Beethovens Fünfte, eine "Schicksalssinfonie"?
7. September 2018Ta-ta-ta-taaaa - Wohl kaum eine Tonfolge ist weltweit so berühmt wie der Anfang von Ludwig van Beethovens 5. Sinfonie. Hätte Beethoven in der heutigen Zeit gelebt, wäre er allein durch die Tantiemen reich geworden: für Handyklingeltöne, musikalische Bearbeitungen aller Stilrichtungen oder Abdrucke seiner Noten auf Taschen, Tassen und Regenschirmen. Ganz zu schweigen von den Verwertungseinnahmen für die Aufführungen seiner Werke. Vier Mal ist Beethovens Fünfte im Original und in modernen Bearbeitungen allein in diesem Jahr beim Beethovenfest in Bonn zu hören.
Warum Schicksalssinfonie?
Die Sinfonie Nr. 5 in c-Moll von 1808 ist als "Schicksalssinfonie" in die Musikgeschichte eingegangen. Ein zentrales Werk für das Beethovenfest, das in diesem Jahr unter dem Motto "Schicksal" steht. Dass die Sinfonie diesen Beinahmen trägt, ist vor allen Dingen Beethovens Sekretär und Biograf Anton Schindler zu verdanken. Als er Beethoven nach dem Eingangsmotiv der Fünften Sinfonie fragte, soll dieser geantwortet haben: "So pocht das Schicksal an die Pforte".
Für Jens Dufner, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Beethoven Archiv in Bonn, ist dieser Schicksalsbegriff problematisch: "Anton Schindler war eine zwielichtige Figur", meint Dufner. Zwar sei er tatsächlich ein Zeitzeuge, den man grundsätzlich ernst nehmen müsse, aber er habe sein Verhältnis zu Beethoven anders dargestellt, als es wohl wirklich gewesen sei. "Er hat sich im Laufe der Jahre immer mehr Mühe gegeben, seine Nähe zu Beethoven besonders eng darzustellen und hat immer mehr Sachen ausgeschmückt."
So hatte Schindler neun Jahre vor der Veröffentlichung des berühmten Zitats in einem Artikel über Beethovens Fünfte von seinen eigenen Klangerlebnissen geschrieben, dass er diese Musik so empfinde, als sei es der Kampf eines Helden mit dem Schicksal. "Erst viel später kommt das angebliche Beethovenzitat. Das macht misstrauisch", sagt Dufner. Der Musikwissenschaftler Michael Stuck-Schloen mutmaßt, dass Beethoven – selbst wenn das Zitat wirklich von ihm stammen sollte - seinen aufdringlichen Biografen mit dieser kurzen Antwort wohl nur habe abwimmeln wollen.
Beethovens eigenes Schicksal: die Taubheit
Fest steht, dass die Sinfonie in einer Zeit entstand, als Beethoven bereits schwerhörig war und unter Tinnitus litt. Angefangen hatte seine Erkrankung 1798. Bis zur vollständigen Taubheit dauerte es noch 16 Jahre. Während einer Kur in Heiligenstadt schrieb er 1802 in seinem Testament: "Es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben. – Nur sie die Kunst, sie hielt mich zurück".
Auch wenn es zu dieser Zeit Notenskizzen gab, die später in der Fünften Sinfonie Verwendung fanden, so habe Beethoven doch erst viel später mit der Fünften begonnen, sagt Jens Dufner. Es sei nicht belegt, dass die Heiligenstädter-Krise noch einen Einfluss auf die Sinfonie gehabt habe.
Der belgische Musikhistoriker, Dirigent und Beethovenbiograf Jan Caeyers beschreibt, wie Beethoven sein Leben zu jener Zeit komplett umkrempeln musste. Mit der Taubheit war seine Pianistenkarriere beendet. Umso mehr wollte er als großer Komponist in die Geschichte eingehen und Musik für die Ewigkeit schreiben.
"Da hört eine Phase in seinem Leben auf, da fängt ein ganz großer Beethoven an", erläutert Caeyers im Interview mit der DW. "Beethoven hat unbemerkt eine neue Orchestersprache entwickelt, hat den Rahmen der Sinfonie gesprengt, die Kompositionen ausgedehnt und sein Orchesterklang hat eine größere Tiefe und Intensität bekommen." An einen Freund schrieb Beethoven. "Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen – ganz niederringen soll es mich nicht."
Der Einfluss der französischen Revolution
Das Bild von einem vereinsamten Menschen, der nur vor sich hin komponiere, stimmt bei Beethoven nicht – zumindest nicht in jungen Jahren. Er interessierte sich für Literatur und Philosophie und vor allen Dingen auch für die Politik. Von der französischen Revolution war er begeistert und teilte ihre Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Beethoven hat öfter Rhythmen und Motive aus der französischen Revolutionsmusik in seinen Werken aufgegriffen, so wahrscheinlich auch die vier Töne im Anfangsmotiv seiner fünften Sinfonie.
