Bürokratie-Stau bei der Bundeswehr
29. Januar 2019Der Modernisierungsstau bei der Bundeswehr hat inzwischen viele Gesichter - und noch mehr Geschichten. Einige davon trafen zuletzt sogar die deutsche Regierung. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) strandete in Malawi, weil seine Regierungsmaschine einen Triebwerk-Schaden meldete. Und auch Kanzlerin Angela Merkel musste ihren Flug zum G20-Gipfel nach Argentinien abbrechen, weil die Bordelektronik in der Maschine der Flugbereitschaft der Bundeswehr streikte.
Viele Soldatinnen und Soldaten müssen allerdings nicht nur mit Ausrüstungs- und Materialmängeln leben, sondern sie stehen gänzlich ohne eigenes Material da. Im Auslandseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan müssen rund 80 Prozent der militärischen Transporte mit zivilen Hubschraubern absolviert werden, weil Militärmaschinen fehlen. Die größeren Sicherheitsrisiken gehen auf Kosten der Soldatinnen und Soldaten. Für den Wehrbeauftragten des Bundestags, Hans-Peter Bartels (SPD), lässt das nur einen Schluss zu, wie er am Dienstag bei der Vorstellung seines Jahresberichts in Berlin sagte: "Das System der Mangelbewirtschaftung besteht in allen Bereichen fort."
"Bürokratiemonster Bundeswehr"
Oft fehlten den Soldaten sogar Schutzwesten oder Nachtsichtgeräte. "Die Soldaten müssen heute Aufgaben erledigen, für die sie 2031 erst richtig ausgestattet sind." Dass sich daran nichts ändere, liege vor allem am größten strukturellen Problem der Armee, sagte Bartels. In den Augen vieler Soldaten habe sich die Bundeswehr in ein "Bürokratiemonster" verwandelt. "Wir verwalten uns zu Tode", gaben viele Soldatinnen und Soldaten dem Wehrbeauftragten mit auf den Weg nach Berlin, um die Politik wach zu rütteln.
Egal ob bei der Bestellung neuer Tornado-Flugzeuge, bei der Verpflegung oder bei Arbeitszeitregeln: Das Ergebnis sei bislang immer gleich, kritisierte Bartels: "Es dauert zu lange, die Qualität stimmt nicht, die Kosten explodieren". Der Ombudsmann der Armee sieht vor allem im "Labyrinth verzweigter Zuständigkeiten" den Grund, warum Beschaffung, Personalgewinnung und Einsatzbereitschaft bei der Bundeswehr sich nicht verbessern. Er riet der zuständigen Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die Zentralisierung der Beschaffungsvorgänge wieder rückgängig zu machen, so dass derjenige Nutzer Material bestellen könne, der es auch braucht.
Wo kommt der Nachwuchs her?
Ein weiteres Sorgenkind der Bundeswehr ist der Nachwuchs. Denn die Zahl der neu in die Bundeswehr eingetretenen Soldatinnen und Soldaten ist im vergangenen Jahr auf nur noch 20.000 Neueintritte gesunken. Das ist der niedrigste Stand in der Geschichte der Bundeswehr, rund 3000 Neusoldaten weniger als im Jahr zuvor.
Bislang hangelt sich die Bundeswehr durch diese Rekrutierungskrise, indem bestehende Zeitverträge von Soldaten verlängert werden. "So wird die Bundeswehr älter", warnte Bartels - und wies darauf hin, dass so die Nähe zur Gesellschaft Schritt für Schritt weiter abnimmt. Dass jeder Vierte aller Neusoldaten nach weniger als sechs Monaten seinen Dienst quittiert, verschärft die Nachwuchssorgen weiter.
Derzeit gibt es 181.000 aktive Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr. Bis 2025 soll die Truppe nach dem Willen des Verteidigungsministeriums eigentlich auf eine Stärke von rund 200.000 vergrößert werden, um den immer vielfältigeren Aufgaben bei Auslandseinsätzen Rechnung zu tragen. Schon heute gilt aber, dass 21.500 Dienstposten unbesetzt sind. "Dieses verbreitete Lückenbüßertum belastet das Bestandspersonal", sagte Bartels. Die Bundeswehr kündigte deshalb an, verstärkt im europäischen Ausland rekrutieren zu wollen. Bartels sagte, er glaube allerdings nicht, dass große Einstellungswellen zu erwarten seien, schon allein aus Respekt vor den anderen EU-Armeen, die auch Nachwuchssorgen hätten.
Besorgt zeigte sich der Wehrbeauftragte, dass die Zahl der gemeldeten Sexismus-Fälle in der Truppe größer geworden sei. Wie es um die Aufklärung rund um rechtsextreme Netzwerke innerhalb der Truppe steht, dazu konnte sich der Wehrbeauftragte wegen fehlender Informationen nicht äußern. Sein Credo: "Wer rechtsextremes Gedankengut verbreitet, kann kein Verteidiger der Freiheit sein."
Kann Deutschland wirklich mehr Verantwortung übernehmen?
Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbands, André Wüstner, forderte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) zu mehr Tempo beim Umbau der Bundeswehr auf. "Es ist 5 nach 12", sagte Wüstner am Dienstag im ZDF-"Morgenmagazin". Die Bundeswehr sei gemessen am Auftrag nach wie vor im schlechtesten Zustand seit 1990.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich tags zuvor in Berlin noch einmal zu der gestiegenen internationalen Verantwortung Deutschlands auch in militärischen Fragen bekannt. "Wir wissen, dass wir noch mehr tun müssen", sagte die Kanzlerin. Bartels antwortete darauf kaum 24 Stunden später: "Das ist ein Versprechen, dass man mit großem Kraftaufwand einhalten kann."