Befreite Boko-Haram-Geiseln: "Es schmerzt noch immer"
Fast 300 Frauen und Kinder, von Nigerias Armee aus den Händen von Boko Haram befreit, sind vorübergehend in einem Flüchtlingscamp untergekommen. Ihr Leid ist aber noch lange nicht vorbei. Aus Yola, Jan-Philipp Scholz.
Das Lachen vergangen
"Eines merkt man sofort: die Kinder hier lachen kaum", erzählt ein Helfer im Malkohi-Camp nahe der nigerianischen Stadt Yola. In dem Flüchtlingslager sind knapp 300 Menschen untergekommen, die vergangene Woche aus der Boko-Haram-Gefangenschaft befreit wurden. Rund die Hälfte von ihnen ist jünger als 18 Jahre. Jedes dritte Kind im Camp ist unterernährt.
Die ersten Lebenstage im Camp verbracht
Lami Musa ist die Mutter der wohl jüngsten Bewohnerin im Camp. Vergangene Woche brachte sie eine Tochter zur Welt - und einen Tag später retteten sie Soldaten. Während der Befreiungsaktion wurden mehrere Frauen von den Terroristen getötet. "Ich habe meine Tochter nur fest an meinen Körper gedrückt und mich über sie gebeugt", erinnert sich die junge Mutter.
Ein Kind in der Gefangenschaft verloren
Halima Hawu hatte weniger Glück. Eines ihrer drei Kinder wurde überfahren, während die Terroristen sie verschleppten. Bei der Befreiungsaktion schoss ihr ein nigerianischer Soldat ins Bein, als Mitglieder von Boko Haram die Frauen als lebende Schutzschilder benutzen. "Es schmerzt immer noch, aber vielleicht haben wir jetzt das Schlimmste hinter uns", hofft sie.
Kaum Nahrung für die Kinder
Sechs Monate lang musste der dreijährige Babakaka bei Boko Haram verbringen. Nur unregelmäßig gab es etwas Mais für die Kinder, erzählen ehemalige Mitgefangene. Als die Soldaten ihn befreiten, stand der Junge kurz vor dem Hungertod. Auch jetzt ist Babakaka noch extrem geschwächt. Eine angemessene medizinische Behandlung hat er im Camp bisher nicht bekommen.
Die Flucht fast nicht überlebt
Babakakas Mutter wurde mit knapp zwanzig anderen Schwerverletzten in das nahegelegene Krankenhaus in Yola gebracht. Jemand, der auf der Flucht vor ihr ging, trat auf eine Landmine. Die Explosion war so stark, dass die Frau schwer verletzt wurde und den Säugling, den sie an ihrem Körper trug, verlor.
Alte T-Shirts aus dem Westen
Bis auf einige Altkleider-Spenden ist bisher nicht viel an internationaler Hilfe bei den Frauen und Kindern im Malkohi-Camp angekommen. Dabei mangelt es an vielem, vor allem an medizinischem Personal. Vom Arzt, der eigentlich im Camp Dienst hätte, fehlt jede Spur. Lediglich zwei Krankenschwestern und eine Hebamme halten den Betrieb der provisorischen Gesundheitsstation aufrecht.
Auf freiwillige Helfer angewiesen
"Ich verstehe nicht, warum unsere nationale Nothilfe-Behörde nicht mehr tut", klagt auch Sozialarbeiterin Turai Kadir (Bild). Sie hat auf einige Initiative eine Ärztin für am schlimmsten an Unterernährung leidenden Kinder aufgetrieben. Eigentlich ist das die Aufgabe von NEMA, der nigerianischen Behörde für Katastrophenhilfe - doch die ist hoffnungslos überfordert.
"Unglaubliche Widerstandskraft"
Regina Musa ist erst vor Kurzem aus den USA zurückgekehrt, um an der Universität Yola Psychologie zu lehren. Jetzt hilft sie bei der psychologischen Betreuung der Frauen und Kinder. "Die Frauen haben eine unglaubliche Widerstandskraft bewiesen", sagt Musa. Viele hätten sich während der traumatischen Zeit noch um fremde Kinder gekümmert. "Wir müssen ihnen klar machen, was die da geleistet haben."