Offshore-Geschäfte und Wahlkampf à la Orban
4. Oktober 2021Tschechiens Premier Andrej Babis besitzt ein Milliardenvermögen und führt einen luxuriösen Lebensstil. Dennoch gibt er sich gern als einfacher Unternehmer und Anwalt des Volkes - leutselig, unprätentiös, antielitär. So wie auch an diesem Tag. Er besucht ein Kohlekraftwerk, redet mit Arbeitern. Auf dem Weg aus dem Werk zu seinem Dienstwagen spricht ihn eine Investigativreporterin an. Sie fragt, ob er Offshore-Firmen in der Karibik besitze. Nun schweigt Babis eisern und lässt die zierliche Journalistin von einem halben Dutzend muskulöser Bodyguards unsanft abdrängen.
Prunerov im Nordwesten Tschechiens: Babis absolviert gerade einen Wahlkampfauftritt, als ihn die Veröffentlichungen der Pandora Papers einholen. Den Dokumenten zufolge hat er im Jahr 2009 an der Côte d'Azur in Südfrankreich mehrere Luxusimmobilien im Gesamtwert von 15 Millionen Euro gekauft, darunter ein Landschloss, und zwar über eine komplizierte Finanzkonstruktion mit Briefkastenfirmen, bei der er sich aus seinem eigenen Vermögen formal selbst einen Kredit gewährte. Nun prüft die tschechische Polizei den Verdacht der Geldwäsche. Auch in Frankreich und den USA drohen Babis Ermittlungsverfahren, unter anderem wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung.
Schande oder Retter Tschechiens?
Tschechien vor der Parlamentswahl am 8. und 9. Oktober: Die Pandora-Veröffentlichungen kommen zu einem schlechten Zeitpunkt für Andrej Babis. Bislang führten er und seine regierende Partei ANO (Aktion unzufriedener Bürger) in den Umfragen. Doch nun könnte die Offshore-Affäre den Premier eine zweite Amtszeit kosten. Denn jenseits eines treuen Kerns von Babis-Anhängern sind viele Wähler noch unentschlossen. Es könnte ihre Wahlentscheidung beeinflussen, dass der Regierungschef seit Jahren Transparenz predigt und gegen Steuerflucht eintritt, aber selbst das Gegenteil praktiziert.
Das umso mehr, als sich der Wahlkampf ohnehin größenteils um die seit langem umstrittene Person des Premiers dreht. Der populistische Politikstil von Andrej Babis und seine zahlreichen politischen Affären haben Tschechien gespalten. Die einen sehen in ihm die größte Schande seit der Samtenen Revolution von 1989, die anderen einen fähigen Manager, Retter vor illegaler Migration und einer EU, die angeblich die tschechische Souveränität gefährdet. Deshalb geht es in den Augen vieler Politiker wie auch vieler tschechischer Wähler nun um eine der wichtigsten Parlamentswahlen der vergangenen Jahre.
Ungeklärter Ursprung des Milliardenvermögens
"Babis spielt bei dieser Wahl um alles", sagt der Politologe Petr Just der DW. "Es geht für ihn nicht nur um seine politische, sondern auch um seine persönliche Zukunft, einschließlich seiner strafrechtlichen Verfolgung und seiner Position als Geschäftsmann."
Der 67-jährige Milliardär und Gründer der Agrofert-Holding stieg 2011 in die Politik ein - er gründete damals die Partei ANO, deren Abkürzung auf Tschechisch "Ja" bedeutet und die sich eigentlich als "Politische Bewegung" bezeichnet. 2014 wurde Babis Finanzminister, 2017 Premierminister. Er verspricht immer wieder einen Kampf gegen Korruption, Elitenfilz und Bürokratie sowie für mehr Transparenz und Effizienz. Doch die Ursprünge seines Milliardenvermögens legte er bis heute nicht offen.
Interessenkonflikte, Geheimdienst-Mitarbeiter
Um Vorwürfen eines Interessenkonflikts vorzubeugen, übergab Babis seinen Agrofert-Konzern 2017 einem Treuhandfonds. Dennoch wiesen mehrere Gutachten zwischenzeitlich nach, dass er weiterhin Einfluss auf die Holding nimmt. Schon seit Jahren schwelt auch die Affäre "Storchennest", bei der eine Firma von Babis für den Bau eines Wellness-Resorts widerrechtlich EU-Subventionen in Höhe von umgerechnet zwei Millionen Euro kassierte. Wegen dieses Missbrauchs von EU-Fördermitteln wird er voraussichtlich angeklagt.
