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Balkanroute: Der Zug fährt durch!

Nemanja Rujević28. Oktober 2015

Erstmals erlaubt Slowenien Flüchtlingen, aus Kroatien direkt per Zug einzureisen. Sie werden dann in einem Lager in Brežice registriert, wie Nemanja Rujević von der kroatisch-slowenischen Grenze berichtet.

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Zug mit Flüchtlingen an der kroatisch-slowenischen Grenze (Foto: picture alliance)
Bild: picture alliance / Davor Puklavec

"Wir waren auch überrascht", sagt eine freiwillige Helferin in Ključ Brdovečki, einem kroatischen Dorf an der Grenze zu Slowenien. Sie kann es kaum glauben, dass ein Zug mit über tausend Flüchtlingen hier am Dienstag bis nach Slowenien durchgefahren ist. Ihr Kollege greift nach seinem Smartphone und zeigt Bilder der vergangenen Tage: Hunderte Ankömmlinge marschieren Richtung Grenze, warten bei Kälte unter freiem Himmel darauf, dass die slowenische Polizei die nächste Gruppe durchlässt. Manche Flüchtlinge durchquerten sogar den Grenzfluss - in Panik, hier zwischen Feldern und zwei Balkanländern stecken zu bleiben. Es sind Bilder, die weltweit Schlagzeilen gemacht haben.

Warum Slowenien die Einreise per Zug plötzlich gestattet, weiß keiner genau - es ist das erste Mal, das es passiert ist. Bisher beschwerte sich die Regierung in Ljubljana, Kroatien lasse mehr Flüchtlinge durch, als Slowenien aufnehmen könne. 84.000 Menschen sollen es allein in den vergangenen zwei Wochen gewesen sein, seit Ungarn die Grenze zu Kroatien komplett abgeriegelt hat. Ob der Zugtransport nun zur gängigen Praxis wird, ist unklar. Ein spanischer Freiwilliger, der die Lage auf der sogenannten Balkanroute schon länger beobachtet, berichtet, auch eine ähnliche Einigung zwischen Serbien und Kroatien sei in Arbeit. Von Sonntag (1. November) an sollen angeblich Züge direkt aus Serbien bis hierher fahren.

Wegen dieser Entwicklung, die für Entspannung sorgt, haben Helfer hier in Ključ Brdovečki zumindest vorübergehend nichts mehr zu tun - sie packen ihre Sachen und fahren fort. Nur drei gelangweilte kroatische Polizisten bleiben in der Dunkelheit des winzigen Grenzübergangs zurück.

"Gebiet begrenzten Zugangs"

Einmal im slowenischen Grenzort Dobova angekommen, werden die Flüchtlinge zügig weiter zum Aufnahmelager in Brežice transportiert. Im Stundentakt kommen dutzende Busse an, lassen die Menschen aussteigen und fahren wieder, um weitere abzuholen. "Yalla, yalla", ruft ein slowenischer Polizist seinen Kollegen zu, die ihre Zigarettenpause nur ungern unterbrechen. Dass er dabei das arabische Wort yalla (Los!) nutzt, ist wohl als Scherz gemacht. Die Ordnungshütter hier hatten schließlich genug Zeit, um sich ein paar arabische Wörter zu merken.

Lager Brezice (Foto: picture alliance)
Großer Andrang im Lager BrežiceBild: picture alliance / Kristina Stedul Fabac

Was sich in dem Lager von Brežice in den letzten Tagen ereignete, war dagegen keinesfalls lustig. Einige Zelte gingen in Flammen auf - angezündet vermutlich von Flüchtlingen, die verzweifelt und unzufrieden waren, weil die slowenischen Behörden auf eine Registrierung bestehen und so die Weiterreise nach Deutschland bremsen. Seitdem ist es Journalisten verboten, aus dem Camp zu berichten. Ein Bereitschaftspolizist verweist unfreundlich auf das improvisierte Schild: "Gebiet begrenzten Zugangs". Doch auch von der Straße aus, hinter Polizeitransportern und Panzerfahrzeugen, sind tausende Menschen hinter einem Zaun zu erkennen, die in der abendlichen Kälte auf ihre Papiere warten.

"Arme Leute", sagt die Passantin Joži, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte. Die Rentnerin aus Brežice kann gut nachvollziehen, dass die Nerven bei Polizisten und Flüchtlingen blank liegen. "Ich würde gerne ein paar Kinder in meinem Haus unterbringen, damit sie nicht in Zelten oder im Freien schlafen müssen. Aber das geht leider nicht."

Karte Balkan Fluchtroute 20.10.2015 Deutsch

Noch zwei Wochen?

Die Situation vor Ort ist ein Sinnbild für die unübersichtlichen Verhältnisse, die auf der Balkanroute herrschen. Dort wechseln sich ständig Bilder der Menschlichkeit ab mit denen der Polizeistärke, Bilder von Chaos mit denen geordneten Zuzugs. Das Ganze aber soll nur noch zwei Wochen dauern, will die kroatische Zeitung "Jutarnji list" von einem Diplomaten erfahren haben, der auf dem Brüsseler Treffen der Länder der Balkanroute teilgenommen hat. Dann, so der nicht namentlich zitierte Diplomat weiter, werde die Türkei den Flüchtlingsstrom stoppen. Und die Balkanroute werde aufgelöst.