Bajnai will Ungarn aus der Krise führen
14. April 2009Der parteilose Politiker Gordon Bajnai tritt das Erbe des bisherigen Regierungschefs Ferenc Gyurcsany an, der am 21. März überraschend seinen Rücktritt als Regierungschef erklärt hatte. Vor der Abstimmung im Parlament am Dienstag (14.04.2009) hatte Bajnai bereits eine Umbildung der Regierung angekündigt. Die wirtschaftlichen Schlüsselressorts Finanzen, Wirtschaft, Soziales sowie Verkehr und Energie will er demnach mit parteilosen Experten besetzen.
Der 41-jährige Bajnai erklärte, seine Regierung hege "keine politischen Amibitionen", sondern wolle Ungarn nur aus der Krise führen. Er werde sich bei den nächsten geplanten Wahlen im April oder Mai 2010 nicht zur Wiederwahl stellen. Bereits im Vorfeld hatte Bajnai drastische Sparmaßnahmen angekündigt, die für die Bevölkerung "schmerzhaft" sein würden.
Opposition und Demonstranten fordern Neuwahlen
Unter anderem strebt der neue Ministerpräsident die Streichung der 13. Monatsrente an. Kürzungen soll es außerdem bei den Angestellten im öffentlichen Dienst geben. Nach dem ersten Treffen wolle er die Einzelheiten seines Sparprogramms vorstellen, sagte der neue Ministerpräsident. Bajnai kündigte zudem an, er selbst wolle für ein symbolisches Gehalt von nur einem Forint (rund drei Euro-Cent) arbeiten.
Bei der Abstimmung im Parlament in Budapest erhielt Bajnai neben den Stimmen der sozialistischen Minderheitsregierung auch die Unterstützung der Allianz freier Demokraten, dem ehemaligen Koalitionspartner. Insgesamt stimmten 204 der 386 Abgeordneten für den früheren Geschäftsmann. Acht Abgeordnete enthielten sich, Gegenstimmen gab es keine. Die Parlamentarier der konservativen Oppositionspartei Fidesz blieben der Abstimmung fern. Sie forderten Neuwahlen. Mehrere hundert Regierungsgegner demonstrierten vor dem Parlamentsgebäude für vorgezogene Wahlen. Es gab fünf Festnahmen.
Rückzug wegen "Verlust der politischen Glaubwürdigkeit"
Sowohl die Sozialisten als auch die Freidemokraten wollten mit dem Misstrauensvotum gegen den bisherigen Regierungschef Gyurcsany Neuwahlen verhindern. Denn die Umfragewerte für beide Parteien sind derzeit im Keller.
Die Rücktrittsangekündigung Gyurcsanys hatte das Land politisch schwer erschüttert. Er hatte seinen Rückzug mit dem "Verlust der politischen Glaubwürdigkeit" begründet, nachdem er das Parlament nicht für seine Reform- und Sparpläne hatte gewinnen können.
Ungarn gehört zu den osteuropäischen Ländern, die am härtesten von der Finanz- und Wirtschaftskrise betroffen sind. Das hohe Haushaltsdefizit, hohe Staatsschulden und eine teilweise überbewertete Währung belasten das Land schwer. Nach Angaben des nationalen Statistikbüros ist die Arbeitslosenrate zwischen Dezember und Februar auf 9,1 Prozent gestiegen. Ende 2008 musste Ungarns Regierung Kredite von rund 19 Milliarden Euro beim Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und der Europäischen Union in Anspruch nehmen.
Krisenkabinett mit mehreren parteilosen Experten
Bajnais Krisenkabinett mit sechs neuen Ministern, darunter mehrere parteilose Experten, soll das Land nun aus der Krise führen. Neuer Finanzminister soll Peter Oszko, bislang Generaldirektor des ungarischen Ablegers der internationalen Buchprüfungsfirma Deloitte, werden. Der Software-Unternehmer Tamas Vahl, der bislang auch Präsident der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer war, soll neuer Wirtschaftsminister werden. Als künftigen Außenminister präsidentierte Bajnai den Diplomaten Peter Balazs, der Ungarns erster EU-Kommissar nach dem Beitritt des Landes im Jahr 2004 gewesen war.
Bajnai gilt als enger Vertrauter Gyurcsanys. Der 41-Jährige stammt aus der südungarischen Stadt Szeged und absolvierte in Budapest ein Ökonomiestudium. Von 1995 bis 2000 war er in leitender Funktion beim Wertpapierhaus CA-IB tätig. Später wurde er Chef der nationalen Behörde für Entwicklung und Minister für Regionalentwicklung. Von Mai 2008 an war Bajnai Wirtschaftsminister in Ungarn. (kis/dpa/ap/afp)