Nach Meinung der Europäischen Kommission befindet sich Babis außerdem in einem Interessenkonflikt, weil er als Premier die Vergabe von EU-Fördergeldern an den Agrofert-Konzern beeinflusste. Vor einigen Tagen wurde der Premier zudem wegen eines weiteren Interessenkonflikts, der sich aus seinem Besitz des Medienkonzerns Mafra ergab, mit der höchstmöglichen Geldstrafe (10.000 Euro) belegt. Zu alldem kam vor einigen Jahren auch noch heraus, dass Babis Mitarbeiter der früheren tschechoslowakischen Staatssicherheit war.
Orban als Wahlkampfhelfer
Um seine politische Zukunft zu retten, führte Babis einen schrillen Wahlkampf, in dem er vor allem vor der angeblichen Gefahr durch Migranten warnte. "Wir werden kein muslimisches Europa zulassen", erklärte Babis wiederholt und beschuldigte fälschlicherweise Ivan Bartos, den Vorsitzenden der oppositionellen Zwei-Parteien-Koalition Piraten/Bürgermeister und Unabhängige (STAN), in Tschechien massenweise Migranten ansiedeln zu wollen.
Um Migranten ging es auch bei einem der Höhepunkte des Wahlkampfes von Babis: dem Besuch des ungarischen Premiers Viktor Orban vergangene Woche in der nordböhmischen Industriemetropole Usti nad Labem. Obwohl Babis und Orban dort gleichermaßen behaupteten, sie würden keinen Wahlkampf betreiben, sprachen sie nahezu ausschließlich über das Wahlkampfthema Migration. Babis präsentierte Orban als Freund und Beschützer Tschechiens. "Im Jahr 2015 war Ungarn das einzige Land, das die Schengen-Grenze tatsächlich verteidigte und einen Zaun baute", sagte er. "Und im laufenden Jahr kamen 77.000 illegale Migranten dorthin und ohne den Zaun hätte ihr kürzester Weg über Tschechien nach Deutschland geführt, damit sie dort Sozialleistungen erhalten", so Babis auf einer Pressekonferenz vor ausgewählten Journalisten. Mitarbeiter einiger wichtiger ausländischer Medien, darunter der ARD und der französischen Zeitung Le Monde durften nicht teilnehmen.
Ob der Plan von Babis, mit dem Thema Migration zu punkten, aufgeht, ist fraglich. Denn es gibt derzeit so gut wie keine illegalen Migranten und Asylsuchenden in Tschechien, zudem ist Migration tschechischen Meinungsumfragen zufolge kein wichtiges Thema für die Wähler.
Koalition mit Rechtsextremen
Dennoch wollen laut letzten Umfragen zwischen 24 und 27 Prozent für Babis und ANO stimmen. Ihr Vorsprung vor den beiden Oppositionsblöcken, der rechtsliberal-konservativen Koalition Spolu (ca. 23 Prozent) und den liberalen Piraten/STAN (ca. 21 Prozent), ist jedoch minimal und schrumpft. Beide Oppositionsblöcke schließen eine Zusammenarbeit mit ANO nach der Wahl aus. Babis könnte also nur mit den beiden einzigen anderen Parteien regieren, die eine Chance haben, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen und ins Parlament einzuziehen: die rechtsextreme Partei Freiheit und direkte Demokratie (SPD) des Tschecho-Japaners Tomio Okamura und die Kommunisten.
Die SPD fordert in ihrem Wahlprogramm ein Referendum über den Austritt aus der EU, die nominell linken Kommunisten vertreten ebenfalls viele rechtsnationalistische Positionen. Babis ist zu einer Koalition mit beiden Parteien bereit und auch der tschechische Präsident Milos Zeman, formal Sozialdemokrat, befürwortet seit langem offen die Bildung einer Regierung aus ANO, SPD und Kommunisten. Tschechische Oppositionspolitiker sehen diese Perspektive mit Entsetzen: "Ich übertreibe nicht, es geht bei der Wahl um alles. Es geht auch um die westliche Ausrichtung dieses Landes", sagt etwa Petr Fiala, der Vorsitzende des Oppositionsbündnisses Spolu.
Verleumdung aus dem Ausland
Ein Referendum über den Austritt aus der EU würde Babis wahrscheinlich nicht zulassen, meint der Politologe Just. Aber er ergänzt: "Der Abbau von Elementen der Demokratie nach polnischem und ungarischem Vorbild ist im Falle einer Regierung aus ANO, SPD und Kommunisten durchaus möglich."
Unterdessen griff Babis nach Bekanntwerden seiner Offshore-Geschäfte zu einem beliebten Orban-Narrativ: Das Ganze sei eine Verleumdung aus dem Ausland mit dem Ziel, das Wahlergebnis in Tschechien zu beeinflussen. Er, Babis, habe "niemals etwas Illegales oder Falsches" getan.