Bücher für politische Gefangene im Iran
19. Mai 2021"Mohammad hat eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich um die Sortierung und Registrierung der Bücher für die Gefängnisbibliothek kümmert. Bis jetzt hat er mehr als 10.000 Bücher erhalten," erzählt Faeze Abdipour im Gespräch mit der Deutschen Welle. Die 25-jährige Studentin ist mit Mohammad Sharifi Moghadam verheiratet. Faeze und Mohammad sind Mitglieder der unterdrückten religiösen Minderheit der Gonabadi-Derwische.
Seit 2018 sitzt Mohammad im Zentralgefängnis für den Großraum Teheran hinter Gittern. Etwa 32 km südlich von Teheran gelegen, ist Fashafoyeh Irans größtes Gefängnis mit geschätzt 15.000 Insassen.
"Bücher haben hier Seltenheitswert", schreibt Mohammad Ende April in einem von seiner Frau in sozialen Netzwerken veröffentlichen Brief. "Statt dessen stehen uns alle möglichen Drogen zur Verfügung: Heroin, Amphetamine und andere Betäubungsmittel. Sie werden täglich von der Gefängnisverwaltung und anderen Mitarbeitern ins Gefängnis eingeschmuggelt. Je höher die Anzahl der Drogensüchtigen, desto lukrativer sind die Drogengeschäfte im Gefängnis."
Als Mitglied der Gonabadi-Derwische verfolgt
Mohammad bittet bekannte Verlage um neue Bücher für die Gefängnisbibliothek. Viele Iraner kennen den 31-jährigen Ingenieur, nicht erst durch die Öffentlichkeitsarbeit seiner Frau. Schon als Student an der renommierten Scharif-Universität für Technologie, wo er Materialwissenschaft und Werkstofftechnik studierte, hatte er sich einen Namen in der Zivilgesellschaft gemacht.
Bis zu seiner Verhaftung organisierte er jahrelang mit anderen Freiwilligen Bildungsprogramme für Straßenkinder. Nach einer Versammlung zur Unterstützung des spirituellen Führers der Gonabadi-Derwische, der unter Hausarrest gestellt worden war, wurde Mohammad verhaftet und zu einer zwölfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.
Die Gonabadi-Derwische sind aus der jahrhundertealten Sufi-Bewegung im Iran hervorgegangen. Sie berufen sich auf den persischen Poeten Schah Nimatullah Wali, der im 14. und 15. Jahrhundert lebte. Der Sufi-Meister empfahl seinen Anhängern, sich sozial zu engagieren anstatt ein Leben in Einsamkeit zu führen.
Obwohl die Derwische sich als gläubige Muslime betrachten, sind sie der religiösen Führung im Iran ein Dorn im Auge. Vor allem, weil sie die Legitimation des religiösen Oberhaupts im politischen System des Iran nicht anerkennen. Seit Ayatollah Ali Chamenei sie vor etwa zehn Jahren als Abtrünnige bezeichnete, gelten die Gonabadis als Feinde des Gottesstaats. Gebetshäuser wurden in Brand gesteckt und Versammlungen verboten.
Von der Resonanz überrascht
Obwohl die staatlichen Medien negativ über die Gonabadi berichten, genießen sie wegen ihre sozialen Engagements in der Bevölkerung einen guten Ruf. So rief auch der Spenden-Aufruf von Mohammad positive Resonanz hervor. "Es ist überwältigend," sagt Faeze im Gespräch mit der Deutschen Welle.
"Mohammad hat viele kleine Pakete aus weit entfernten kleinen Städten mit persönlichen Briefen erhalten. Von Leuten, die liebevoll einige Bücher aus ihrem Bücherregal ausgewählt und an seine Adresse geschickt haben. Ich bekomme immer noch Nachrichten von Menschen, die wissen möchten, ob ihre Bücher auch angekommen sind".
Tweet: Kurz vor seiner Verhaftung haben Faeze Abdipour und Mohammad Sharifi Moghadam geheiratet.
Von den Verlagen haben drei ebenfalls Bücher geschickt. Mohammad hatte bewusst um vom Kulturministerium zugelassene und im Iran gedruckte Bücher gebeten. So hatte die Gefängnisleitung keinen Grund, die Aktion zu verbieten oder die gespendeten Bücher nicht an ihn weiterzugeben. Möglicherweise hat sie auch nicht mit dem großen Echo der Aktion und der breiten Solidarität der Zivilgesellschaft gerechnet.
Mehr Solidarität mit politischen Gefangenen
"In den letzten Jahren, besonders nach den landesweiten Protesten im November 2019, die brutal von den Sicherheitskräften niedergeschlagen wurden, ist die Solidarität in der Gesellschaft mit den politischen Gefangenen gestiegen," sagt der Menschenrechtsanwalt Saeid Dehghan im Gespräch mit der Deutsche Welle aus Teheran. "Ich bin mir sicher, dass viele Iraner auch andere Aktionen unterstützen würden. Diese Solidarität setzt die Gefängnisbehörde unter Druck und verbessert langfristig die Situation aller Inhaftierten."