1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Baut dickere Mauern"

Conor Dillon/ cb29. November 2014

Mehr als 30 zivile Drohnen wurden seit Oktober über französischen Atomreaktoren gesichtet. Greenpeace vermutet, dass Terroristen dahinterstecken und möchte die Kraftwerke schließen.

https://p.dw.com/p/1DtzW
Drone über einem Feld. (Foto: picture alliance / dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Am 5. Oktober bemerkten Mitarbeiter des französischen Stromanbieters Electricité de France merkwürdige Flugobjekte am Himmel über drei Atomkraftwerken der Firma im Südwesten Frankreichs. Wie sich herausstellte, handelte es sich um Drohnen, die gleichzeitig über mehreren Kraftwerken gesichtet wurden. Keiner der Angestellten konnte sich erklären, was genau dort über ihren Köpfen vor sich ging, wer die unbemannten Flieger geschickt hatte und wieso. Seit diesem Herbsttag wurden insgesamt mehr als 30 Drohnen über den Kraftwerken des Anbieters gesehen.

Oda Becker ist Physikerin und Atomkraft-Expertin. Sie hat einen Bericht über die Drohnen am Himmel über Frankreich geschrieben.

DW: Frau Becker, über was für Drohnen sprechen wir hier?

Oda Becker: Drohnen mittlerer Größe, größer als ferngesteuerte Spielzeug-Exemplare. So groß, dass sie zum Beispiel Medikamente oder Pakete ausliefern können, wie die, die von Paketzulieferern genutzt werden.

Was befürchtet Greenpeace, könnten Terroristen mit diesen Drohnen anrichten?

Insider könnten die Drohnen nutzen, um Sprengstoff anzuliefern und dann einen Unfall auszulösen. Sie könnten einen Angriff aus der Luft vorbereiten, herausfinden, ob die Kraftwerke Sicherheitssysteme zur Abwehr von Hubschrauberangriffen haben. Außerdem könnten sie die Sicherheitskräfte und alle Details ausspionieren, so dass sie das Kraftwerk dann auch am Boden angreifen könnten.

Wenn ich ein Terrorist wäre, welchen Bereich einer solchen Anlage würde ich treffen wollen, um den meisten Schaden anzurichten?

Zwei Ziele könnten zu einem großen Austritt von radioaktivem Material führen: Eines ist das Reaktorgebäude. Der Reaktorkern wird von einer Wand geschützt, die nur 90 Zentimeter dick ist. [Die Wände von neueren Reaktoren, die heute gebaut werden, sind zwei Meter dick - die Redaktion.] Sie könnten also mit verschiedenem Gerät zerstört werden.

Oda Becker. (Foto: privat)
Physikerin und Atomkraftexpertin Oda BeckerBild: privat

Der andere Punkt ist speziell in Frankreich ein Problem: die Gebäude mit verbrauchten Brennstäben. Die werden nur von einer sehr dünnen Wand - 30 Zentimeter - und einem sehr dünnen Metalldach geschützt. Und in diesen Gebäuden könnte mehr radioaktives Material sein als im Reaktor selbst.

Keinerlei Schutz

Also ist ein dünnes Metalldach der einzige Schutz zwischen uns und einem Raum voll mit radioaktivem Material.

Ja.

Und die konkrete Bedrohung ist eine Bombe, die in diesem Raum explodieren könnte?

Die Bedrohung liegt darin, dass Wasser aus dem Becken mit den gebrauchten Brennstäben auslaufen könnte. Wenn das passieren sollte, würde es zu einer Schmelze kommen und eine große Menge radioaktives Material würde nach draußen dringen.

Aber wie könnte man einen Pool mit nur einer Drohne trockenlegen? Ist das nicht schwierig?

Terroristische Gruppierungen könnten das schaffen.

Kommen wir noch einmal zurück zu den Mauern, die das Reaktorgebäude schützen. Könnte eine Drohne wirklich eine Zementwand durchbrechen, die beinahe einen Meter dick ist?

So eine Mauer kann man nicht mit einer Drohne zerstören. Man bräuchte fast 100 Kilogramm Sprengstoff. Aber es gibt andere Möglichkeiten. Ich halte es für ein glaubwürdigeres Szenario, dass eine terroristische Vereinigung die Drohnen nutzt, um das Gelände auszukundschaften und dann einen Anschlag ausführt, zum Beispiel mit einem Hubschrauber.

Wenn man diese Mauer durchbricht, zerstört man auch die Kühlung des Reaktorkerns. Und ohne die Kühlung kommt es zu einer Kernschmelze - und einem schnellen Austritt von Radioaktivität in die Außenwelt.

Schnell ausbreitende Gefahr

Was wären die Folgen für Frankreich und Europa?

Die Radioaktivität könnte sich bis zu 300 Kilometer weit ausbreiten.

Nach dieser Rechnung würde das radioaktive Material Deutschland also nicht erreichen, weil die Atomkraftwerke ja im Südwesten Frankreichs stehen?

Natürlich würde es Deutschland erreichen. Die Gegend nahe der Grenze müsste evakuiert werden und die Menschen könnten jahrzehntelang nicht zurückkehren. Der entscheidende Punkt ist, wie schnell sich die Radioaktivität ausbreiten würde. Es wäre gar nicht möglich, die Menschen so schnell wie nötig zu evakuieren. Und das ist genau die Gefahr.

Atomkraftwerk Fessenheim in Frankreich. (Foto: Patrick Seeger/ dpa Bildfunk)
Das französische Atomkraftwerk Fessenheim nahe der Grenze zu Deutschland ist das älteste in Frankreich und schlecht geschütztBild: picture-alliance/dpa

Je nach Wetterlage könnte die Radioaktivität Italien, Schweden, Spanien oder Griechenland erreichen. Aber am meisten bedroht sind Luxemburg, Deutschland und Belgien - und natürlich Frankreich selbst.

Ist das Risiko beschränkt auf die drei älteren Kraftwerke im Südwesten des Landes?

Es gibt 34 Atomkraftwerke in der 900-Megawatt-Klasse in Frankreich. Sie alle sind unzureichend geschützt, besonders die Gebäude mit den gebrauchten Brennstäben.

Wenn ich Frankreichs Energieminister wäre, würde ich wahrscheinlich sagen 'Wir brauchen nun mal den Strom, also stellen wir sie nicht ab.' Was kann Frankreich denn dann tun, um sich zu schützen?

Um ehrlich zu sein, ich habe keine Ahnung. Man hat schließlich seit Anfang Oktober versucht, die Drohnen zu stoppen, aber hatte keinen Erfolg.

Die Flugkontrolle kann zivile Drohnen unter einer bestimmten Größe oder Flughöhe nicht überprüfen. Aber könnte das französische Militär nicht ein genaueres Radar einsetzen, um herauszufinden, wo diese Drohnen starten und landen?

Ich glaube, in China haben sie Systeme, um zivile Drohnen zu überwachen. Frankreich hat sowas nicht.

Wie schützt man die Kraftwerke dann?

Man baut dickere Wände.

Oda Becker ist wissenschaftliche Beraterin für nukleare Sicherheit in Hannover. Zu ihren Kunden gehören die österreichische Regierung und verschiedene Nichtregierungsorganisationen. Sie erstellte unter anderem die europäischen "Stress Tests" nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima und erarbeitet Analysen zu möglichen Szenarien von Unfällen und Überflutungen bis zu Terroranschlägen auf Atomkraftwerke (zum Beispiel Anschläge mit kommerziellen Flugzeugen oder tragbaren Raketenwerfern).