USA
2. September 2006Für mich war die Stadt nie so'n Paradies mit Illusionen - ich hab mir irgendwie theoretisch überlegt, wo mein erster Roman spielen soll, es war so 'ne Mischung aus Größenwahn und Naivität, das heißt, meine Vorstellung war viel weniger konkret und viel weniger aufgeladen, sondern natürlich angelesen. Ich wusste relativ wenig, ich wusste allerdings, was die Stadt bedeutet und womit sie in der Literatur aufgeladen wird.
Und natürlich hatte sie jede Menge Filmbilder und ein Stück vom Mythos Amerika im Kopf, als sie damals, mit zweiundzwanzig Jahren, das erste Mal in New York ankam.
Ich erinnere mich, dass ich relativ entsetzt war über diese Fassadenhaftigkeit, also fast so Potemkinsche Dörfer, wie diese Stadt gewirkt hat, also vorne hat man sozusagen diese Hochglanzfassade, und sobald man in diese Seitenstraßen geht, ist es verfallen oder es ist total abgewrackt, selbst die Broadway-Theater sehen vorne ganz nett aus, aber drinnen sind sie ganz eng und klein, und die Seiteneingänge, nicht mal die Hintereingänge, sehen aus wie die letzten Schuppen (lacht) - also, das hat mich etwas überrascht.
"Irgendwie geht alles"
In den Theatern von New York war sie viel unterwegs. Sie arbeitete - ähnlich wie die Protagonistin ihres Romans "Offene Blende" - als Beleuchterin an einer Off-Bühne, für 15 Dollar pro Vorstellung. Proben wurden nicht mitbezahlt. Das Geld reichte gerade für die U-Bahn-Tickets.
Je mehr ich da ein bisschen hinter die Kulissen geguckt hab, desto stärker ist einem dieses GELD-Thema aufgefallen, also es ging permanent um die Jagd nach diesen Dollars, und der Dollar wird plötzlich so vordergründig und so wichtig, ein Beispiel sind dafür auch die Discos, diese Go-Go-Dancer (lacht) - ist ja schon irgendwie pervers, die sind ja am Ende sozusagen nur noch in Geld gekleidet, und es ist ja ein perfektes Zeichen, wie alles nur mit dieser Dollarnote überklebt ist.
Finanziert hat Antje Strubel ihre New Yorker Zeit durch ein Stipendium für ihren ersten Roman. Acht Monate lang hat das Geld gereicht. Das ist bei der Hauptfigur ihres Romans anders: Ihr gelingt es, ein Theater zu betreiben, das den Kampf ums Geld überlebt, sie bleibt in New York und lebt ein neues Leben als Amerikanerin. Die eigene Biographie immer wieder zu verändern, ist auch eine Idealvorstellung für Antje Strubel. Und sie findet es beeindruckend, dass das in Amerika leichter ist als im Alten Europa:
Irgendwie ist es tatsächlich so, also dieses Land gründet ja auf der Idee, dass alle gleich sind und alle ihren Fähigkeiten entsprechend auch das erreichen können, was sie vorhaben - was natürlich ne große Illusion ist, aber immerhin: Es ist das einzige Land, das aus 'ner Idee heraus entstanden ist, und das ist schon toll, auch wenn die Idee inzwischen wahrscheinlich ein bisschen den Bach heruntergegangen ist, aber - es ist tatsächlich so, irgendwie geht alles!
Nicht erlaubt: Melancholie und Traurigkeit
Und trotzdem: Die eigene Identität loszuwerden, gelingt in der Wirklichkeit doch nicht so leicht wie im Roman. Einfach so zu sein wie die Amerikaner und sich in eine andere Mentalität einzuleben, das hat nicht funktioniert.
Zehn Jahre ist es jetzt her, dass Antje Strubel zum ersten Mal in den USA war. Seitdem ist sie immer wieder zurückgekommen und hat ihr Sensorium für die Mentalität der Menschen verfeinert, für die Licht- und Schattenseiten:
Es gibt keine Melancholie! Es gibt keine zugelassene Traurigkeit, und das fällt auch im Umgang auf. Es geht ja darum, dass man sich gegenseitig Freiraum lässt und sich nicht verletzt und sich nicht gegenseitig bedrängt mit dem eigenen Leiden oder mit der eigenen Missstimmung, das ist einfach eine Unhöflichkeit. Und deshalb gibt’s auch Melancholie eigentlich nicht, die wird einfach nicht zugelassen! Und dann find ich sehr bezeichnend, dass ein Großteil der Amerikaner versteckt depressiv sind und die permanent diese Tabletten schlucken!
Fundamentalismus und Patriotismus
Inzwischen ist Antje Strubel lieber in Los Angeles als in New York. Ein Buch, das in Amerika spielt, hat sie nicht wieder geschrieben. Statt dessen hält sie von Zeit zu Zeit Lesungen in den USA, auch in Los Angeles. Das Lesepublikum in der Stadt ist nicht groß, die Literaturszene begrenzt. Amerikanische Autoren inszenieren ihre Lesungen hier zusammen mit Hollywood-Schauspielern, um ein großes Publikum anzulocken. Antje Strubel ist in L.A. einfach eine unbekannte junge Autorin und frei von jedem Erfolgsdruck. Vor allem aber kommt sie hierher, um zu schreiben, indem sie sich selbst ein Stück weit von ihrer eigenen Sprache und von ihrer Person entfernt.
Im Grunde genommen hab ich 'ne Vorliebe für amerikanische Literatur, und mir gefällt auch die amerikanische Sprache wahnsinnig gut, sie ist einfach total lebendig, und dann - mal abgesehen von diesen Küstenstädten, sieht man dieses trübe und fundamentalistische und festgelegte Land! Also, man muss nur mal von Los Angeles ein Stück rausfahren, in dieses Hinterland, in diese Wüste, und schon ist man mit 'nem totalen religiösen Fundamentalismus, mit 'nem super überzogenen Patriotismus konfrontiert, und sieht immer an diesen Autos diese Schleifen, die dann irgendwie die Armee unterstützen wollen. Also im Großen und Ganzen bin ich durch die Literatur auf Amerika gekommen und fahr da immer hoffnungsfroh hin und bin dann immer wieder enttäuscht und muss trotzdem wieder hinfahren.