"Ausländer gelten per se als Spione"
17. Dezember 2013Die Schwierigkeiten, aus Syrien zu berichten? "Wissen Sie, es würde mindestens ein Jahr dauern, um all unsere Probleme zu skizzieren!" Majid lächelt. Dann zählt der syrische Journalist doch auf: Die ständige Angst, entführt und getötet zu werden oder die Sorge, ob ein Interviewpartner nicht doch mit der Geheimpolizei des Assad-Regimes zusammenarbeitet und den Journalisten verrät - Die Liste ist lang: Syrien gilt derzeit als gefährlichstes Land für Journalisten. Nach Schätzungen von Reporter ohne Grenzen haben seit Beginn der seit fast drei Jahren anhaltenden Proteste gegen Präsident Baschar al-Assad mindestens 120 Journalisten und Blogger ihr Leben verloren. Über 80 Prozent der Tötungen wurden durch das Assad-Regime begangen, das ergeben die Recherchen der Nichtregierungsorganisation, mehr als die Hälfte durch gezielte Tötungen. Mehr als 60 Journalisten wurden außerdem inhaftiert oder entführt, darunter derzeit mindestens 13 ausländische Journalisten. Auch Familienangehörige sind nicht sicher: Majid arbeitet für den Exil-Radiosender Baladana FM mit Sitz in Jordanien. Seit ein paar Monaten lebt er in Deutschland. Doch weil seine Familie noch in Syrien lebt, möchte er nur seinen Vornamen in der Presse sehen.
Doch neben den Scharfschützen und Regimeschergen, gibt es seit einigen Monaten eine neue Gefahr für Journalisten im Bürgerkriegsland: Entführungen. Journalisten werden immer öfters von Rebellen der Al-Nusra-Front und dem Islamischen Staat im Irak und Levant (ISIS), zwei Al-Kaida-nahen Gruppierungen, verschleppt. Es sei nicht klar, was diese mit den Enführungen erreichen wollten, sagt Christoph Dreyer von Reporter ohne Grenzen, denn in vielen Fällen gebe es keine Lösegeldforderungen. Klar sei lediglich, dass sie "Angst und Schrecken unter allen verbreiten, die berichten wollen." Bei dem Versuch, die Berichterstattung aus Syrien zu steuern, gingen dschihadistische Rebellengruppen genauso "rücksichtslos und brachial“ wie das Assad-Regime vor.
"Risiko, für immer zu verschwinden"
"Ausländer gelten per se als Spion", versucht Alexander Bühler die Entführungen zu deuten. Der freie Journalist berichtet seit Anfang des Aufstandes gegen das Regime immer wieder verdeckt aus Syrien. Das letzte Mal war er im April dieses Jahres in Aleppo. In den vom Regime kontrollierten Gebieten habe er immer vorsichtig sein müssen, erzählt Bühler, der sich bei seiner ersten Reise nach Damaskus als Autohändler ausgab. Er habe nur Menschen, denen er völlig vertrauen konnte, erzählt, dass er Journalist sei. Anders in den Rebellengebieten: Anfangs hätten ausländische Journalisten wie er sich dort frei bewegen und selbst auf offener Straße Interviews führen können. Jetzt aber trauen sich ausländische Journalisten kaum noch ins Land: "Man kann nicht nach Syrien rein, ohne das Risiko in Kauf zu nehmen, für immer zu verschwinden." Bei seinem letzten Besuch in der Region im Dezember sei er deshalb gar nicht über die Grenze nach Syrien gereist.
Der Grund: Die islamistischen Gruppen, die Ausländer kidnappen, kontrollieren immer größere Teile der Rebellengebiete, die Fronten, auch innerhalb der Rebellengebiete, ändern sich ständig. Zwar gebe es viele moderate Rebellengruppen, die Journalisten ins Land lassen wollten, so Bühler, doch seien diese nicht stark genug, um Ausländer vor Kämpfern von Al-Nusra und ISIS zu schützen: Wer mit moderaten Kämpfern durch die Rebellengebiete reise, riskiere, von Extremisten gekidnappt zu werden. Oder schlimmer noch: Anfang Dezember wurde ein irakischer Kameramann von ISIS-Kämpfern ermordet. Jetzt fürchtet Bühler, dass es in Zukunft zu weiteren gezielten Exekutionen von ausländischen Journalisten kommen könnte. "Jeder Ausländer ist ein Ziel."
Dass es in den Rebellengebieten zu Entführungen kommt, will Sadiq Al-Mousslie, ein Mitglied des zur oppositionellen Nationalen Koalition gehörenden Syrischen Nationalrats in Deutschland, gar nicht bestreiten. Erbeschuldigt extremistische Gruppierungen, die kein Interesse daran hätten, dass die Wahrheit an die Öffentlichkeit gelange . "Das ist aber nicht die echte Opposition." Ob die moderaten rebellen mehr tun könne, um Journalisten vor Entführungen zu schützen? Al-Mousslie macht eine kurze Pause: "Die Gefahr, ist immer da."
"Diese Risiken akzeptieren wir nicht"
Eine Sorge, die andere teilen: Am 11. Dezember haben mehrere führende Medienhäuser, darunter etwa die BBC, die New York Times und Reuters, in einem offenen Brief die Führung der bewaffneten Opposition aufgerufen, Journalisten vor Entführungen zu schützen. In Kriegsgebieten seien Journalisten immer dem Risiko ausgesetzt, verletzt oder getötet zu werden. "Diese Risiken akzeptieren wir." Entführungen aber seien "inakzeptabel", so die Unterzeichner. Hielten sie unvermindert an, seien Journalisten nicht bereit, weitere Aufträge in Syrien anzunehmen. Der Preis dafür sei hoch, denn "dann können sie auch nicht länger Zeuge der Ereignisse sein, die sich innerhalb der syrischen Grenzen abspielen." Aber auch syrische Journalisten seien nicht sicher.
Das bestätigt auch Christoph Dreyer von Reporter ohne Grenzen: Syrische Journalisten, Blogger und Bürgerjournalisten seien besonders gefährdet - Menschen also, "die nicht nur kurz nach Syrien rein und dann wieder raus gehen." Der syrische Journalist Majid nickt: Sein Radiosender arbeitet mit einem Netz von lokalen Korrespondenten, die aus Syrien berichten. Diese versuchten, so gut wie eben möglich, sich zu schützen: Mit ständig wechselnden Pseudonymen etwa oder einem anonymen Zugang zum Internet, das eine kanadische Nichtregierungsorganisation den Journalisten zur Verfügung gestellt habe. Als Syrer seien sie auch weniger auffällig als ausländische Journalisten, sagt er. Einen völligen Schutz gebe es allerdings nicht. Aber irgendjemand müsse aus Syrien berichten: Denn letztlich seien die Berichte über die Kämpfe und Gräueltaten, die von beiden Seiten angerichtet werden, auch eine Art Schutz für die syrische Bevölkerung: "Wenn niemand berichtet, dann machen alle, was sie wollen", sagt Majid und breitet die Hände aus.