Deutscher Hörbuchpreis für Katharina Thalbach
12. März 2014"Die spricht nur einen Satz und Du weißt sofort, wer das ist: die Thalbach", fasst Annette Kurth das in Worte, was diese Schauspielerin so besonders macht. Die Hörspielregisseurin kennt die Tonlagen von Katharina Thalbach in all ihren Schattierungen von der Arbeit im Studio. Sie hat die Vollblut-Schauspielerin gerade wieder in ihrem neuesten Theaterstück "Roter Hahn im Biberpelz" in Berlin erlebt. Dort standen gleich drei Generationen der Familie Thalbach auf der Bühne: Mutter, Tochter, Enkelin. Alle mit der gleichen tiefgrundigen Stimme.
Berliner Schnauze
Nur wenigen Schauspielerinnen ist es vergönnt ohne Vornamen zu einer Marke zu werden. "Die Hörbiger zählt vielleicht noch dazu. Oder die Fendel," überlegt Regisseurin Kurth. Aber Katharina Thalbach bildet sich nichts darauf ein. Sie ist für alle, die mit ihr arbeiten: die Kathi. Kumpelhaft, schnodderig, voller Schalk im Nacken und von hoher professioneller Präzision. Und stimmgewaltig, wenn es um deutliche Worte geht. Je nachdem wie es die Rolle verlangt in perfektem Hochdeutsch oder mit frecher Berliner Schnauze. Auch beim Einsprechen der unzähligen Hörbucher nutzt sie lustvoll dieses Repertoire, wie zum Beispiel "Der kleine Prinz" von Antoine Saint-Exupéry.
"Wahrscheinlich habe ich das Lesevirus, denn ich habe schon immer leidenschaftlich vorgelesen, aber auch mit Freude vorgelesen bekommen", scherzt sie im Interview. Immerhin sind von ihr über 200 Titel in der Deutschen Nationalbibliothek gelistet, ein stattliches Lebenswerk, das der diesjährigen Jury des Deutschen Hörbuchpreises eine besondere Auszeichnung wert war: "Katharina Thalbach ist eine Ausnahmeerscheinung. So unterschiedlich all diese Hörbücher sind, sie versteht es, jeden Text alleine mit ihrer Stimme zu inszenieren und ihm seine eigene Bühne zu bereiten."
Berliner Theaterkind mit Talent
Gelernt hat sie das Handwerk dieser Sprachkunstfertigkeit von klein auf: sie ist ein Theaterkind, ihre Krabbelstube in den 50er Jahren das berühmte "Berliner Ensemble" im Osten der geteilten Stadt. "Das Pupperl" macht die Garderoben zu ihrem Spielzimmer, ihre Märchenstunde sind die Theaterproben. Ihre Mutter, Sabine Thalbach, spielt dort als Brecht-Schauspielerin. Ihr Vater, der bekannte Regisseur Benno Besson, ist nur selten da. Katharina ist gerade 12, als die Mutter stirbt.
Von da an übernimmt die Intendantin des Brecht-Ensembles, Helene Weigel, ihre künstlerische Erziehung. Katharina spielt als Elevin erste kleine Rollen. "Ich weiß noch bei meiner ersten Probe hatte ich nur zwei Sätze zu sagen, aber ich war zu leise. Sie hat mich angeschrien und von der Bühne geschickt: ab zur Sprecherziehung." Aber das hat ihr offenbar gut getan. Mit 15 bekommt sie eine Hauptrolle: die "Polly" in der "Dreigroschenoper" von Brecht.
Szenenwechsel: Ausreise in den Westen
1970 lernt die junge Katharina Thalbach in Ost-Berlin den Schriftsteller und Lyriker Thomas Brasch kennen - und verliebt sich in ihn. "Ein wilder Typ mit langen Haaren und einer wunderbaren Stimme," erinnert sie sich. Als Schauspielerin wird sie in den nächsten Jahren für zahlreiche Defa-Filme ("Lotte in Weimar", "Die Leiden des jungen Werther") engagiert. Aber nach den Protesten gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann, müssen Brasch und sie 1976 die DDR verlassen und ausreisen. "Aus Liebe", wie sie immer betont, nicht aus politischen Gründen.
