Ausstellung "Scham. 100 Gründe, rot zu werden"
Die Blutgefäße erweitern sich, wir erröten und möchten am liebsten im Erdboden versinken. Aber warum, was steckt hinter diesem Gefühl der Scham? Ein Ausstellung des Dresdner Hygiene-Museums erforscht die Gründe.
Bruce Richards: Grand Tour
1857 erhielt die englische Königin Victoria von einem italienischen Herzog eine Kopie des David von Michelangelo geschenkt. Die Queen war von der Nacktheit der Skulptur so schockiert, dass sie das Geschlecht der Figur mit einem Feigenblatt bedecken ließ. "Grand Tour" von 2014 (Edelstahl) ist diesem Blatt nachempfunden. Das Feigenblatt symbolisiert seit Adams und Evas Sündenfall die Scham.
Schamkapsel
Mitte des 16. Jahrhunderts wurden die Schamkapseln an den Harnischen der Ritter und Landsknechte betont und nicht etwa verschämt versteckt. Hier ein Exemplar von ca. 1550 aus dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Das Gefühl der Scham ist zwar universell, verbindet sich aber mit den Normen seiner Zeit und Kultur – und der unterschiedlichen Regulierung des zwischenmenschlichen Blicks.
Schandmaske
Scham und Schuld: Die Schandmasken des 17. Jahrhunderts sollten beides ausdrücken. Schwätzende Frauen mussten Masken mit übergroßen Mündern tragen, Masken für Klatschsüchtige wiesen oft riesige Ohren auf. Das Pendant für Männer war eine Schandmaske in Form eines Sauschädel oder -rüssels. Die Bestraften mussten sich den Blicken ihrer Mitmenschen öffentlich aussetzen.
Venus Medici
Scham hat eine Doppelrolle: Sie kann schützen und zerstören. Gesunde Scham schützt die persönliche Würde und Integrität, sie hält den kulturellen Sittenkodex aufrecht. Die Psychoanalyse hat sich mit dem menschlichen Schamgefühl auseinandergesetzt. Sigmund Freud sah die Scham als Reaktion auf das Entblößtsein, als "Sexualschranke" gegen Voyeurismus und Exhibitionismus.
Röntgenuntersuchung
Der Mensch wird gläsern, verliert den Schutz der äußeren Haut. Doch man schämt sich gegenüber Menschen, von denen man sich abhängig fühlt, will der Situation entfliehen, fühlt sich aber fixiert und gelähmt. Auch schon 1896, als das Foto entstand, ging es darum, die Würde und Selbstachtung des Individuums zu respektieren und destruktive Beschämung zu vermeiden.
Fotos eines Voyeurs
Diese geheimen Foto-Blicke unter den Rock von Frauen finden sich in einer kriminalpolizeilichen Dokumentation von 1963. Sie zeigen einen Verstoß gegen eine stillschweigende Übereinkunft, den Verlust des Ehrgefühls. Sie sind unmoralisch, indem sie die Schamgrenze der Frauen missachten. Diese Grenze regelt den Umgang der Menschen miteinander, häufig unterhalb der Oberfläche des offen Gesagten.
Valie Export: Tapp- und Tastkino
Auch hier ging es um Voyeurismus: Die Künstlerin Valie Export performte 1968 ihr "Tapp- und Tastkino" auf dem Münchner Stachus als Zeichen "gegen den Betrug des Voyeurismus". Ihr Auftritt war Kritik an einem Bilderkonsum, der Präsentation von weiblichen Körpern in Pornografie und Populärkultur. Anders als im Kino lieferte sich der nackte Körper der Künstlerin den Blicken nicht passiv aus.
Jörg Buttgereit: Mein Papi 1981 - 1985
Der Berliner Filmemacher Jörg Buttgereit wurde durch seine punkigen Trashfilme zur Legende. Einer seiner frühen, anarchistischen Kurzfilme ist der später preisgekrönte Super-8-Film "Mein Papi". Die gnadenlose Studie über den eigenen Vater ist eines der Videos in der Ausstellung, die sich mit Geschlechterrollen und Vorstellungen von Scham und Schamlosigkeit beschäftigen.
Christian Jankowski: Schamkasten
1992 zeigte der damals erst 24-jährige Christian Jankowski mit "Schamkasten" Menschen, die sich im Schaufenster seiner Hamburger Ladenwohnung zu den Dingen, für die sie sich schämten, bekannten. "Ich schäme mich für die maßlose Rücksichtslosigkeit und Borniertheit der Menschen" war auf einer anderen der Tafeln des subversiven Konzeptkünstlers zu lesen.
Joanna Rytel: Animal Performance
Die schwedische Performance- und Videokünstlerin Joanna Rytel versetzt ihre Zuschauer in die Rolle des Voyeurs. In einer Reihe früher Arbeiten tanzte sie vor Tieren, so auch in diesem 12-minütigen Video von 2002. Sie tanzte oder strippte vor Tieren, die in Gefangenschaft gehalten wurden. Wer beobachtet wen und warum? Die Künstlerin provoziert - jenseits des guten Geschmacks.
Jan M. Sieber, Ralph Kistler: Monkey-Business
Was hatte die interaktive Installation von Ralph Kistler und Jan M. Sieber aus dem Jahr 2011 mit Scham zu tun? Ein computergesteuerter Spielzeugaffe imitiert die Bewegungen seines Betrachters. Elegant oder zappelnd provoziert er sein Publikum zu immer neuen Verrenkungen – bis am Ende die Frage stehen bleibt: Wer hat hier eigentlich die Kontrolle? Wer zieht die Strippen?
Megumi Igarashi: Vagina Kayak
Die japanische Künstlerin lotete 2014 die Schamgrenzen ihrer Kultur aus: Sie verkaufte 3D-Druckdateien ihrer eigenen Vagina, um mit den Einnahmen ein nach ihrer Vagina gestaltetes Kajak zu finanzieren. Dafür wurde sie verhaftet und mit einer Geldstrafe belegt. Igarashi weigerte sich zu zahlen, weil ihrer Meinung nach die weibliche Anatomie nicht obszön ist. Die Öffentlichkeit sah das genauso.