Autonomes Fahren: Wer zahlt, wenn's kracht?
21. November 2018Eigentlich hört es sich richtig gut an: Autos, die sich selbst steuern, holen Menschen auf Zuruf ab und bringen sie an ihr gewünschtes Ziel. Ein Lenkrad haben diese Fahrzeuge nicht mehr und auch keinen Fahrer, der die Verantwortung trägt. Lange Staus gehören der Vergangenheit an, denn jedes Auto ist Teil eines intelligenten Verkehrsleitsystems. Das schont die Umwelt und selbstverständlich reduzieren sich auch Unfälle auf ein Minimum. Schließlich gehen heute 90 Prozent aller Verkehrsunfälle auf menschliches Versagen zurück.
Schöne neue Welt? Nach einer ersten Euphorie sind die Erwartungen inzwischen deutlich gedämpft. An vielen Beispielen hat sich gezeigt, wie fehleranfällig die neue Technik noch ist. Zudem ergeben sich bei näherer Beschäftigung mit der neuen Technik viele ungelöste, auch ethische Fragen.Beispielsweise, wen ein autonom fahrendes Auto für den Fall, dass ein Unfall nicht zu vermeiden ist, töten sollte? Die Frau mit Kind, oder den Mann mit Kind?
2019 geht es in Deutschland los
Auch in der deutschen Autoindustrie ist man vorsichtiger geworden. Trotzdem bleibt das Thema ein "Megatrend", wie Marko Gustke vom Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA) sagt. "Wir sehen natürlich auch die Aspekte bei der Verkehrssicherheit." Derzeit würden die Kunden für Sicherheitssysteme nur wenig Geld ausgeben." Verpackt man das Ganze in eine sexy Umgebung, in eine entsprechende Funktionalität mit Komfortgewinn, lassen sich dann entsprechende Technologiepakete in den Fahrzeugen besser am Markt platzieren."
Gustke rechnet damit, dass erste Funktionen im kommenden Jahr zur Verfügung stehen werden. Zunächst auf der Autobahn. "Wir brauchen Leitplanken, wir brauchen Linienführung in entsprechend guten Wartungszuständen, damit das Fahrzeug sich entsprechend orientieren und positionieren kann." In Staus übernimmt dann der Computer und steuert das Auto bis zu einer Geschwindigkeit von 60 km/h. Weitere Assistenzprogramme sollen folgen, so dass ab 2022 Autos auf Autobahnen autonom im Verkehr gesteuert werden können. "Vom fahrerlosen Fahren in Innenstädten sind wir dann immer noch weit entfernt", betont Gustke.
Die USA preschen voran
Autonomes Fahren wird in den USA seit Jahren vorangetrieben. Dort will die Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA demnächst autonome Autos für den Verkehr freigeben, die in bestimmten Fahrsituationen tatsächlich schon komplett ohne menschlichen Eingriff fahren. Google testet diese Technik seit geraumer Zeit in Chrysler-Minivans auf begrenzten Flächen.
Das wären dann sogenannte "Level-4"-Fahrzeuge auf der insgesamt fünf Stufen umfassenden Skala für autonomes Fahren. Es ist der bislang weiteste Entwicklungsschritt. Denn die Stufe fünf, auf der der Computer die Fahrt in allen Verkehrssituationen ohne menschliches Zutun beherrschen soll, ist bislang tatsächlich noch reine Fiktion.
Vom menschlichen Fahrer zum Roboter-Auto
"Level 1" bezeichnet das Auto, das weitgehend ohne Automatisierung auskommt und nur über einfache Sicherheitssysteme wie beispielsweise einen Abstandshalter verfügt. Auf "Level 2" verfügt das Auto bereits über Spurhalte- und Einpark-Assistenten, die auch Lenkfunktionen übernehmen. Auf "Level 3" wird hochautomatisiert gefahren. Das Auto steuert, aber nur so lange, bis die Technik erkennt, dass sie Schwierigkeiten bekommt. Beispielsweise, wenn Schneegestöber oder Starkregen Kamera und Radar außer Gefecht setzen. Dann signalisiert die Technik dem Menschen, dass er die Kontrolle übernehmen muss.
Doch genau dieses Level hat es besonders in sich. "Menschen sind nicht so gebaut, dass sie dauerhaft aufmerksam sein können", sagt der Ingenieurpsychologe Mark Vollrath. Automatisiertes Fahren führe zu Langeweile, der Fahrer würde sich mit anderen Dingen beschäftigen als pausenlos den Verkehr zu kontrollieren. "Das ist so, als schaue man langweilige Serien im Fernsehen und warte auf einen spannenden Moment", so Vollrath, der als Professor an der Technischen Universität Braunschweig lehrt.
