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Auswirkungen der Atomtests in Semipalatinsk

28. August 2003

Betroffen sind vor allem Schwangere und Kinder

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Bonn, 27.8.2003, DW-radio / Russisch

Nach Angaben des kasachischen Nationalen Atomzentrums wurden etwa 70 Prozent aller Atomversuche der Sowjetunion auf dem Territorium des Landes vorgenommen, die meisten davon auf dem Testgelände in Semipalatinsk, darunter auch 113 Versuche in der Atomsphäre und am Boden. Dort wurden Atom- und Wasserstoffbomben gestestet. Die kasachischen Wissenschaftler, aber auch ausländische, schenken nun der Erforschung und Beseitigung der Folgen der Atomversuche große Aufmerksamkeit. Vor kurzem hatte die Europäische Kommission für die Sanierung der Region vier Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Britische und amerikanische Wissenschaftler beobachten gemeinsam mit ihren kasachischen Kollegen die Gebiete, die am gefährlichsten sind und sich in der Nähe von Siedlungen befinden. Ortsansässigen Ärzten und Ökologen zufolge kann man den Gesundheitszustand der Menschen, die auf dem Gebiet des ehemaligen Testgeländes leben, auch heute bei weitem nicht als normal bezeichnen. Einzelheiten von unserer Korrespondentin in Almaty, Jewgenija Wyschemirskaja:

In der Region Semipalatinsk sind von 100 schwangeren Frauen nur zehn gesund. Informationen der Nachrichtenagentur Kazakhstan Today zufolge nannte diese Zahlen die Chef-Gynäkologin des städtischen Gesundheitsamtes Asylschan Chabischanowa. Ihren Worten nach leiden 60 Prozent der Gebärenden an Einsenmangel, 27 bis 29 Prozent an Gestosen, deren schwere Form sowohl bei der Mutter als auch beim Kind zum Tode führen kann. Bei vielen Frauen werden auch Hypertonie, Hypotonie und Herzfehler festgestellt. Außerdem steigen unter schwangeren Frauen Erkrankungen an Tuberkulose. Asylschan Chabischanowa betonte, dass die meisten Frauen, die schwere Erkrankungen während der Schwangerschaft aufweisen, auf dem Lande leben.

Nach Ansicht der Leiterin des kasachischen Soziologen- und Politologenverbandes, Bachytschamal Bekturganowa, gefährdet der Umweltzustand in Kasachstan insgesamt die Gesundheit der Bevölkerung, in erster Linie die der Kinder und die der Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter. Ihr zufolge ist eine solche Situation, die fast schon katastrophal ist, nicht nur in der Region Semipalatinsk zu beobachten:

"Den Einfluss, den die Umweltsituation in unserem Lande auf die Gesundheit der Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter nimmt, kann man heute gar nicht nachvollziehen und bewerten. Praktisch alle Frauen, die im geburtsfähigen Alter sind, gehören zur Gruppe von Menschen, die einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums sind in Kasachstan nur 20 Prozent der Frauen gesund und in einigen Regionen, wie der Region um den Aralsee und in Semipalatinsk, sogar nur zehn Prozent.

Besonders umweltverschmutzte Gebiete nehmen im Lande eine gewaltige Fläche ein. 1500 Unternehmen verwenden in Kasachstan radioaktives Material. Insgesamt handelt es sich dabei um eine Masse von 420 Millionen Tonnen. Allein auf dem Gebiet des Testgeländes in Semipalatinsk sind etwa zwei Millionen Hektar landwirtschaftlicher Fläche radioaktiv verseucht.

In der Region Semipalatinsk ist die Geburtenrate in den vergangenen zehn Jahren um 35 Prozent gefallen. 15 bis 18 Prozent der kasachischen Familien leiden an Unfruchtbarkeit und 70 bis 80 Prozent der kasachischen Frauen leiden an Anämie. Jedes dritte Kind wird krank geboren. Mehr als 60 Prozent der Kinder kommen krank auf die Welt. Heute gibt es im Lande praktisch keine gesunden Kinder und keine gesunden Frauen. Bis heute ist die Vernichtung des sogenannten Weltraum-Mülls und die Beseitigung der negativen Auswirkungen des Weltraumbahnhofs Bajkonur auf die Umwelt ungeklärt. Es handelt sich um 11 000 Tonnen Schrott der Weltraumfahrt!" (...) (MO)