Autoindustrie: China übertrumpft deutsche Hersteller
4. August 2023Aufträge fehlen, die Kaufkraft sinkt. In der deutschen Wirtschaft macht sich Krisenstimmung breit. Für die Autohersteller kommt ein strukturelles Problem hinzu: Die Transformation hin zu Elektromobilität und autonomen Fahren verursacht noch auf unbestimmte Zeit hohe Kosten; die dazu nötigen Mittel müssen aus dem Geschäft mit den politisch immer weniger gewollten Verbrenner-Fahrzeugen eingespielt werden.
Dabei lief das erste Halbjahr noch gut. Volkswagen, Mercedes-Benz und BMW präsentierten gestiegene Umsätze und höhere Gewinne. Doch die Prognosen für das Gesamtjahr enttäuschen die Erwartungen vieler Investoren und Aktionäre. Inflation und steigende Zinsen wirken dämpfend, Neufahrzeuge sind weniger gefragt. "Auch wenn wir ein Produktionsplus sehen, ist dies kein Zeichen für Entspannung", warnt Hildegard Müller, Präsidentin des Branchenverbandes VDA. Der Absatz liege immer noch gut ein Fünftel unter dem Vorkrisenniveau von 2019.
Besonders bei rein elektrischen Autos gehen die Bestellungen in Deutschland zurück. Die Nachfrage in diesem Segment liegt hierzulande im Moment nur noch bei gut 60 Prozent des Vorjahresvolumens.
Elektroautos boomen in China
Dagegen baut China, der größte und wichtigste Automarkt der Welt, seinen Vorsprung nicht nur bei Neuzulassungen von Fahrzeugen mit Elektroantrieb immer weiter aus. Mittlerweile fährt weltweit gesehen jedes zweite Auto mit Elektroantrieb in China. Und auch die chinesischen Hersteller kommen schnell voran. Als echte Konkurrenz im eigenen Land müssen sie derzeit nur den US-amerikanischen Autobauer Tesla fürchten. Chinesische Autokäufer, darunter gerade die gutverdienenden, bevorzugen neuerdings einheimische Marken. Branchenführer ist BYD, die im ersten Halbjahr nach neuesten Zahlen des chinesischen Branchenverbandes CPCA 29 Prozent mehr reine Elektroautos als Tesla verkauften.
"In dem Markt findet eine Disruption statt", sagt VW-China-Vorstand Ralf Brandstätter. Er musste mit ansehen, wie Volkswagen als jahrzehntelanger Branchenführer von BYD im ersten Quartal von der Spitzenposition abgelöst wurde. Fast zwanzigmal mehr elektrifizierte Fahrzeuge als VW konnte BYD in China verkaufen. Um dem Trend entgegen zu wirken, versucht VW es jetzt mit einer Partnerschaft mit dem chinesischen Autobauer Xpeng, die die Bereiche Elektromobilität, Software und autonomes Fahren umfasst. Dafür beteiligen sich die Wolfsburger mit 700 Millionen Dollar an dem Startup. Geplant sind zunächst zwei Elektro-Modelle der Marke VW, die 2026 auf den chinesischen Markt gebracht werden sollen.
Deutsche Marken als Statussymbole
Neben dem Volkswagen-Konzern mit seinen Luxusmarken Porsche und Audi müssen auch Mercedes und BMW bangen. Die auf automobile Themen spezialisierte Beratungsfirma Berylls sieht in ihrer jüngsten Studie im Premium eine "Wachablösung in China". Im Verdrängungswettbewerb mit den traditionellen Oberklasse-Herstellern aus Deutschland zögen die Chinesen "auf der Überholspur vorbei".
"Für die deutschen Hersteller sind die Ergebnisse alarmierend", erläutert Willy Wang, Managing Direktor von Berylls Strategy Advisors China. "Denn die chinesischen Wettbewerber liegen in der Kundenwahrnehmung in sehr vielen Punkten klar vorn." Das Bild habe sich mit der Transformation hin zum E-Auto komplett gewandelt.
Früher galten deutsche Oberklassefahrzeuge als ideale Statussymbole für die aufstrebende Mittel- und Oberschicht in China. Einheimische Marken standen in dem Ruf, technisch rückständig und qualitativ wenig überzeugend zu sein.
Digitale Features sind Trumpf
Mittlerweile punkten Fahrzeuge aus chinesischer Produktion vor allem mit digitalen Features wie ausgefeilten Assistenz- und Infotainmentsystemen - kein Wunder, wenn man sich die Verkehrssituation in chinesischen Metropolen vergegenwärtigt. Bei klassischen Premium-Tugenden wie Komfort und Qualität seien sie in der Kundenwahrnehmung nahezu auf Augenhöhe oder leicht besser als die arrivierten Anbieter, heißt es in der Studie.
"Die deutsche Autoindustrie wird wahrscheinlich in Chinas Autosektor nicht mehr die gleiche dominante Rolle spielen wie in den vergangenen 20 Jahren", sagt auch der China-Experte Gregor Sebastian vom Merics-Institut im DW-Gespräch.
Technologie löse traditionelle Werte bei den chinesischen Kunden als Kaufgrund ab, so die Berylls-Studie. "Motiv für den Kauf deutscher Premiumfahrzeuge ist in erster Linie die Marke, während es bei chinesischen Premiumfahrzeugen vor allem um das Produkt geht.".
Kein deutscher Hersteller in den Top Ten
Kein Wunder, dass in China inzwischen 80 Prozent der batterieelektrisch angetriebenen Autos aus heimischer Produktion stammen. Unter den zehn erfolgreichsten Elektroauto-Anbietern ist allein Tesla als ausländischer Anbieter zu finden, deutsche Marken spielen dagegen keine Rolle mehr in diesem erlauchten Kreis.
Im gesamten chinesischen Automarkt, Fahrzeuge mit Verbrenner-Antrieb eingeschlossen, werden im Jahr 2023 zum ersten Mal seit Jahrzehnten chinesische Marken die ausländischen mit einem Marktanteil von 51 Prozent übertreffen. Bis 2030 wird dieser Anteil auf 65 Prozent steigen, prognostiziert das Beratungsunternehmen AlixPartners in seinem Global Automotive Outlook 2023.
China ist Automobil-Export-Weltmeister
Im Hinblick auf Europa heißt es dort, die Auto-Verkaufszahlen auf dem alten Kontinent würden langfristig um mehr als 15 Prozent unter den Vor-Corona-Werten liegen. Dabei würden die europäischen Hersteller zunehmend auch in ihren Heimatmärkten von chinesischen Herstellern mit Elektrofahrzeugen unter Druck gesetzt.
So habe China im 1. Quartal 2023 Japan als Automobil-Export-Weltmeister abgelöst - 2020 war China noch auf dem sechsten Platz in dieser Rangliste. Das asiatische Land sei als Absatzmarkt, Exporteur und Produktionsstandort gleichermaßen auf dem Vormarsch.
"China ist auf dem besten Weg zur automobilen Supermacht", sagt AlixPartners Automotive Experte Fabian Piontek. Die europäischen Hersteller hingegen gerieten in ihren angestammten Heimatmärkten zunehmend in die Rolle des Verteidigers von Marktanteilen. "Die Zeit der Rekordgewinne deutscher Automobilhersteller wird sich dem Ende zuneigen."