Im Überwachen sind Menschen lausig
In einem hoch automatisiert fahrenden Fahrzeug ist die Aufgabenteilung nicht klar definiert. "Weiß der Mensch, was das Fahrzeug tut und was er selber tun muss?", fragt Vollrath. Risiken birgt vor allem der plötzliche Moment des Übergangs der Verantwortung von der Maschine auf den Menschen. "Kann der Mensch das überhaupt tun, was er tun muss, oder ist er damit überfordert?" In Tests hat Vollrath herausgefunden, dass sich bei Menschen, die lange nur zuschauen, die Reaktionszeit deutlich verlängert. In Grenzsituationen hatten selbst geübte Fahrer ein Problem. "Hier hatten wir fast dreimal so viele Unfälle wie bei manuellen Fahrern."
Eine Erkenntnis, die auch die Versicherungswirtschaft umtreibt, deren Unfallforscher sich inzwischen sehr intensiv mit den Risiken des automatisierten Fahrens beschäftigen. "Bis zur vollständigen Situationskontrolle und damit auch bis zur voll optimalen Reaktion kann dieser Zeitraum bis zu 15 Sekunden dauern und das ist eine ganz schön lange Zeitspanne", warnt Wolfgang Weiler, Präsident des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).
Verantwortung von Mensch und Maschine
Ein Risiko, das die Versicherer für untragbar halten. Daher fordern sie eine klare Aufgabenverteilung zwischen Fahrer und Technik auf jedem Level der Automatisierung. "Es dürfen nur automatisierte Fahrzeuge auf die Straße, die absolut sicher sind und das Auto im Notfall auch ohne das Eingreifen eines Fahrers sicher zum Stehen bringen können." Denn erst dann könne sich der Fahrer tatsächlich vom Verkehrsgeschehen abwenden. Vor der Einführung der Systeme müssten entsprechende verbindliche Standards festgelegt werden.
Eine Position, die Udo di Fabio, Vorsitzender der "Ethik-Kommission Automatisiertes und Vernetztes Fahren der Bundesregierung" unterstützt. 2017 hat die Kommission 20 Thesen aufgestellt, die als Leitlinien für die technische Umsetzung gelten. Danach muss in jeder Fahrsituation klar geregelt und erkennbar sein, wer für die Fahraufgabe zuständig ist: Der Mensch oder der Computer. "Wenn die Maschine fährt, darf der Mensch keine Verantwortung mehr haben", betont der frühere Bundesverfassungsrichter di Fabio.
"Level 3" überspringen?
Das auch, weil es sonst bei einem Unfall viele Unklarheiten gibt. "Wenn der Fahrer eine Technik überwachen soll, dann bekommen wir es mit schwierigen Haftungsfragen zu tun, wenn etwas schief geht." Wer müsste in diesem Fall für den Schaden aufkommen? "Wird vollautomatisch gefahren, dann liegt die Haftung beim Hersteller oder beim Programmierer, aber nicht beim Fahrer", analysiert di Fabio.
In der Konsequenz müsste das eigentlich heißen, auf dem Weg zum autonomen Fahren das "Level-3" zu überspringen. Tatsächlich haben einige Unternehmen, darunter Google, Ford und Volvo, das bereits angekündigt. Die Versicherungswirtschaft ist dennoch skeptisch, dass die Unfall- und Schadensfälle sich dadurch sehr schnell ändern werden. "Ausweislich einer von uns veröffentlichten Studie werden die Auswirkungen auf das Schadengeschehen nicht so sein, wie es landläufig vermutet wird", so GDV-Präsident Weiler.
Noch viele Fragen offen
Laut der Studie sollen die Schadensleistungen in der Haftpflicht bis 2035 im Vergleich zu 2015 lediglich maximal 15 Prozent sinken. Die neuen Systeme zu reparieren, werde sogar teurer. Die Leistungen in der Kaskoversicherung würden daher nur um fünf Prozent sinken. "Auf absehbare Zeit wird der technologische Fortschritt also nur geringen Einfluss auf das Schadengeschehen haben", sagt Weiler.
Die Studie geht allerdings davon aus, dass es bis zum "Level-5"- Auto, das als Teil eines intelligenten Verkehrsleitsystems voll autonom unterwegs ist, noch Jahrzehnte dauern wird. Das meint auch der Ingenieurpsychologe Mark Vollrath. "Man sollte keine zu hohen Erwartungen haben."