Banger Blick aufs Wahljahr
29. Dezember 2012Über allem Parteienwettstreit wird wahrscheinlich auch im kommenden Wahljahr 2013 die Bewältigung der Euroschulden-Krise schweben. Kanzlerin Angela Merkel spielt dabei in Europa wie schon in den Jahren zuvor eine zentrale Rolle. Wahrscheinlich sehnt sie sich deshalb nach etwas Ruhe an der Heimatfront, die sie auf dem jüngsten Parteitag zumindest in ihrer Partei schon Mal hergestellt hat. Ihre Macht innerhalb der CDU ist ungebrochen, niemand sägt an ihrem Stuhl, eine Alternative zu ihr wurde nicht einmal andiskutiert. Die bayerische Schwesterpartei CSU, bekannt für Querschläger und Eigensinn, hat versprochen, bis zur Wahl zahm wie ein Kätzchen zu sein.
Auch die Ergebnisse der Meinungsumfragen könnten Merkel eigentlich gut schlafen lassen. Die CDU kratzt an der seit vielen Jahren nicht mehr für möglich gehaltenen 40-Prozent-Marke. Merkels persönlichen Sympathiewerte in der Bevölkerung sind sowieso ausgesprochen hoch.
Merkels Sorgenkind
Wäre da nicht ihr Koalitionspartner, die FDP. Die Liberalen erreichen in den Meinungsumfragen nur knapp die für den Einzug ins Parlament entscheidende Fünf-Prozent-Hürde oder liegen sogar darunter. Da hilft nicht einmal das öffentliche Lob der Kanzlerin wie jüngst bei einer Bundestagsdebatte. Zum Jahreswechsel wird die in der Bevölkerung und über Parteigrenzen hinaus unbeliebte Praxisgebühr bei Arztbesuchen abgeschafft. "Das haben Sie der FDP zu verdanken", rief Merkel den Abgeordneten und der Medienöffentlichkeit zu. Die wöchentlichen Umfragewerte danach zuckten nicht einmal.
Noch offen ist, mit welchem Spitzenpersonal die FDP in den Wahlkampf ziehen wird. Das will die Partei erst im Mai entscheiden. Der jetzige Parteivorsitzende Philipp Rösler ist intern höchst umstritten. Im Januar finden in Röslers Heimat Niedersachsen Landtagswahlen statt. Sollte die FDP dort nicht in den Landtag kommen, dann dürfte der Druck auf Rösler noch einmal zunehmen. Zudem gibt es Spitzenkräfte bei den Liberalen wie Wolfgang Kubicki aus Schleswig-Holstein oder auch FDP-Generalsekretär Patrick Döring, die auf Distanz zur CDU gehen und ein Dreierbündnis mit SPD und Grünen auf Bundesebene nicht ausschließen wollen.
Unter diesen Vorzeichen ist eine Fortsetzung der christlich-liberalen Koalition derzeit eher unwahrscheinlich. Das sieht übrigens auch die Bevölkerung so: Nur neun Prozent glauben laut Umfragen an eine Wiederauflage des schwarz-gelben Bündnisses. Doch sollte die FDP in Niedersachsen im Parlament bleiben, dann könnte sich eine positive Dynamik entfalten, die bis zur Bundestagswahl im September 2013 hält. Wenn es aber schlecht läuft, dann findet sich die FDP in der außerparlamentarischen Opposition wieder - es wäre das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik.
Kursänderung bei den Grünen?
Eigentlich gut sieht es derzeit für die Grünen aus. Die Umfragewerte der Partei schwanken um die 15 Prozent und liegen damit deutlich höher als bei der Bundestagswahl 2009. Vor Kurzem hat die Partei per Urabstimmung die beiden Spitzenkandidaten für die Wahl bestimmt. Neben Ex-Bundesumweltminister Jürgen Trittin gewann völlig überraschend Katrin Göring-Eckhardt und brachte damit die Machtstrukturen bei den Grünen ziemlich durcheinander. Sie gilt als vergleichsweise bürgerlich. Ihre Wahl sorgte für das Wiederaufflammen der Diskussion um ein schwarz-grünes Bündnis, also eine mögliche Koalition mit der CDU. Auch wenn die Grünen auf ihrem letzten Parteitag mit einem deutlichen Linksschwenk versuchten, gegenzusteuern - der Geist ist aus der Flasche. Zwischenmenschlich könnte eine solche schwarz-grüne Verbindung jedenfalls passen: Göring-Eckhardt ist wie Merkel evangelisch-theologisch geprägt und tritt sachlich-pragmatisch auf. Doch bei den Grünen entscheidet die Basis mit, die massive Vorbehalte einer solchen Machtoption gegenüber hat. Für den Parteifrieden wäre eine Koalition mit Merkel Grund für eine heftige Zerreißprobe.
