Bach und Bach beim Bachfest
15. Juni 2014Kann es "die wahre Art" des Musizierens überhaupt geben? In seinem bedeutenden Lehrwerk "Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen" wollte Carl Philipp Emanuel Bach ästhetische und technische Standards festlegen und Ordnung in das Chaos einer sich rapide verändernden Musikwelt bringen. Viele ähnliche Traktate entstanden in den Jahrzehnten nach dem Tod seines Vaters Johann Sebastian Bach, so auch eine Geigenschule von Leopold Mozart, dem Vater des berühmten Wolfgang Amadeus.
In Anspielung auf das Lehrwerk des zweitältesten Bach-Sohns, der vor genau 300 Jahren geboren wurde, steht das diesjährige Bachfest Leipzig unter dem Motto "Die wahre Art". Beim Eröffnungskonzert in der Thomaskirche mag der ein oder andere Zuhörer geglaubt haben, genau diese "wahre Art" der Musik erlebt zu haben: Eindrucksvoll gab Thomasorganist Ullrich Böhme zum Auftakt auf der Sauer-Orgel eine Bach-Fuge von Vater Johann Sebastian über den biblischen Text "Das Magnificat" wieder. Auch das folgende Magnificat, welches Thomanerchor, Solisten und das Tafelmusik Baroque Orchestra aufführten, stammte vom Leipziger Großmeister. Gleich danach folgte ebenfalls ein Magnificat, dieses allerdings aus der Feder des zweitältesten Bachsohns Carl Philipp Emanuel. An dieser Stelle konnten die Zuhörer erleben, wie der strenge Barockstil des Vaters beim Sohn in die Musik der "Empfindsamkeit" überging. Mit letzterem Werk bewarb sich Bach-Sohn – erfolglos – um das Amt seines verstorbenen Vaters. Auch ein späterer zweiter Bewerbungsversuch scheiterte.
Besser spät als nie
Die Bachs hatten es in Leipzig nie leicht. Carl Philipp Emanuel Bach reüssierte schließlich am preussischen Hof und wandte Leipzig den Rücken zu. Als wollte die Stadt das wieder gut machen, wurde nach der Wende ein Bachfest mit besonders authentischem Flair gegründet und mit städtischen Mitteln stark gefördert: Die öffentliche Hand steuert rund die Hälfte des in Höhe von etwa 2 Millionen Euro liegenden Finanzbedarfs bei. Johann Sebastian Bach, dieser vielleicht wichtigste Komponist der Musikgeschichte verbrachte 27 Jahre seines äußerst produktiven Lebens in Leipzig. Viele seine Wirkungsstätten sind noch erhalten.
Emotionale Pilgerfahrt
Zur Eröffnung begrüßte John Elliot Gardiner das Publikum in der Thomaskirche. Gardiner ist seit Anfang 2014 Präsident des Bacharchivs, welches das Bachfest ausrichtet. Der britische Dirigent sagte im Deutsche Welle-Interview: "Für mich ist es sehr emotional und ein großes Privileg: Ich komme seit vielen Jahren hierher, schon lange vor der Deutschen Wiedervereinigung. Und ich finde es immer sehr aufregend, hier die historischen Gebäude zu besuchen und die Atmosphäre der Stadt zu spüren, wie sie war als Bach 1723 hierher zog. Und zu sehen, wie seine Kinder hier aufwuchsen."
Bach Bach Bach - in allen Varianten. Doch das diesjährige Bachfest huldigt nicht nur dem großen Thomaskantor: Der zweite Sohn des Barockmeisters, Carl Philipp Emanuel steht aus Anlass seines 300. Geburtstags ebenso im Zentrum. So sagte Festivalintendant Dettlof Schwerdtfeger: "Wenn wir in diesen Tagen von Bach sprechen, meinen wir ausnahmsweise Carl Philipp Emanuel und nicht Johann Sebastian. Daran müssen sich die Leipziger ein wenig gewöhnen." Tatsächlich wird der Sohn, dessen Werk zu Lebzeiten das seines Vaters stark überstrahlte, in vielen Konzerten gespielt. Eine ganze Reihe seiner selten gehörten geistlichen und weltlichen Kantate stehen auf dem Programm. Es gibt Kammermusik und Solisten-Abende, aber auch Vorträge über diesen Musiker, der in der turbulenten "Sturm und Drang"-Zeit zwischen Barock und Klassik eine so wichtige Rolle spielte.
Bachfans aus aller Welt
Wie auch in den vergangenen Jahren reiste rund die Hälfte der Besucher aus dem Ausland zum Fest an, darunter viele aus Japan und Korea. Ein Viertel kommt aus Deutschland, ein weiteres Viertel aus Leipzig selbst. Der berühmte Thomanerchor ist einer der Fixpunkte im Festivalprogramm. Daneben geben sich weltweit führende Künstler der Alten Musik die Ehre, unter anderem Dirigenten wie Ton Koopman oder Masaaki Suzuki, Solisten wie Midori Seiler oder Malcolm Bilson und Ensembles wie die Academy of Ancient Music und das Amsterdam Baroque Orchestra and Choir. Bei den über 100 Veranstaltungen, die sich über zehn Tage erstrecken, liegt der Fokus auf führenden Musikern und Ensembles der historischen Aufführungspraxis.
Doch das Festival füllt nicht nur die Kirchen und Säle der Stadt und begnügt sich auch nicht mit historisch getreuen Aufführungen von Repertoirewerken: Mit Kinderprogrammen und Open-Air-Veranstaltungen belebt es die öffentlichen Plätze der Stadt und schlägt auch musikalisch neue Wege mit Jazz- und Popkonzerten im Geiste Bachs ein. Erstmals findet außerdem ein musikalisches Begegnungsprogramm zwischen jugendlichen Musiker statt: Die "Deutsch-Polnische Musikakademie" spielt Open-Air und in der traditionsreichen Thomaskirche. Finden auch dieses Jahr aus Etatgründen weniger Public-Viewing-Übertragungen als in den Vorjahren statt, so liegt doch Festival-Feeling in der Luft. An jeder Ecke der schmucken Innenstadt hängen Bach-Plakate, auf den Straßen und aus den Gebäuden klingt es in den unterschiedlichsten musikalischen Stilen. Straßenmusiker konkurrieren mit weit gereisten Profis und beleben die traditionsreichen Stätten der Stadt.