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"Deutschland hat einen Gestaltungsanspruch"

Sven Pöhle30. Januar 2014

Deutschland muss die europäische Sicherheitspolitik aktiv mitgestalten, sagt der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Hans-Peter Bartels (SPD), im DW-Interview. Vor allem bei Krisen in Afrika sei man in der Pflicht.

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Hans-Peter Bartels, SPD-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. (Foto: Susie Knoll/Florian Jänicke/spdfraktion.de)
Bild: Susie Knoll/Florian Jänicke/spdfraktion.de

DW: Die sogenannte Kultur der militärischen Zurückhaltung ist lange maßgeblich für die deutsche Außenpolitik gewesen. Nun hat sich Verteidigungsministerin von der Leyen dafür ausgesprochen, international mehr Verantwortung zu übernehmen - auch militärisch. In Zukunft soll unter anderem das deutsche Engagement in Krisengebieten in Afrika ausgeweitet werden. Ist dies das langsame Ende der Kultur der militärischen Zurückhaltung?

Hans-Peter Bartels: Nein, es gibt keine Veränderung dieser deutschen Grundposition. Das Militär ist für uns nicht das erste Mittel der Außenpolitik. Wir wollen alle anderen Möglichkeiten zuerst einsetzen, aber natürlich kann der Einsatz militärischer Mittel eine Ultima Ratio sein. Es geht auch nicht um mehr Verantwortung. Wir hatten bereits auf dem Balkan enorme Verantwortung übernommen. Wir haben Mitverantwortung in Afghanistan übernommen. Und wir sind auch nicht erst seit gestern in Afrika engagiert. Afrika ist kein Neuland und es ist auch keine Ausweitung des deutschen Gestaltungsanspruchs.

Wenn sich etwas verändert hat, dann ist es die Art, wie wir in Europa über die Formulierung gemeinsamer europäischer Sicherheitspolitik sprechen wollen. Ich glaube schon, dass wir mit der neuen Koalition einen kleinen Paradigmenwechsel haben. Deutschland hat einen Gestaltungsanspruch und muss diesen auch offensiv formulieren.

Müssen wir in Zukunft mit mehr Bundeswehrsoldaten in Afrika rechnen, zum Beispiel in Mali?

Ja. Nur wir reden über ein Mehr auf sehr niedrigem Niveau. Zu Spitzenzeiten der Balkankrise hatten wir 11.000 Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz. Heute haben wir weniger als 5000. In Mali soll die Obergrenze für den Einsatz deutscher Soldaten in der EU-Mission von 180 auf 250 angehoben werden. Es geht hier um relativ kleine Größenordnungen - nicht um eine Ausweitung von Militäreinsätzen.

Bis zu 70 Bundeswehrsoldaten mehr in Mali - ist das nicht vielmehr ein symbolischer Beitrag?

Nein, die Mission in Mali ist ja recht erfolgreich. Wir beteiligen uns mit anderen europäischen Nationen an der Ausbildung der malischen Streitkräfte. Wir sind auch nicht die einzigen im Land. Die Afrikanische Union hat sich sehr früh engagiert. Die Franzosen, die sich ebenfalls früh engagiert haben, sind jetzt integriert in die europäische Mission. Was Europa jetzt dort tut, soll die malische Seite nachhaltig zur Sicherung ihrer Bevölkerung befähigen.

Dies wollte man auch in Afghanistan. Hat man Lehren aus dem Einsatz am Hindukusch gezogen, die nun in Afrika hilfreich sein können?

Die Erfahrung aus Afghanistan ist, dass man nicht zu schnell versprechen darf, dass man die ganze Sicherheitsverantwortung für ein großes Land als internationale Truppe übernimmt. Afghanistan ist nicht gescheitert, aber es hat nicht sehr gut funktioniert. Deshalb wollen wir für kommende Konflikte versuchen, Partner in der Welt zu finden. Dazu wollen wir regionale Organisationen oder auch die Streitkräfte legitimer Regierungen in die Lage versetzen, selbst die Verantwortung für die Sicherheit im Land zu übernehmen. Im besten Sinne: Hilfe zur Selbsthilfe.

Für eine schnelle Unterstützung bei unvorhergesehenen Krisen ist Hilfe zur Selbsthilfe aber nicht das passende Instrument. Warum setzt man in Mali oder in der Zentralafrikanischen Republik keine EU-Kampftruppen, die sogenannten Battle Groups, ein?

Es wird immer so getan, als ob die EU-Battle Groups ein maßgeschneidertes Instrument für jede aktuelle Krise wären. Die Battle Groups werden Jahre vorher ausgeplant. Sie sind eher ein Instrument, um innerhalb der EU Ausbildungsstandards zu vereinheitlichen und bei der Führungsfähigkeit zusammenzuwachsen. Es versteht sich von selbst, dass das eine Illusion wäre, dass genau diese jeweils etwa 1500 Mann starke Truppe für jede beliebige Mission genau die richtige ist. Jede Mission wird dann maßgeschneidert, wenn man weiß, was genau erforderlich ist.

Wie sieht das künftige Engagement Deutschlands und der EU in Afrika aus?

Deutsche und Europäer werden sich in Afrika auch in Zukunft engagieren müssen, wenn es Konflikte oder Bürgerkriege gibt, bei denen wir nicht wegschauen können. Es wird uns nicht helfen, in einem solchen Fall auf die Amerikaner oder Chinesen zu warten. Die werden dort nicht ihren Schwerpunkt sehen. Es sind die Europäer, die auf ihrem Nachbarkontinent Hilfe leisten müssen.

Dies betrifft aber eher kurzfristige Hilfen. Wie könnte eine langfristige Afrika-Strategie Deutschlands aussehen?

Das ist in jedem Fall keine militärische Strategie, sondern eine Entwicklungsstrategie. Der Außenminister, der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die Bundeskanzlerin und auch Frau von der Leyen haben sich dazu geäußert: Alle sprechen von einem Kontinent, der voller Chancen steckt. Wirtschaftlich ist großes Wachstum möglich.

Der SPD-Politiker Hans-Peter Bartels ist Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag.

Das Interview führte Sven Pöhle.