Beate Klarsfeld: Die "Nazi-Jägerin"
16. März 2012Der erste Angriff auf Kurt Georg Kiesinger ging nach hinten los: Beate Klarsfeld hatte 1967 in Frankreich einen Artikel veröffentlicht, in dem sie die NS-Vergangenheit des damaligen Bundeskanzlers anprangerte. Spürbare Wirkung entfaltete der Artikel nicht - abgesehen davon, dass ihr der Arbeitgeber, das Deutsch-Französische Jugendwerk, fristlos kündigte. Auch der zweite Anlauf verpuffte: Als Klarsfeld Kiesinger im April 1968 von der Besuchertribüne des Bundestages hinab beschimpfte, stürzten Saaldiener herbei und führten sie hinaus.
Spektakulärere Aktionen mussten her, schloss die damals 29-jährige Klarsfeld. Beim CDU-Parteitag in West-Berlin ein halbes Jahr später kam ihr großer Auftritt: Kurz vor der Abschlussrede Kiesingers schlich sie auf die Bühne, schrie "Nazi! Nazi! Nazi!" und versetzte dem Kanzler vor aller Augen eine Ohrfeige.
Im Ausland gefeiert, in der Heimat diffamiert
Dieser Schlag ins Gesicht brachte Beate Klarsfeld weltweit in die Schlagzeilen. Im Ausland wurde sie als "Nazi-Jägerin" gefeiert, von vielen Deutschen hingegen als "Nestbeschmutzerin" beschimpft. Das juristische Nachspiel der Aktion war übrigens glimpflicher als befürchtet: Zwar wurde sie noch am selben Tag zu einem Jahr Haft verurteilt, doch musste sie ihre Strafe - weil sie auch französische Staatsangehörige ist - nicht antreten. Später wurde die Strafe sogar auf vier Monate reduziert und auf Bewährung ausgesetzt.
Es war der Auftakt einer lebenslangen Jagd auf NS-Verbrecher, die nach Kriegsende ungestraft geblieben waren und in Vergessenheit zu geraten drohten. So auch der einstige Pariser Gestapo-Chef Kurt Lischka: Er war zwar von einem französischen Militärgericht wegen der Deportation Zehntausender Menschen nach Auschwitz zu lebenslanger Haft verurteilt worden, lebte dennoch unbehelligt in Köln, denn die damalige Rechtslage verhinderte die Auslieferung an das Nachbarland. Um den ehemaligen SS-Sturmbannführer der französischen Justiz zu übergeben, unternahm Klarsfeld einen Entführungsversuch. Der scheiterte zwar, beschleunigte aber gleichzeitig die Ratifizierung eines deutsch-französischen Abkommens über die Strafverfolgung von Nazi-Verbrechern, das später auch "Lex Klarsfeld" genannt wurde.
Ein Leben für die Gerechtigkeit
Den Höhepunkt erreichte ihre Jagd auf untergetauchte Nazis im Jahre 1983. Nachdem Klarsfeld mehr als ein Jahrzehnt nach dem "Schlächter von Lyon", Klaus Barbie, gefahndet hatte, erzwang sie seine Auslieferung von Bolivien an Frankreich. Vier Jahre später wurde der ehemalige Lyoner Gestapo-Chef wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt.
Dass sie das Aufspüren von Nazi-Verbrechern zur Lebensaufgabe machte, nahm seinen Ausgang Anfang der 1960er Jahre: Als 21-Jährige ging die gebürtige Berlinerin nach Paris, wo sie zunächst als Au-Pair arbeitete und wenige Jahre später den jüdischstämmigen Serge Klarsfeld kennen lernte und heiratete. Dessen Vater war von den Nationalsozialisten nach Auschwitz deportiert und ermordet worden. Das Thema Holocaust hat sie bis heute nicht mehr losgelassen. "Es muss Deutsche geben, die nicht einfach nur Gras wachsen lassen und alles unter den Teppich kehren."
"Vergangenheit nicht unter den Teppich kehren"
Für ihre Verdienste erhielt sie Ehrungen zuächst in Israel und Frankreich, im Jahre 2009 wurde sie mit dem Münchner Georg-Elser-Preis ausgezeichnet. Zwei Mal wurde sie für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen, bekommen hat sie es jedoch nicht. "Das liegt wohl an der Ohrfeige für Bundeskanzler Kiesinger", so Klarsfeld.
Dass man die Vergangenheit nicht unter den Teppich kehren kann, hat sie inzwischen am eigenen Leib erfahren. Denn ihre weiße Weste hat Flecken bekommen: Ein ehemaliger DDR-Bürgerrechtler wirft Klarsfeld vor, sie habe von der Stasi Material über Kiesinger erhalten. Ihrer Darstellung nach hat es sich hierbei aber nicht um Stasi-Akten gehandelt.
Die Zeitung "Die Welt" fand jüngst in DDR-Akten ein weiteres skandalträchtiges Detail: Klarsfeld hat kurz nach der Attacke gegen Kiesinger 2000 D-Mark aus Ost-Berlin erhalten, deklariert als Honorar für einen Zeitungsartikel. In Wahrheit handele es sich um Geld "für weitere Initiativen", wie ein SED-Politbüromitglied vermerkte. Klarsfeld dazu: "Viele Regierungen haben uns in unserer Arbeit geholfen, nur nie die der Bundesrepublik." An diesen konkreten Vorgang könne sie sich aber "nicht erinnern".
Autor: Klaus Dahmann
Redaktion: Andreas Noll