Auch in West-Berlin wird sie schnell bekannt - durch ihre Theaterarbeit, durch Lesungen und ihre Filme. 1979 macht ihr Bauchnabel sie international bekannt: als Kindermädchen des kleinwüchsigen Oskar Matzerath im oscarprämierten Kinofilm "Die Blechtrommel" (Regie: Volker Schlöndorf). Aber trotz ihres Erfolges bleibt das Künstlerleben in der BRD für sie schwierig: "Es drehte sich alles um Ruhm und großes Geld. In der DDR, wo ich aufgewachsen bin, ging es um das, was man leistete. Diese Oberflächlichkeit kannte ich nicht," erklärt sie später.
Männerrollen in Uniform
1987 wechselt sie ins Regiefach und landet mit ihrer feministisch-frechen Version des "Macbeth" von Shakespeare einen Bühnenhit, der ihr viel Anerkennung einbringt. Schnell steigt sie in die Meisterklasse der Theaterregisseure auf, inszeniert Opern und am Maxim-Gorki-Theater Klassiker wie "Der Hauptmann von Köpenick". Als Hauptdarsteller Harald Juhnke wegen seiner Alkoholexzesse indisponibel ist, springt sie ein und spielt mit Bravour diese Männerrolle - einer ihrer größten Erfolge.
Bühnenstücke von Shakespeare folgen: "Romeo und Julia" - in der kongenialen Übersetzung von Thomas Brasch, die sie wie "Macbeth" und "Wie es euch gefällt" auch als Hörbuch einliest. Thalbachs Lese-Repertoire ist beeindruckend: Hörbücher-Klassiker wie Franz Kafkas "Der Prozess" spricht sie genauso lebendig und unterhaltsam wie Kinder-Hörbücher oder Gedichte von Joachim Ringelnatz oder Ingeborg Bachmann.
Schauspielerin mit Reibeisenstimme
Für einen ARTE-Fernsehfilm konnte "die Thalbach" 2012 nochmal ihr ganzes Können ausspielen: als preussischer Soldatenkönig Friedrich der Grosse - zusammen mit ihrer Tochter Anna als junger König. Eine andere historische Männerrolle würde sie gern noch mal verkörpern: "Richard III. oder ein schöner "Hamlet" wäre auch nicht schlecht." Aber ihre Lieblingsfigur im Film ist schon vergeben, obwohl sie die wunderbar spielen könnte: die Gelsomina in Fellinis Filmklassiker "La Strada" (1954) – die kluge Clownsfrau mit den Riesenkulleraugen eines Kindes.
Mit der Auszeichnung "Deutscher Hörbuchpreis" für ein Lebenswerk, der auf der Gala zum Start der Lit.Cologne überreicht wurde, fühlte sich die renommierte Schauspielerin (60) sehr geehrt. Statt einer Leseprobe rockte sie live auf der Bühne den berühmten "Mackie-Messer-Song" aus der "Dreigroschenoper". Sie sieht sich nicht als Sprecherin: "Man muss ganze Welten herstellen mit der Stimme, ja in gewisser Weise sprachliche Landschaften entstehen lassen," hat sie das in einem Interview erklärt. Sie selbst gönnt sich Hörbücher am liebsten im Auto. "Da fahre ich viel entspannter und auch schon Mal langsamer, um unbedingt noch das Ende eines Hörbuches zu genießen."
Infos zum Deutschen Hörbuchpreis 2014:
Der Deutsche Hörbuchpreis geht an: Laura Maire (Thriller: "Schattengrund") als beste Interpretin und Frank Arnold (Romanlesung "Landgericht") als bester Interpret. Bestes Hörspiel ist "Orphée Mécanique" von Felix Kubin. In der Kategorie "Das besondere Hörbuch""wird Aldous Huxleys neu übersetzter Klassiker "Schöne neue Welt", gelesen von Matthias Brandt, ausgezeichnet. Preisträger in der Kategorie Sachbuch ist das Feature "Fallbeil für Gänseblümchen. Der Spionageprozess gegen Elli Barczatis und Karl Laurenz im Originalton".