Ballern zu Orchestermusik
7. Dezember 2012Du läufst durch die zerstörte Stadt. Die Waffe im Anschlag. Hinter jeder Ecke lauert ein monströser Feind. Deine Kollegen geben dir Kommandos. Dein Auftrag lautet: Befreie die Stadt von den außerirdischen Angreifern. So und ähnlich sind die meisten "Ballerspiele" aufgebaut. Die Story ist klar: Löse deine Aufgaben, töte, und werde selbst nicht getötet.
Klingt banal. Ist es auch. Doch bewegt man sich als Spieler durch die Kulisse, dann kann man viel mehr wahrnehmen – Gestalten, Geräusche, alles wirkt echt. Man ist mitten drin in einem Actionfilm. Und das Erlebnis wird noch intensiver durch die Musik.
Musik macht Stimmung
Wenn es spannend wird, wabert sie drohend über dem Szenario. Kommt es zu Kampfszenen, explodiert die Musik ähnlich wie Handgranaten und Maschinengewehrschüsse. Ist die brenzlige Situation vorbei, klingt auch die Musik irgendwie "erleichtert". Musik transportiert Emotionen und Stimmungen. Musik unterstreicht das Geschehen, auf der Leinwand, wie auf dem Monitor.
Borislav Slavov ist Musiker, Informatiker und Spiele-Fan. Er hat sich auf das Komponieren von Videospielen spezialisiert und liefert unter anderem die Musik für die "Crysis"-Reihe. Ein Endzeit-Shooter mit Spannung, beeindruckenden Szenarien und einer Menge Blut.
Spiele, die eine solche Dynamik haben, reizen Borislav, genannt Bobby, sehr: "Die große Herausforderung ist es, Musik herzustellen, die in jedem Moment hundertprozentig zur Handlung passt. Bei einem Actiongame zum Bespiel muss die Musik einfach sitzen, egal ob ich die größte Waffe raushole und alle umballer oder ob ich mich strategisch klug durch eine Szene bewege." Autorennen seien da einfacher, grinst Bobby, "Da geht's nur nach vorne."
Blitzartige Reaktion
Die Techniken, Musik für Videospiele herzustellen, sind unterschiedlich. Man arbeitet mit Melodien, Grundharmonien, dynamischen Elementen, Tonartwechseln, Lautstärke und Tempo. Der Komponist weiß nicht, wie schnell der Spieler sich für eine bestimmte Handlung entscheidet. Wenn ein Kämpfer sich zehn Minuten lang durch die Büsche schleicht, muss auch hier musikalisch schon etwas passieren. So spielt Bobby Slavov mit kleinen Versatzstücken. Harmonisch passen sie jederzeit auf ein musikalisches Grundgerüst, einen Teppich sozusagen.
Jeder hat so etwas Ähnliches schon mal im Radio gehört: Der Moderator spricht und im Hintergrund läuft Musik. Die Meldungen werden durch kurze Jingles getrennt. Ein solcher Trenner wird auf Knopfdruck dazu gespielt, trotzdem klingt es so, als wäre die Musik aus einem Guss.
Genau so, aber viel schneller, funktioniert die Musik beim Videospiel. Bobby Slavov erklärt, was den Unterschied zur Filmmusik ausmacht: "Filmmusik ist linear. Von Anfang an bis zum letzten Bild kennt man als Komponist die gesamte Handlung. Alles, was man tun muss, ist, der Stimmung zu folgen. Bei Videospielen hast du keine Ahnung, was als nächstes passiert. Alles hängt vom Spieler ab, von dessen Entscheidungen und Aktionen."
Hollywood-Größen mischen mit
Es dauerte nicht lange, bis die großen Filmkomponisten auf das Genre aufmerksam wurden. Denn so wie Kinofilme haben mittlerweile auch die großen Videospiele einen O.S.T., einen Original Soundtrack. Über allem steht das "Main Theme" – die Titelmelodie.
Die Macher von "Crysis 2" haben den Hollywood-Komponisten Hans Zimmer gewinnen können. Der ist bekannt für seine Melodien in den Kino-Blockbustern "Fluch der Karibik", "The Dark Knight" oder "Sakrileg". Der Oscar-, Golden Globe– und Grammy-geschmückte Komponist hatte großes Interesse bekundet, als man ihn um seine Mitarbeit bat.
Es war nicht das erste Mal, dass Zimmer für ein Videospiel Musik geschrieben hat. 2009 schon sorgte er für den Soundtrack von "Call of Duty: Modern Walfare2". Für "Crysis2" schrieb Hans Zimmer also das Hauptthema und Bobby Slavov sowie sein Kollege Tilman Sillescu komponierten den Rest um dieses Thema herum. Eingespielt wurde alles vom London Symphony Orchestra. Synthesizer wurden nur in Maßen eingesetzt. Die Musik sollte so authentisch klingen wie möglich.
Preisgekrönte Gamemusik von preisgekrönten Komponisten
Spiele-Musik ist längst in höchsten Kreisen angekommen. 2011 gewann der Komponist Christopher Tin gleich zwei Grammys für den Soundtrack zu einem Videogame. Der Song "Baba Yetu" ist Titelsong für das Strategiespiel "Civilization IV". Eingespielt mit Orchester und gesungen vom Soweto Gospel Chor. Tin hat nicht nur die Titelmelodie geschrieben, sondern gleich die gesamte Musik für das Spiel arrangiert, auch dafür gab es einen Grammy. Noch gibt es keine eigene Kategorie für Videogames. Umso erstaunlicher ist es, dass immer öfter Grammys an Musik für Videogames verliehen werden.
Gerade die Actiongames locken die Hollywood-Komponisten in Scharen an. Der Oscar-Preisträger Trent Reznor ("The Social Network", "Verblendung") schreibt seit 1996 auch Musik für Shooter – ganz aktuell für "Call of Duty: Black Ops II", eins der absoluten Blockbuster-Spiele zur Zeit.
Das Kriegsspiel "Medal of Honor" bekam musikalische Unterstützung vom ebenfalls Oscar-gekrönten Michael Giacchino. Auch er hatte bereits früher Erfahrung mit Game-Composing gemacht: "The lost World" (1997) war das erste Videospiel, dessen Musik komplett mit Orchester eingespielt wurde, damals eine Sensation, wenn man bedenkt, dass die Geschichte der Videospiel-Musik noch sehr jung ist – gerade mal 20 Jahre.
Neue musikalische Dimensionen
Die Entwicklung ist noch nicht zu Ende. Zur Zeit arbeitet Bobby Slavov am Soundtrack für seinen nächsten Blockbuster. Hier passiert etwas Neues: Die Musik transportiert die Stimmung noch unauffälliger. So wechselt sie in Sekundenschnelle von Dur auf Moll, von laut auf leise, von langsam auf schnell. All dies führt er in einer kurzen Spielsequenz vor. Die Wechsel in der Musik wirken überhaupt nicht hektisch, sondern so, als seien sie genau für diese Szene geschrieben worden.
Eine kompositorische Herausforderung, der sich Bobby Slavov gerne stellt: "Ich habe überhaupt keine Angst vor neuen Wegen. Es macht mir Spaß, mich immer wieder neu zu erfinden." Das hat er sich von seinem Idol Hans Zimmer abgeguckt.