Ausländische Kämpfer an nordsyrischer Front?
26. Januar 2018Welche Rolle spielen syrische und ausländische Kämpfer bei der türkischen Militäroffensive gegen die Kurden in Nordsyrien? Und wie verläuft die Invasion bisher? Fragen an Rami Abdel Rahman, den Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte.
DW: Seit rund einer Woche läuft die türkische Militäroffensive gegen die sogenannten Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG). Welche Informationen haben Sie über den bisherigen Verlauf?
Rami Abdel Rahman: Die türkische Militäroffensive verläuft über zehn Achsen im Norden und Westen von Afrin. Die türkische Armee und die sie unterstützenden Truppen von der Freien Syrischen Armee (FSA) kommen sehr langsam voran wegen des erbitterten Widerstands der kurdischen Kämpfer: In sechs Tagen konnten sie nur zwei Dörfer erobern, sowie Teile von fünf weiteren Dörfern. Das ist sehr gering, verglichen mit der Anzahl und Intensität ihrer Luftschläge und mit ihren Ansagen am Anfang der Operation. In Wirklichkeit haben sie kaum die türkische Grenze zu Afrin überschritten. Entgegen der Bekanntgaben der Kriegsparteien konnten unsere Quellen bisher 133 Tote bestätigen: 47 kurdische Kämpfer, 51 von der FSA und 4 türkische Soldaten. Bei den Zivilisten gibt es 31 Tote durch türkisches Feuer und zwei durch kurdischen Beschuss.
Die Kurden erklären, dass sie jetzt Kämpfer aus den syrischen Städten Rakka und Deir al-Sor abziehen, um ihre Reihen in Afrin zu verstärken. Wie ist das möglich, wenn man bedenkt, dass Afrin von den restlichen kurdisch kontrollierten Gebieten abgetrennt ist?
Der einzige Weg führt über die vom Regime kontrollierten Gebiete, über zwei Ortschaften nordwestlich von Aleppo, um genau zu sein. Es gibt Informationen, wonach das Regime den Kurden erlaubt, seine Straßensperren zu passieren, solange sie unbewaffnet und als Zivilisten erkennbar sind. Meine Kontaktpersonen an Ort und Stelle haben bisher aber keinen erhöhten Zustrom von Männern in dem Gebiet gemeldet.
"Keine ausländischen Kämpfer in Afrin"
Wie glaubwürdig ist dann die Meldung der YPG, sie würde dutzende ihrer ausländischen Kämpfer in die Schlacht um Afrin schicken?
Diese ausländischen Kämpfer sind vor allem gekommen, um gegen den IS zu kämpfen. In Afrin selbst gibt es nach unseren Informationen bisher keine ausländischen Kämpfer. Abgesehen davon würde ihre Anwesenheit auch nichts am Kampfgeschehen ändern. Sie ist lediglich von symbolischem Wert und dient dazu, die öffentliche Meinung weltweit zugunsten der YPG zu mobilisieren.
Was ist mit der türkischen Seite, wer kämpft da mit?
Das sind hauptsächlich arabische und turkmenische Fraktionen der FSA aus Aleppo, Idlib und Deir al-Sor. Es wird behauptet, dass die (Al-Kaida-nahe) Al-Nusra-Front sich auch den Kämpfern gegen die YPG angeschlossen hätte, das stimmt aber nicht. Falsch sind nach unseren Informationen auch Behauptungen, wonach sich tschetschenische Einheiten dem Kampf gegen die YPG angeschlossen hätten. Bisher kämpfen auf Seiten der türkischen Armee nur Syrer.
Es kursieren Informationen in den sozialen Medien, wonach syrische Flüchtlinge in türkischen Flüchtlingslagern unter Druck gesetzt würden, sich der FSA im Kampf gegen die Kurden anzuschließen. Können Sie dies bestätigen?
Wir haben Anrufe von kurdischen Aktivisten erhalten, die das behaupteten. Unsere Informanten konnten das jedoch nicht verifizieren. Der türkische Staat mobilisiert nach unserer Kenntnis keine Flüchtlinge für die FSA. Das ist auch gar nicht nötig. Denn die FSA zählt westlich des Euphrat und in den ländlichen Gebieten westlich von Aleppo schon jetzt rund 20.000 Mann - zahlenmäßig genug für Afrin. Das ist Bestandteil des Informationskrieges der kurdischen Kämpfer.
