Bangladesch: Justizkampagne gegen Nobelpreisträger Yunus?
11. September 2023Sie zeigen Solidarität. Über 170 Persönlichkeiten aus Politik und Wissenschaft fordern in einem offenen Brief die Premierministerin von Bangladesch, Sheikh Hasina, auf, die gegen den Ökonomen Muhammad Yunus laufenden Gerichtsverfahren auszusetzen.
Der Friedensnobelpreisträger des Jahres 2006 steht in seinem Heimatland seit Jahren juristisch unter Druck.
"Eine der Bedrohungen der Menschenrechte, die uns im gegenwärtigen Kontext beschäftigt, ist der Fall des Friedensnobelpreisträgers Muhammad Yunus", heißt es in dem am 27. August veröffentlichten Brief. "Wir sind beunruhigt, dass er in letzter Zeit zum Ziel - wie wir meinen - anhaltender juristischer Schikanen geworden ist".
Unterzeichnet haben den Brief unter anderem der ehemalige US-Präsident Barack Obama, der ehemalige UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon sowie über 100 Nobelpreisträger. Sie seien zutiefst besorgt über die Bedrohung der Demokratie und der Menschenrechte in Bangladesch, erklären die Unterzeichner.
Vereinte Nationen in Sorge
Am Dienstag vergangener Woche meldeten sich auch die Vereinten Nationen zu Wort. Ihrer Ansicht nach werden Gerichtsverfahren in dem südasiatischen Land dazu benutzt, Menschenrechtsaktivisten und prominente Vertreter der Zivilgesellschaft wie etwa Muhammad Yunus einzuschüchtern und zu schikanieren.
"Yunus ist seit fast einem Jahrzehnt Belästigungen und Einschüchterungen ausgesetzt. Ihm stehen derzeit zwei Prozesse mit möglichen Gefängnisstrafen bevor - einer wegen Verstoßes gegen Arbeitsgesetze und der zweite wegen angeblicher Korruption", sagte Ravina Shamdasani, Sprecherin des UN-Rechtsbüros.
"Zwar wird Yunus die Möglichkeit haben, sich vor Gericht zu verteidigen. Dennoch befürchten wir, dass die häufig von den höchsten Regierungsebenen ausgehenden Verleumdungskampagnen gegen ihn sein Recht auf ein faires Verfahren und ein ordnungsgemäßes Verfahren im Einklang mit internationalen Standards untergraben könnten."
Bangladeschs Justizminister Anisul Huq wies das Statement der UN zurück. Derartige Äußerungen seien eine Einmischung von außen in die Justiz des Landes, sagte er gegenüber der DW.
Mikrokredite von Yunus - weltweit kopiertes Konzept im Kampf gegen die Armut
Yunus wurde weltweit bekannt für seine Arbeiten, die das Los zahlloser Armen im Süden der Welt verbesserten. Mit Hilfe der von ihm gegründeten Grameen Bank vergab er zu günstigen Konditionen Mikrokredite an Bedürftige, insbesondere auch an Frauen. Die Kredite erlaubten es den Nutzerinnen und Nutzern vielfach, ihre Existenz auf eigene Füße zu stellen und der Armut zu entkommen.
Die von Yunus 1983 gegründete Grameen Bank gilt als das erste moderne Mikrokreditinstitut. Die Idee verbreitete sich weltweit. Experten nehmen an, dass sie Millionen Menschen geholfen hat, einen Weg aus der Armut zu finden.
Premierministerin voreingenommen?
Als erbitterte Gegnerin von Yunus gilt Premierministerin Sheikh Hasina. Als sie 2009 an die Macht kam, nannte sie Yunus einen "Blutsauger". Sie warf ihm vor, als Chef der Grameen Bank mit Gewalt Kredite von armen Landfrauen zurückgefordert zu haben.
Im Jahr 2011 begann die Regierung Hasina, die Aktivitäten der Grameen Bank zu überprüfen. Yunus wurde als Geschäftsführer entlassen. Angeblich hatte er gegen staatliche Rentenvorschriften verstoßen.
2013 musste Yunus sich vor Gericht verantworten. Der Vorwurf: Er habe ohne Genehmigung der Regierung Geld erhalten. Dieses stammte unter anderem aus dem Preisgeld des Nobelpreises sowie aus Lizenzgebühren für eines seiner Bücher.
Später wurden auch Anklagen gegen andere von ihm gegründete Unternehmen erhoben, so etwa Grameen Telecom. Dieses gehört zu Teilen zum größtem Mobilfunkunternehmen des Landes, Grameen Phone. Zugleich ist es eine Tochtergesellschaft des norwegischen Telekommunikationsgiganten Telenor.