Noch spricht sich die CDU gegen ein solches Bündnis aus und propagiert stattdessen eine Koalition mit der FDP. Doch nach der Wahl könnte sich das ändern, wenn die Liberalen es nicht mehr ins Parlament schaffen sollten. Langfristig wäre mehrheitstechnisch eine Zusammenarbeit mit den Grünen vielversprechend, auch wenn offen ist, wie die Stammwähler beider Parteien auf ein solches Bündnis reagieren würden. Das große Streitthema Atomausstieg jedenfalls hat Merkel ausgeräumt. Und bei den wichtigen Großbaustellen Energiewende und Eurokrise liegen die Parteien nicht grundsätzlich auseinander.
Der umstrittene Kanzlerkandidat
Der traditionelle Partner für die Grünen ist die SPD. Die Sozialdemokraten haben in den vergangenen Jahren in den Bundesländern zulegen können und stellen derzeit die Hälfte der dortigen Ministerpräsidenten. Doch der Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück, mag nicht so recht zu seiner Partei passen - auch wenn er ganz offiziell beim jüngsten Parteitag hohe Zustimmung erfahren hat. Steinbrück hat in den vergangenen Jahren mehr als eine Million Euro mit Reden und Büchern verdient und damit Kritik auf sich gezogen. Denn das passt nicht zum Image der Kleine-Leute-Partei.
Steinbrück präsentiert sich als sozialere Alternative zu Merkel. Dabei gehört er der Generation in der SPD an, die nach der Jahrtausendwende massive Sozialkürzungen zu verantworten hat. Außerdem saß er mit Merkel von 2005 bis 2009 gemeinsam am Kabinettstisch. Einer Neuauflage der sogenannten Großen Koalition zwischen SPD und CDU erteilte er jüngst aber eine deutliche Absage. Sollte es dennoch dazu kommen, dann bitte ohne ihn.
Falls die SPD die Bundestagswahl verlieren sollte, könnte Hannelore Kraft, die neue starke Frau aus Nordrhein-Westfalen, auch im Bund an Macht gewinnen. Schon jetzt verkörpert sie an der Parteibasis den Wunsch nach einer anderen Politik bei den Sozialdemokraten.
Die isolierte Linkspartei
Auch bei der Linkspartei könnte demnächst eine Frau mächtiger werden, denn die Umfragewerte sind mäßig und die Partei braucht einen Energieschub. Die Parteiführung ist schwach. Die Umfragewerte im Osten liegen bei nur noch 17 Prozent - und damit zehn Prozentpunkte unter dem Ergebnis von 2009. Von der SED-Nachfolgepartei als dritter Volkspartei im Osten kann nicht mehr die Rede sein, neue Wähler wachsen nicht in dem Maße nach, wie alte Sympathisanten wegsterben. Im Westen kämpft die Partei mit der Fünf-Prozent-Hürde. Auf Bundesebene will niemand mit der Linkspartei koalieren. Auch die SPD scheut sich weiterhin, obwohl die Linken ihr klassenkämpferisches Programm entschärft haben und beide Parteien das Thema soziale Gerechtigkeit gemeinsam haben.
Die Linken-Spitzenkandidaten für die Wahl sollen in kleiner Runde vereinbart werden, um öffentliche Personalquerelen zu vermeiden. Gregor Gysi, der große alte Mann aus dem Osten, gilt als gesetzt. Sahra Wagenknecht, die neue Lebensgefährtin von Oskar Lafontaine, könnte neben ihn gestellt werden. Sie ist eine lautstarke und medienwirksame Gegnerin der "neoliberalen Politik Merkels" und könnte der Partei ihren Stempel aufdrücken. Doch das würde die Linkspartei wieder ein Stück weit von der SPD entfernen und parlamentarisch noch stärker isolieren.
Was bleibt
Für den einstigen Aufsteiger des Jahres, die Piratenpartei, sieht es derzeit richtig schlecht aus. Nach einigen beachtlichen Erfolgen in den Bundesländern ist die Partei stecken geblieben, ihr Sprung auf die Bundesebene könnte scheitern. Die Piraten haben ihre ohnehin zögerlichen programmatischen Ansätze nicht weiterentwickelt und ihr Alleinstellungsmerkmal Internet nicht verteidigen können. Auch das aktuelle Führungspersonal kann nicht überzeugen. Umfragen sagten vor einigen Monaten, dass sich 30 Prozent der Bevölkerung Deutschlands vorstellen könnten, die Piratenpartei zu wählen. Doch was von diesem Protestpotenzial als Stammwählerschaft übrig bleibt, muss man abwarten. Derzeit sehen die Demoskopen die Piraten bei nur noch drei Prozent.
Einzig die CSU kann relativ ruhig ins Wahljahr 2013 gehen, im dem auch Landtagswahlen in Bayern stattfinden. Aktuelle Umfragen sehen die Christsozialen bei 48 Prozent und die FDP in Bayern bei 5 Prozent. Das würde für eine Fortsetzung von Schwarz-Gelb reichen. Doch die Bayern sind dafür bekannt, dass sie immer ein wenig anders sind als der Rest der Republik.