"Gottbegnadete": NS-Künstler nach dem Krieg
27. August 2021Kunst und Kultur waren im Nationalsozialismus elementare Propagandainstrumente des Regimes. Die Nazis bestimmten, was möglich war, und definierten den Kunstbegriff in engen, oft völkischen Grenzen. Viele Künstlerinnen und Künstler erhielten Arbeitsverbote oder wurden verfolgt, unzählige flüchteten ins Exil. Ein enger Kreis war für die Propaganda dagegen so wichtig, dass er sogar noch in der Endphase des Zweiten Weltkriegs als "unabkömmlich" galt und vom Fronteinsatz oder Arbeitsdiensten verschont blieb.
Propaganda wichtiger als Fronteinsatz
Grundlage dafür war eine 1944 von Adolf Hitler und Propagandaminister Joseph Goebbels zusammengetragene Aufstellung. Einem Teil dieser Auserwählten widmet sich das Deutsche Historische Museum (DHM) in Berlin mit der Ausstellung "Die Liste der 'Gottbegnadeten'. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik".
"Ihre Bedeutung für die Propaganda wurde höher veranschlagt als ein Einsatz an der Front", sagte DHM-Präsident Raphael Gross auf einer Pressekonferenz in Berlin. "Ihr visueller Beitrag zur NS-Ideologie war immens." Deshalb sei es überraschend, dass diese Künstler trotz ihrer Verstrickung in den antisemitischen Kunstbetrieb der Nazis ihre Karrieren nach 1945 fortsetzen konnten.
Der Kurator und Kunsthistoriker Wolfgang Brauneis spricht daher von einem "revisionistischen Projekt", das mit dem Irrtum aufräume, mit dem Beginn der Bundesrepublik sei auch ein kunstpolitischer Neuanfang erfolgt.
Aufträge von der Bundesrepublik
Die Schau konzentriert sich auf 378 bildende, allesamt männliche Künstler auf der Liste, die insgesamt rund 1000 Personen umfasste, auch aus den Bereichen Architektur, Literatur oder Schauspiel. Dabei geht es explizit um das Schaffen der Künstler nach dem Ende des Nationalsozialismus. Auch in der jungen Bundesrepublik erhielten die einst für die NS-Propaganda ausgewählten Künstler Aufträge von Staat, Wirtschaft und Kirche, sie lehrten an Kunstakademien und nahmen an Wettbewerben teil.
An manchen Beispielen wird die Widersprüchlichkeit besonders deutlich. Neben Skulptur-Arbeiten für das Olympiastadion in Berlin hatte der Bildhauer Willy Meller im Nationalsozialismus zahlreiche Reliefs von Reichsadlern hergestellt - und wurde 1952 dennoch mit der Anfertigung eines Bundesadlers für das Palais Schaumburg in Bonn beauftragt, dem damaligen Amtssitz des Bundeskanzlers. Sogar für die 1962 eröffnete NS-Gedenkstätte in Oberhausen trug Meller eine Skulptur bei.
Mit Hans Breker, Bruder von Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker, schuf später ausgerechnet ein von den Nationalsozialisten protegierter Künstler eine Karl-Marx-Büste in Moskau sowie ein Mahnmal für die Opfer der NS-Gewaltherrschaft in Wesel.
Entsprechend verhandelt die Ausstellung sowohl die Anpassungsfähigkeit der Künstler an die politischen Systeme als auch den unkritischen Umgang mit ihrem Erbe. Rund 300 Skulpturen, Gemälde, Gobelins, Modelle, Zeichnungen, Fotografien, Film- und Tondokumente sowie Plakate und Medienberichte zeugen davon, wie Netzwerke nach dem Krieg fortbestanden und sich "Gottbegnadete" bis in die 1970er-Jahre gegenseitig mit Aufträgen versorgten - ohne das dies in der Öffentlichkeit diskutiert oder gar kritisiert wurde.
Die Ausstellung "Die Liste der 'Gottbegnadeten'. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik" ist vom 27. August bis 5. Dezember 2021 im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen.