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Krise in Südkorea als Chance nutzen"

Esther Felden
16. Dezember 2016

Wie geht es in Südkorea politisch und wirtschaftlich weiter nach der Ära Park? Die Frage interessiert auch die deutschen Unternehmer im Land. Sie hoffen jetzt auf Reformen, erklärt Barbara Zollmann von der AHK Seoul.

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Südkoreanische Messehostessen vor einem VW Touareg
Bild: picture-alliance/D. Kalker

Deutsche Welle: Das südkoreanische Parlament hat Ende vergangener Woche für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Park gestimmt. Wenn das Verfassungsgericht zustimmt, kommt es zu Neuwahlen. Doch der ganze Prozess kann sich über ein halbes Jahr hinziehen. Wie wirkt sich diese monatelange Ungewissheit auf Wirtschaft und Handel des Landes aus?

Barbara Zollmann: Korea steht vor einem großen Wandel, der nicht nur auf die letzten Ereignisse im Lande zurückzuführen ist. Es gibt vielmehr ein Bündel an Themen, das dazu beiträgt.

So steht Korea wirtschaftlich vor der Notwendigkeit, von einem fast follower zu einem first mover zu werden, damit die koreanischen Industrien im globalen Wettbewerb weiterhin erfolgreich bleiben und gegenüber billiger produzierenden, aufschließenden Wettbewerbern bestehen. Neue Wachstumsmotoren müssen gefunden werden, um die sinkenden Wachstumsraten aufzufangen. Dafür ist nicht nur ein Innovationsschub, sondern auch die Förderung neuer Kompetenzen nötig. Es besteht Reformbedarf, zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt, aber eine Umsetzung war bisher wegen widerstreitender Interessen schwierig. Die aktuelle politische Situation erhöht für den Moment die Unsicherheit.

Dennoch ist Korea ein funktionierender Staat und eine funktionierende Demokratie. Die Regierung ist stark darum bemüht, business as usual zu betreiben und alle Themen, insbesondere wirtschaftsseitig, weiter voranzutreiben. So traf sich nur wenige Tage nach dem Votum zum Amtsenthebungsverfahren der stellvertretende Premierminister Yoo Il-ho mit den großen ausländischen Kammern - einschließlich der AHK Korea - und ausländischen Investoren, um zu unterstreichen, dass die koreanische Regierung alles daran setzt, die Wirtschaft auf Kurs zu halten.

Wie groß ist der Image-Schaden und der Vertrauensverlust, den Südkorea durch den Korruptionsskandal um die Park-Vertraue Choi erlitten hat?

Korea hat nun die Chance, sich durch diesen Amtsenthebungsprozess zu einer transparenteren Gesellschaft zu entwickeln und ein Vorbild für andere Länder in Asien zu sein. Die landesweiten friedlichen Proteste haben gezeigt, dass sich das Land aus demokratischer Sicht bereits sehr weit entwickelt hat. Daher wird sich der Image-Schaden in Grenzen halten, wenn Korea sich in dieser Situation als Land beweist, das in der Lage ist, geordnet durch eine solche Krise zu gehen und gestärkt daraus hervorzukommen.

Südkorea nimmt unter den deutschen Absatzmärkten in Asien einen Spitzenplatz ein. Wie haben Sie in den vergangenen Monaten die Reaktionen deutscher Unternehmer im Zusammenhang mit der Regierungskrise erlebt?

Aus Sicht der deutschen Unternehmen im Lande ist es das Wichtigste, dass im politischen Prozess bald wieder Klarheit herrscht und notwendige Reformen umgesetzt werden, welche die Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs bringen. Schon vor der Regierungskrise gab es Verbesserungswünsche über Richtung und Tempo der Reformen. So haben bei einer noch nicht veröffentlichten Umfrage der AHK Korea nur sechs Prozent der deutschen Unternehmen geantwortet, dass sie die bisherigen Reformen der Regierung für ausreichend erachten.

Welche Chancen bietet der bevorstehende Neuanfang?

Die Chance besteht darin, dass eine neue Regierung wieder in der Lage ist, den Reformstau aufzulösen und vielleicht in einem neu gefundenen Konsens mit Politikern anderer Fraktionen zusammenzuarbeiten. Der Neuanfang bietet viele Chancen für deutsche Unternehmen, weil Wirtschaft und Politik in Korea nun möglicherweise transparenter werden und somit eher ein level playing field – also faire Wettbewerbsbedingungen -  entsteht. Es bietet aber auch Chancen für die koreanische Wirtschaft, den Mittelstand weiter zu stärken und kleine und mittlere Unternehmen sowie innovative Startups intensiver zu fördern.
Hier muss aber auch kein Bruch mit der vorigen Regierung gesucht werden, denn Präsidentin Parks Ansatz einer Creative Economy, also einer durch Innovationen getriebenen Wirtschaft, die Korea neue Wachstumsimpulse geben soll, in ihren grundlegenden Ideen richtig und notwendig ist.

