Ausstieg schwierig
11. Dezember 2012Im heutigen Bangladesch geboren, später in Großbritannien sesshaft geworden, geriet der junge Informatik-Student Muhammad Manwar Ali in extremistische Kreise der britischen Islamic Society. Was dann folgte waren Ausbildungslager in Afghanistan, bewaffnete Kämpfe an mehreren Fronten – im Namen "Allahs". Heute setzt sich Muhammad Manwar Ali für die Verständigung zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen ein. Er gilt als angesehener Gesprächspartner von Bildungs- und Polizeibehörden und warnt vor den Gefahren salafistischer Indoktrinierung. Doch bis zu diesem Sinneswandel war es ein langer Weg, sagt er. "Im Laufe der Zeit haben wir die Dinge langsam durchschaut: die Korruption innerhalb der dschihadistischen Bewegung, die Art und Weise, wie wir politisch manipuliert wurden." Den Islam sieht er inzwischen differenzierter. "Ich habe verstanden, dass es alternative Lesearten gibt, dass Textauslegungen von der jeweiligen Kontextualisierung abhängig sind."
Pop-Dschihad als Jugendkultur
Anhänger des Salafismus, der ultrakonservativen Strömung innerhalb des Islams, interpretieren den Koran meist wortwörtlich. Im Unterschied zur Mehrheit der Muslime, sehen sie das Praktizieren des "einzig wahren Islams" in einer Lebensführung wie einst zu Zeiten des Propheten Mohammeds. Die salafistische Bewegung als solche ist jedoch durchaus heterogen: Puristische Anhänger leben ihren Glauben ausschließlich im privaten Bereich. Politisch engagierte Salafisten unterscheiden sich dadurch, dass sie Gewalt befürworten oder ablehnen. Nur vergleichsweise wenige sind tatsächlich zu Gewaltakten bereit.
Ein Gefährdungspotenzial für labile Jugendliche sieht Islamismus-Expertin Claudia Dantschke in den "Pop-Dschihadisten" der dritten Generation, die sich durch eine gewisse Kreativität auszeichneten. Darunter auch der Rapper Asadulla, der mit seiner Comic-Serie "Supermuslim" durchaus die Gefühle der Jugendlichen anspreche, so Claudia Dantschke. Im Internet gäbe es aktuell auch eine Präsenz einer Seite, die mit Grafiken für die salafistische Lehre wirbt. Die Botschaften erinnerten in ihrer Machart an Werbetexte, die für einige Jugendliche durchaus ansprechbar seien.
Aussteigerprogramme greifen nicht
Als Jugendkultur ist der "Pop-Dschihad" gerade erst im Entstehen. Bei der Missionierungsarbeit spielt das Internet eine zentrale Rolle, ebenso wie Vortragsveranstaltungen im ganzen Bundesgebiet und darüber hinaus. "Salafisten wie der türkischstämmige Mohammed Ciftici haben zunehmend eine gewisse Deutungshoheit, wenn es darum geht, Jugendlichen den Islam zu erklären", sagt Islamwissenschaftler Götz Nordbruch. Geraten junge Menschen dann in solche Zirkel, sind Eltern und Lehrer oft überfordert. Seit 2012 gibt es zwar ein Aussteigerprogramm, doch es greift offenbar kaum. "HATIF" – Heraus aus Terrorismus und islamistischem Fanatismus – ist eine Hotline, die Ausstiegswilligen Hilfe anbieten will. Doch dort rufe keiner an, sagt Claudia Dantschke, "weil es auch angedockt ist am Verfassungsschutz, glaube ich. Es ist nicht die richtige Stelle." Nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz sei die "Resonanz nicht besonders groß". Aber es gibt auch erste alternative Ansätze. Diplom-Psychologe Ahmad Mansour verweist auf ein Projekt vom "Zentrum Demokratische Kultur" in Berlin, wo versucht wird, über eine professionelle Begleitung von Angehörigen auf die gefährdeten Jugendlichen einzuwirken.
Dennoch mangele es an breit angelegter Präventionsarbeit. "Was wir brauchen sind Konzepte. Umfangreiche Konzepte, die nicht im Umfeld des Sicherheitsapparats funktionieren, sondern innerhalb der Community." In den Schulen oder Moscheegemeinden müssten Jugendliche aufgefangen werden und nötigenfalls Hilfestellungen beim Ausstieg erhalten.
Wenig Konzepte für Inhaftierte
Defizite gibt es offenbar auch im Bereich der Gefängnisse. Im Rahmen kleinerer Modellprojekte mit einem Fokus auf Antigewalttraining versuche man einsitzenden Dschihadisten zu begegnen, sagt Claudia Dantschke. "Generell fehlt mir aber dieses Bewusstsein, dass Gefängnis ein ganz wichtiger Raum ist, wo man professionelle Projekte viel stärker hineinbringen muss." Die Zeit in den Gefängnissen müsste besser genutzt werden, um diese jungen Menschen zu einem Umdenken zu bewegen, damit "sie eben nicht als gestählte islamistische Ideologen aus dem Gefängnis heraus kommen und so Märtyrer sind für die Szene". In Großbritannien gäbe es zwar Deradikalisierungsprogramme in Form von persönlichen Gesprächen mit den Gefangenen, so Muhammad Manwar Ali. Deren Wirksamkeit sei jedoch fragwürdig, da die Gespräche auf freiwilliger Basis stattfänden und jederzeit abgebrochen werden könnten. Staat und Gesellschaft müssten viel mehr daran arbeiten, dass junge Menschen gar nicht erst zum Opfer radikaler Prediger würden.