Der erklärte Gegner der FSA war immer das Regime von Präsident Baschar al-Assad. Warum ziehen sie ihre Kämpfer für die Afrin-Offensive aus den umkämpften Gebieten in Idlib ab und kämpfen nun gegen die Kurden?
Das liegt daran, dass keine von diesen Gruppen wirklich für Syrien kämpft! Sie haben alle eine ausländische Agenda. In diesem Fall die des türkischen Präsidenten Recep Tayyib Erdogan. Sie haben weder gegen den IS noch gegen das Regime in Deir al-Sor gekämpft, aber beteiligen sich jetzt am Angriff gegen die Kurden! Einige der Kämpfer wurden vom Regime aus Homs vertrieben, kämpfen jetzt aber in Afrin! In Idlib hat das Regime in den vergangenen Wochen 320 Dörfer erobert und die betroffenen Kämpfer sind jetzt ebenfalls in Afrin. Es stimmt zwar, dass sich viele Oppositionsfraktionen an der YPG für Übergriffe auf die arabische Bevölkerung rächen wollen und wir haben auch über diese Übergriffe berichtet. Sie waren aber bei weitem nicht so heftig wie von türkischen und katarischen Medien behauptet.
"Der einzig wahre Feind der Türkei in Syrien sind die Kurden"
Einige Beobachter sagen, die Kurden wären bereit, Baschar al-Assad Afrin zu überlassen - bevor es den Türken in die Hände fällt. Ist das glaubhaft?
Das verlangen in Wirklichkeit die Russen! Die Russen setzen die Kurden unter Druck, damit sie Afrin dem Regime überlassen. Moskau will nämlich, dass alle Gebiete westlich des Euphrat von Damaskus kontrolliert werden. Weil die Kurden dies aber ablehnten, gaben die Russen Ankara grünes Licht für ihre Offensive gegen Afrin. Sie wollen den Widerstand der Kurden brechen, damit sie diese Gebiete aufgeben. Und die USA tun auch nichts dagegen.
Warum sollte die Türkei denn bereit sein, Russland und dem Regime in die Hände zu spielen? Präsident al-Assad ist doch auch Ankaras erklärter Feind?
Der einzige wahre Feind der Türkei innerhalb Syriens sind die Kurden. Die Türkei hat bereits 2011, und das haben wir immer wieder gemeldet, ihre Grenze für dchihadistische Kämpfer geöffnet. Alles, was den Kurden schadet, findet die Unterstützung der Türkei. Vor über einem Jahr hat sie ihre Kämpfer aus dem vom Regime umzingelten Ost-Aleppo abgezogen, um sie gegen die YPG in Stellung zu bringen und zu verhindern, dass sie Afrin mit ihren restlichen kurdischen Gebieten vereinen können. Damit haben sie al-Assad faktisch Aleppo übergeben.
Welche Szenarien erwarten die syrischen Kurden jetzt?
Sie werden bis zum Ende kämpfen. Eine andere Alternative haben sie nicht. Wären sie bereit, sich dem russischen Druck zu beugen, dann hätten sie das längst getan. In Afrin gibt es etwa 1,1 Mio Zivilisten: 600.000 Kurden und 500.000 arabische Flüchtlinge. Die YPG verfügt dort über etwa 10.000 Kämpfer.
Wird sich die Türkei mit Afrin begnügen oder ist zu erwarten, dass sie weitere Offensiven, etwa gegen Manbij oder gar östlich des Euphrat, führt?
Warten wir erst einmal ob, ob die Türkei überhaupt in Afrin siegt. Ich glaube eher, dass ihr dort das gleiche Schicksal beschieden sein wird wie dem IS 2015, als die Kurden ihn in Kobane besiegten.
Rami Abdel Rahman ist Leiter der oppositionsnahen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in Großbritannien. Die Organisation stützt sich auf ein Netz von Aktivisten und Informanten in Syrien. Ihre Angaben genießen bei vielen internationalen Medien und Experten Glaubwürdigkeit, können wegen der gefährlichen Sicherheitslage in Syrien aber im Regelfall nicht von unabhängiger Seite überprüft werden.
Das Gespräch führte Bachir Amroune und Siham Ouchtou.