Barbara Zollmann AHK-Geschäftsführerin in Südkorea
Barbara Zollmann, Chefin der deutschen Auslandshandelskammer in Seoul: "Es besteht der Wille, für mehr Transparenz und Fairness in Politik und Gesellschaft zu sorgen"Bild: AHK

Es gilt unter einer neuen Regierung auch weitere Potentiale der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Korea zu erschließen: im Bereich Industrie 4.0, bei der Elektromobilität, bei Forschung  und Entwicklung, in der Ausbildung von Fachkräften. 2017 wird die AHK Korea in Zusammenarbeit mit deutschen Automobilfirmen ein neues Ausbildungsprogramm in Korea einführen, welches deutschen Standards entspricht. Der erste Ausbildungsberuf wird der KFZ-Mechatroniker sein. Das Ziel ist es, junge Koreaner nach einer für Korea gänzlich neuen Lehrmethode fundiert zu Fachkräften auszubilden. Zudem wird eine Gruppe von jungen Leuten angesprochen, die bisher keine Chance hatten eine solche Laufbahn einzuschlagen. Sie werden außerdem zwei Abschlüsse bekommen – einen akademischen koreanischen Abschluss und ein deutsches Zertifikat für Berufsbildung im Ausland. Ein tolles Win-Win Projekt.

Was sind aus Ihrer Sicht die dringendsten Aufgaben und Reformen, die auf den künftigen Präsidenten zukommen?

Das neue Antikorruptionsgesetz, das im September 2016 in Kraft getreten ist, stellt bereits einen wichtigen Schritt bei den Bestrebungen der koreanischen Regierung dar, die Korruption im öffentlichen Sektor zu bekämpfen. Das Gesetz sorgte eingangs für viel Irritation, doch es zeigt auch, dass der Wille besteht, für mehr Transparenz und Fairness in Politik und Gesellschaft zu sorgen. Aus unserer Sicht ist dies parteienübergreifend in Korea der Fall und daher hoffen wir auch, dass es die nächste Regierung schafft, sich mit diesem Thema erfolgreich zu befassen. Der schwierigere Schritt ist, in den Köpfen ein anderes Denken zu erreichen. In einer Gesellschaft, die so stark in Gruppen denkt und handelt, und in der starke, lebenslange, persönliche Netzwerke bestehen, ist es schwer, die Grauzonen der Korruption zu eliminieren. Die neue Gedankenwelt muss bereits bei Kindern implementiert werden, damit sie als Erwachsene nach anderen Maßstäben handeln. Und Firmen müssen sich entsprechende Compliance Systeme geben und danach agieren.

Wie beurteilen Sie die Chancen, dass es unter dem künftigen Präsidenten tatsächlich zu grundsätzlichen Veränderungen des wirtschaftlichen Gefüges in Südkorea kommen wird – auch, was die Macht der großen Konglomerate und eben den Kampf gegen Korruption betrifft?

Die Situation um Präsidentin Park hat deutlich gemacht, wie eng Wirtschaft und Politik miteinander verwoben sind. So ist es nun Teil des großen Veränderungsprozesses, den Korea vor sich hat, diese Verstrickung weiter aufzulösen.

Was die Macht der Konglomerate angeht, so ist dies nicht notwendigerweise gleichzusetzen mit Korruption. Diese wirtschaftliche Übermacht wirkt sich auch auf die Wettbewerbssituation im Land aus und auf die Chance für kleine und mittelständische Unternehmen groß und systemrelevanter zu werden. Dies allein ist eine Chance für eine ausgewogenere Wirtschaftsstruktur, bei der die wirtschaftliche Lage nicht so stark an dem Wohl und Weh einzelner Konglomerate hängt.

Gibt es schon einen möglichen Kandidaten, der aus Ihrer Sicht besonders geeignet wäre, um die anspruchsvollen Aufgaben anzugehen?

Die Parteien waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf eine Wahl eingestellt. Der innergesellschaftliche und innerparteiliche Diskurs sowie die Kandidatenkür werden daher noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

Barbara Zollmann ist seit 2013 Geschäftsführerin der Auslandshandelskammer in Seoul. Vorher war sie vier Jahre lang beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag für die Koordination der AHKs in Nord- und Südamerika sowie Westeuropa verantwortlich.