In einem weiteren Prozess reichten 18 ehemalige Mitarbeiter von Grameen Telecom eine Klage gegen Yunus ein. Die Anschuldigung: Er habe keine Gegenleistungen für ihren letzten Arbeitsmonat erbracht. Unabhängig davon wurde Yunus im selben Monat wegen Verstoßes gegen Arbeitsgesetze vor Gericht gestellt. Zusammen mit 13 weiteren Personen musste er sich zudem gegen den von der Antikorruptionskommission Bangladeschs erhobenen Vorwurf wehren, sie hätten Gelder von Grameen Telecom veruntreut.
"Insgesamt wurden bislang 198 Gerichtsverfahren gegen Professor Yunus eingeleitet", sagte sein Anwalt Abdullah Al Mamun der DW.
Diffamierung mit juristischen Mitteln?
Einigen politischen Beobachtern in Bangladesch zufolge geht Hasinas Zorn über Yunus auf das Jahr 2007 zurück. Damals erklärte er, eine politische Partei gründen zu wollen - zu einem Zeitpunkt, da eine vom Militär unterstützte Regierung das Land regierte. Doch kurz nach der Ankündigung zog der Ökonom seinem Plan zurück. Seitdem äußerte er sich nicht mehr zur politischen Entwicklung seines Landes.
"Die Premierministerin glaubt nach wie vor, Yunus stecke hinter jedem Problem, mit dem sie international konfrontiert ist", sagt Asif Nazrul, Juraprofessor an der Universität Dhaka, im DW-Interview. So gehe der jüngste internationale Druck zugunsten freier und fairer Wahlen ihrer Auffassung nach auf Yunus zurück und auch, dass die Weltbank einen Überbrückungskredit für Bangladesch zurückgezogen hat. "Wir wissen nicht, was sie zu ihrer Überzeugung veranlasst, denn bislang hat die Regierung keine glaubwürdigen Grundlagen für diesen Verdacht vorgelegt", so Nazrul.
Yunus‘ Anwalt Al Mamun nimmt an, die Gerichtsklagen sollten den weltweiten Ruf des Ökonomen als Innovator bei der Lösung kritischer sozialer Probleme diffamieren.
"Es war nicht möglich, auf Grundlage arbeitsrechtlicher Vergehen eine Anklage gegen ihn zu erheben. In Frage käme lediglich eine Zivilklage. Außerdem wurde er in einem Fall der Veruntreuung von Geldern angeklagt. Er hatte damit jedoch nichts zu tun. Beide Prozesse strengte die Regierung gegen ihn an", so der Anwalt.
Demokratischer Rückschritt?
Die Klagen dienten mitnichten dazu, den Nobelpreisträger unter Druck zu setzen, sagt hingegen Justizminister Huq. "Diejenigen, denen Unrecht widerfahren war, suchten vor Gericht Abhilfe. Das ist ihr Recht als Bürger Bangladeschs. Das Gerichtsverfahren werden die Vorwürfe klären", so Huq gegenüber der DW.
Doch ist die Justiz Bangladeschs unabhängig? Daran habe er ernsthafte Zweifel, sagt der Jurist Azif Nazrul. Aus seiner Sicht kontrolliert die Regierung Hasina die Ermittlungsbehörden, die Staatsanwaltschaft und die Justiz.
"Das Justizministerium entscheidet über Entsendung, Versetzung, Beurlaubung und Beförderung der Prozessrichter. Es ist für die Regierung sehr einfach, das Prozesssystem zu beeinflussen. Je länger sie im Amt ist, desto stärker ist ihre Kontrolle", sagte Nazrul.
Die beiden letzten Parlamentswahlen in den Jahren 2014 und 2018 waren begleitet von Vorwürfen massiver Wahlfälschung sowie der Einschüchterung von Oppositionellen. Hasinas Regierung wies dies zurück.
Vorwurf des Machtmissbrauchs
Menschenrechtsgruppen werfen Bangladeschs Premierministerin jedoch vor, seit ihrer Machtübernahme vor 14 Jahren Strafverfolgungsbehörden und die Justiz zu nutzen, um Oppositionsstimmen zum Schweigen zu bringen.
Zahlreiche Oppositionsführer, Mitglieder der Zivilgesellschaft und Menschenrechtsaktivisten sehen sich politisch motivierten Klagen gegenüber. Diese zwingen sie, einen großen Teil ihrer Zeit in Gerichtssälen oder gar im Gefängnis zu verbringen.
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.