Als "revolutionäres" Werk interpretiert denn auch der französische Dirigent Francois-Xavier Roth mit seinem Orchester "Les Siecles" die Sinfonie: "Der Wind, der Sturm, der durch dieses Werk weht, kommt wirklich von diesen neuen philosophischen Aspekten der französischen Revolution und explodiert im Finale", findet Roth. In Frankreich wird Beethovens spannungsgeladene Fünfte Symphonie mit ihrem explosiven Ende in C-Dur übrigens nicht als Schicksalsinfonie bezeichnet sondern als "chant de victoire" – also als Siegeshymne oder Triumphmarsch.
Was Beethoven den Forschern hinterlassen hat
Francois-Xavier Roth hat mit seinem Orchester Beethovens Fünfte Sinfonie 2016 beim Beethovenfest aufgeführt – und zwar, mit historischen Instrumenten aus Beethovens Zeit. Das gibt einen ganz neuen Klang und Höreindruck. Es sei schwer, sich von gewohnten Hörbildern zu trennen, bei denen das Anfangsmotiv der Fünften Sinfonie immer sehr pathetisch überbetont werde, meint Roth: "Wir müssen zurück zu dem was da steht, denn in der musikalischen Interpretation war Beethoven sehr sorgfältig." Wenn er etwas besonders betont haben wollte, dann habe er das geschrieben, führt Roth aus. "Wenn er dagegen wollte, dass etwas fließt oder einer Linie folgt, dann hat er das auch geschrieben. Es ist faszinierend, diese Partitur neu zu lesen."
Partituren neu zu lesen ist eine der Hauptaufgaben von Jens Dufner in der Forschungsabteilung des Beethoven-Hauses in Bonn. Er analysiert Skizzenbücher, Autographe und Abschriften von Beethovens Kompositionen. In einem Notentext dokumentiert er die Quellen und versieht sie mit Kommentaren.
2013 hat sich Dufner im Rahmen einer Gesamtausgabe von Beethovens Werken intensiv mit der Fünften und Sechsten Sinfonie des Komponisten beschäftigt und diese neu ediert. Die beiden vom Klang her sehr unterschiedlichen Werke wurden zur gleichen Zeit komponiert.
Anders als die Fünfte Sinfonie trägt die Sechste einen von Beethoven bestimmten Beinamen. "1809 teilt Beethoven dem Verleger mit, der Titel der Sinfonie in F laute 'Pastoral-Sinfonie oder Erinnerung an das Landleben, Mehr Ausdruck der Emfindung als Mahlerey'", erläutert Dufner. "Das ist alles sehr genau dokumentiert, während die parallele Fünfte Sinfonie keinerlei Hinweise auf ein angebliches Schicksal bietet." Das Fazit: Wenn Beethoven selbst das Schicksalhafte in seinem Werk hätte hervorheben wollen, dann hätte er es im Titel oder in den Noten vermerkt.
Es bleibt Beethovens Schicksalssinfonie
Doch der Beiname "Schicksalssinfonie" hält sich hartnäckig. Kunstschaffende im romantischen Zeitalter glaubten an die Macht des Schicksals. Johannes Brahms zitierte das Hauptmotiv aus Beethovens Fünfter in seinem Klavierquartett in c-Moll – zu einer Zeit, als er selbst an Liebeskummer litt.
Für die Nationalsozialisten stand das Heldenhafte und Erhabene der Musik im Vordergrund. Nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg passte diese Assoziation erst einmal nicht mehr. Junge Komponisten lösten sich von jeder Tradition und Tonalität. Wenn sie auf historische Vorbilder zurückgriffen, dann lieber auf Bach als auf Beethoven.
Ab den 60er-Jahren spielte der Dirigent Herbert von Karajan die Beethoven-Sinfonien insgesamt vier Mal auf Schallplatte ein. Als legendär gilt seine Einspielung aus dem Jahr 1963.
Inzwischen hat sich der Geschmack verändert, und die Interpretation der Musik als Klangteppich, wie sie Karajan favorisierte, ist aus der Mode gekommen. Heute interessiert Wissenschaftler, Interpreten und das Publikum eher, wie die Musik wohl wirklich zu Beethovens Zeit geklungen haben mag. "Wenn ich das Stück dirigiere, dann überlege ich: Was wollte Beethoven hören, und was hat uns diese Musik heute vielleicht noch zu sagen?", erklärt Francois-Xavier Roth.
"Es wäre möglich, jahrelang über Beethoven analytischen Unterricht zu geben", meint Jan Caeyers, "aber zur gleichen Zeit ist es auch irrsinnig schöne Musik, die sehr tief ins Herz geht."
Rein gefühlsmäßig bleibt Beethovens Fünfte nach wie vor mit dem Schicksal verbunden und wird so auch vermarktet, nicht zuletzt beim diesjährigen Beethovenfest. "Es ist auch legitim, dass jemand das als Schicksalssinfonie empfindet", sagt Musikforscher Jan Dufner. "Ich denke, man muss sich nur bewusst sein, woher das kommt und dass es problematisch ist". Letztendlich verbindet jeder Interpret oder Hörer auch ganz persönliche Erfahrungen mit Beethovens Werk, und sei es das eigene Schicksal.