Bachs Musik - divers und barrierefrei
8. Juni 202488 Menschen bewegen sich auf einer großen Bühne zur Musik von Johann Sebastian Bach. Die einen singen und geben dabei den Text in Gebärdensprache wieder. Die anderen führen dazu eine Choreografie aus Schritten und Gesten auf. Sie können die Musik kaum oder gar nicht hören, doch das, was sie von den Singenden aufnehmen, übersetzen sie für andere Hörgeschädigte in eine sichtbare Kunstform. So wird diese Aufführung von Bachs Johannespassion, der Leidensgeschichte Christi nach dem Evangelisten Johannes, ein stimmungsvolles Erlebnis für Hörende und Nichthörende auf dem Leipziger Marktplatz.
Die Sopranistin Susanne Haupt hat das inklusive Gesangsensemble Sing&Sign im Jahr 2017 für Musikbegeisterte mit und ohne Höreinschränkungen gegründet. Sie wolle es hörgeschädigten Menschen ermöglichen, Bachs Kantaten zu erleben, sagt sie der DW.
Bach musste viel Leid ertragen
Der Barockkomponist Johann Sebastian Bach gehört neben Ludwig van Beethoven zu den bekanntesten und einflussreichsten deutschen Komponisten überhaupt. Zu seinen Ehren findet in Leipzig jährlich das Bachfest statt, das 2024 vom 7. bis zum 16. Juni dauert. In Leipzig war Bach 27 Jahre lang bis zu seinem Tod 1750 städtischer Musikdirektor und Thomaskantor, also Leiter des Chores der evangelischen Thomaskirche in Leipzig. Für Susanne Haupt ist er nicht nur ein universeller Komponist, sondern auch jemand, der selbst in seinem Leben viel Leid ertragen musste.
"Bach war mit zehn Jahren ja schon Vollwaise, hat zehn seiner 20 Kinder verloren. Und er war die letzten Monate seines Lebens blind", erinnert sie. Das höre man besonders in seinen ergreifenden Kantaten, meint die Sängerin und mahnt: "Niemand hat die Garantie, bis zum Ende seines Lebens unversehrt zu bleiben."
Bachs Choralkantaten
Um Johann Sebastian Bachs Musik dort zu hören, wo sie entstanden ist, pilgern jedes Jahr rund 70.000 Menschen aus aller Welt zum Bachfest nach Leipzig. In diesem Jahr kommen sie aus über 50 Ländern von allen Kontinenten. Die Choräle rund um die Arien und Rezitative der Johannespassion, die Bach 1724, also vor genau 300 Jahren, komponiert hat, können viele von ihnen mitsingen.
Im Jahr 1724/25 entstanden darüber hinaus 50 sogenannte "Choralkantaten", die im Mittelpunkt des diesjährigen Bachfestes stehen. Das Rezept für diese Choralkantaten klingt einfach. "Bach hat einen Choral genommen und jede Strophe im Laufe des Stücks mit anderen Besetzungen und anderen Melodien vertont", erklärt Bachfest-Intendant Michael Maul.
Etliche der Bachschen Choraltexte stammen aus der Feder des protestantischen Kirchenreformers Martin Luther, der vor 500 Jahren das erste evangelische Gesangsbuch veröffentlichte. Geschichten aus der Bibel hat er in eingängige Verse gefasst. "Viele dieser Lieder stehen längst nicht mehr nur in den deutschen Lutherischen Gesangsbüchern. Sie haben es sogar auf die ganze Welt geschafft", sagt Maul. So etwa der Choral "Nun danket Alle Gott".
Bekannt ist auch der Schlusschoral "Es ist genug" aus Bachs Kantate "O Ewigkeit du Donnerwort", die von dem Moment handelt, in dem Jesus die Qualen am Kreuz nicht mehr erträgt und erlöst werden will. Diesen Choral hat Komponist Alban Berg 1935 in seinem Violinkonzert vertont und ins 20. Jahrhundert getragen. Der Thomanerchor und das Gewandhausorchester haben unter der Leitung des heutigen Thomaskantors Andreas Reize neben der Kantate "O Ewigkeit du Donnerwort" auch das Violinkonzert aufgeführt, die Sologeige ergreifend gespielt von der armenischen Geigerin Chouchane Siranossian.
Chöre aus aller Welt sorgen für Diversität
30 internationale Chöre sind in diesem Jahr extra angereist, um Bachs Choralkantaten in 16 Sonderkonzerten zu singen und zu feiern. Die Chöre kommen nicht nur aus Deutschland, Europa und den USA, sondern auch aus Australien, Malaysia, Japan oder Paraguay. "Das sind überall junge Leute, die sich für Bachs Musik interessieren", sagt Intendant Maul. Die internationalen Chöre singen auf Deutsch und haben dazu Musik aus ihrer Heimat im Gepäck.
Mit dabei sind auch die "Malaysia Bach Festival Singers" mit Orchester unter der Leitung von David Chin. Er hat Mitglieder der christlichen Gemeinde im Gefolge, aber auch Buddhisten sind mit nach Leipzig gekommen. Es sei nicht nur die Musik Bachs, sondern auch die Botschaft seiner Kantaten, die die Menschen zusammenbringe, meint David Chin: "Es geht immer vom Dunkeln ins Licht, es gibt immer einen Hoffnungsschimmer."
Genau diese positive Einstellung bräuchten die Menschen angesichts der vielen Kriege und Katastrophen, so Chin im DW-Gespräch. Dabei hatte er selbst zunächst Angst vor Bach. "Man sieht sein Portrait, ein weißer Mann mit einer gepuderten Perücke, der nichts mit Asien zu tun hat." Tatsächlich schaut Bach auf vielen Portraits grimmig drein. "Dann fängst du an, seine Instrumentalmusik zu lernen und die Beziehung wechselt von Angst zu Hass", meint Chin, weil die Musik so schwer zu spielen sei. "Aber wenn du dich dann länger mit seiner Musik befasst und seine Kantaten kennenlernst, dann verliebst du dich und es gibt keinen Weg zurück."
Das Bachfest findet noch bis zum 16. Juni in Leipzig statt. Die Deutsche Welle hat das barrierefreie Konzert der Johannespassion gestreamt. Es ist auf dem Youtube Kanal "DW Classical Music" zu finden.