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Babuschka erzählt vom Weltkrieg

Karsten Kaminski13. April 2014

Geschichte erleben - das wollen zwei deutsche Mädchen in Moskau. Sie helfen älteren Menschen, die den Zweiten Weltkrieg überlebt haben. Der Erste Weltkrieg hingegen liegt für die beiden jungen Deutschen in weiter Ferne.

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Freiwilligendienst in Russland
Freiwilligendienst in Russland. Eine andere Perspektive auf die beiden Weltkriege.Bild: Karsten Kaminski

Direkt nach dem Abitur nach Russland. Ein Schritt, den Linda Hüper (20) und Maria-Louisa Papadopoulos (19) gewagt haben. Nicht um Moskaus Nachtleben zu erkunden, nein, die beiden wollen "Menschen helfen". Im Rahmen ihres Freiwilligendienstes bei der Aktion Sühnezeichen begleiten die beiden Mädchen ältere Menschen, helfen sozial Benachteiligten und entwickeln Projekte gegen Rassismus.

Sie wollten unbedingt nach Russland. Weil beide russisch an ihrer deutschen Schule gelernt haben und weil sie sich für Geschichte interessieren. "Ich habe aus der Geschichte heraus das Gefühl, eine indirekte Verantwortung übernehmen zu müssen. Die Menschen in Deutschland haben aus der Geschichte gelernt, und das will ich den Menschen im Ausland auch zeigen", sagt Maria. Ein Freiwilligendienst bei Menschen, die den Zweiten Weltkrieg und die Brutalität der Deutschen erleben mussten, sei, so glauben die Mädchen, der richtige Weg dafür.

Erzählungen von Zeitzeugen sind ganz neu für die Jugendlichen

Freiwilligendienst in Russland
Linda Hüper (20) hat ihre erste Begegnung mit Zeitzeugen des Krieges.Bild: Karsten Kaminski

Linda hilft einmal pro Woche einer 85-jährigen Frau, für die das Leid nicht erst mit Hitlers Überfall auf die Sowjetunion 1941 begann. Sie musste bereits 1937 erleben, wie im Rahmen von Stalins "Großem Terror" ihr Mann erschossen wurde. Für die Babuschka, so werden ältere Frauen in Russland genannt, ist die Vergangenheit ein trauriges Kapitel, merkt Linda: "Meine Babuschka hat ihre eigene Geschichte aufgeschrieben. Sie redet sehr oft darüber und weint auch ab und zu. Das berührt mich sehr. Ich finde es erstaunlich, wie offen die Babuschka mit mir darüber spricht. So etwas kenne ich nicht von zu Hause." Die Geschichte ihrer eigenen Großeltern kennt Linda leider nicht. Ihr Großvater ist verstorben, als sie klein war, und ihre Großmutter wollte nur ungern über den Krieg sprechen. Für Linda also ganz neue Erfahrungen.

Bei Maria sieht es anders aus. Ihr Großvater war in der Wehrmacht, hat ihr Bilder aus der Zeit gezeigt und vom Krieg berichtet. Er findet es gut, dass seine Enkelin sich jetzt in Russland engagiert. Maria hilft einer Russin, die als junges Mädchen erst als Zwangsarbeiterin in Deutschland arbeiten musste, und dann in das KZ Ravensburg verschleppt wurde. Deshalb redet die Babuschka nicht gerne über den Krieg. Wenn es überhaupt zu Gesprächen kommt, sagt die ältere Frau: "Stalins Terror war viel schlimmer als die Katastrophe, die Hitler angerichtet hat. Hitler hat sich wenigstens um sein Volk gekümmert. Wir waren Stalin egal." Worte, die Maria nur schwer nachvollziehen kann. Aber eins wird ihr daraus klar: In Russland haben viele ältere Menschen einen ganz anderen Blick auf den Zweiten Weltkrieg, als sie erwartet hatte.

Freiwilligendienst in Russland
Maria-Louisa Papadopoulos (19) erkennt Unterschiede in der Erinnerungskultur.Bild: Karsten Kaminski

"In Russland nimmt man den zweiten Weltkrieg anders wahr"

Das merken die Mädchen auch, wenn sie durch das Land reisen: "Russland fühlt sich als Siegernation. In vielen Städten stehen Denkmäler von Helden, die als Soldaten im Krieg für Russland gekämpft haben", bemerkt Linda. Die Denkmäler hätten auch einen ganz anderen Stellenwert als in Deutschland, findet Maria: "In Deutschland gibt es meistens Gedenktafeln mit Informationen. Da kann man noch was lernen. Das gibt es hier fast gar nicht. Hier steht lediglich "für die Heimat" auf den Tafeln, und die Menschen wissen, dass es sich um ein Denkmal des Zweiten Weltkrieges handelt."

Die Mädchen haben den Eindruck, dass die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg sehr präsent ist in Russland. Eine Erinnerungskultur zum Ersten Weltkrieg gebe es hier kaum, berichten sie. Maria vermutet, dies könne an der Geschichte der Oktoberrevolution von 1917 liegen. Das Land sei in der Folge mit schwerwiegenden Umbrüchen beschäftigt gewesen. Das habe sich dann im Stalinismus noch verschärft, und so sei eben die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in den Vordergrund gerückt, während die an den Ersten Weltkrieg verdrängt worden sei.

Der Erste Weltkrieg? Kaum präsent in Russland wie in Deutschland

Auch für die zwei Mädchen aus Deutschland ist der Erste Weltkrieg nicht wirklich präsent. "Die NS-Zeit wurde in der Schule viel intensiver besprochen. Über den Ersten Weltkrieg haben wir eigentlich nur wenig in der Schule gelernt", sagen die Mädchen. Wirklich gepackt hat sie dieser erste globale Krieg nie. Sie wollen Geschichte persönlich erfahren. Sie wollen Zeitzeugen treffen, so wie die alten Frauen, denen Sie jetzt helfen. Dafür ist der Freiwilligendienst ein erster Schritt.

Linda überlegt, im Anschluss Geschichte und Politik mit dem Schwerpunkt Osteuropa an der Uni zu wählen. Maria will Soziale Arbeit studieren. Ihre Erfahrungen über die Menschen hier in Russland und die Begegnung mit der Geschichte haben sie dazu motiviert.