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Bundeswehr-Auslandseinsätze sind umstritten

8. September 2009

Wenn Bundeswehr-Soldaten im Ausland agieren, haben viele Menschen ein ungutes Gefühl. Sie lehnen die Auslandseinsätze ab. Andere verweisen auf Bündnisverpflich- tungen und internationale Absprachen.

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Deutscher Soldat mit dem Logo der ISAF-Mission auf dem Ärmel steht auf dem Gelände des "Provincial Reconstruction Teams" in Kundus im Norden Afghanistans. (Foto:AP)
Deutscher Soldat der ISAF-Mission in KundusBild: AP

Ereignisse wie in Kundus im Norden Afghanistans, wo am Freitag (04.09.2009) auf Anforderung der Bundeswehr ein Luftangriff auf zwei von den Taliban geraubte Tanklastzüge geflogen wurde, geben der Kritik im Inland neuen Auftrieb. Die Bundesregierung geht mittlerweile auch davon aus, dass es zivile Opfer gegeben hat.

Bedingt einsetzbar!

Die Rolle der Bundeswehr ist im Grundgesetz verankert: Sie dient ausschließlich der Verteidigung des Landes und darf nicht im Inneren eingesetzt werden. Die Beteiligung an einem Krieg ist auf den so genannten "Bündnisfall" beschränkt. Der tritt dann ein, wenn eines der NATO- Länder angegriffen wird. Dann wären die anderen NATO-Staaten verpflichtet, dem angegriffenen Partner militärisch zu helfen.

Die Bundeswehr leistete leistete bis 1990 ausschließlich humanitäre Hilfe - beispielsweise für Flüchtlinge in Afrika. (Foto:dpa)
Bis 1990 leistete die Bundeswehr ausschließlich humanitäre HilfeBild: picture-alliance/ dpa

Da diese Situation nicht eingetreten ist, hat sich die Bundeswehr bis Mitte 1990 ausschließlich an humanitären Auslandseinsätzen beteiligt. 1965 richtete die Luftwaffe während des Militärputsches von Oberst Boumedienne eine Luftbrücke für Algerien ein, an der 12 Flugzeuge beteiligt waren. 1976 leistete die Bundeswehr Katastrophenhilfe im italienischen Friaul, wo zwei starke Erdbeben mehr als 1000 Opfer forderten. Ende der 80er Jahre folgten schließlich Transportflüge in die Hungergebiete von Äthiopien und Namibia. Während des verheerenden Erdbebens im Iran im Juli 1990 baute die Bundeswehr mehrere Feldlazarette auf und schickte medizinisches Personal.

Peacebuilding und Peacekeeping

Mit der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 änderte sich auch die Rolle und die Bedeutung der Bundesrepublik in der Welt. Es wurden Rufe lauter, die Bundeswehr möge mehr Verantwortung für die Durchsetzung ("Peacebuilding") und den Erhalt ("Peacekeeping") des Friedens in Unruheregionen übernehmen. In der "Out-of-Area-Debatte" beschloss der Bundestag 1990 mit den Stimmen der Regierungskoalition schließlich, dass die Bundeswehr auch außerhalb des NATO-Gebietes eingesetzt werden darf. Voraussetzung: Es liegt ein UN-Mandat zu Grunde. SPD und Grüne waren dagegen. Bei den Sozialdemokraten änderte sich das mit der so genannten "Petersberger Wende" 1992, die Grünen übernahmen das "Ja" zu "Out-of-Area"-Einsätzen erst mit ihrer Regierungsbeteiligung 1998.

1994 musste sich das Bundesverfassungsgericht mit der Rolle der Bundeswehr befassen. Am 12. Juli gaben die Richter nachträglich grünes Licht für Bundeswehr-Einsätze im Rahmen von UN-Mandaten. Denn schon seit 1991 beteiligte sich die Bundesmarine im Persischen Golf mit Minenräumschiffen an einer Aktion während des Zweiten Golfkriegs. Seither sind bis zu 10.000 Soldatinnen und Soldaten gleichzeitig an verschiedenen Auslandseinsätzen der Bundeswehr beteiligt gewesen.

Das Dorf Planeja an der Grenze zu Albanien westlich der Stadt Prizren im Süden Kosovos wurde im Sommer 1999 stark bombardiert. Das Gebiet ist heute immer noch mit Landminen verseucht. (Foto: dpa)
Das Dorf Planeja an der Grenze zu Albanien westlich der Stadt Prizren im Süden Kosovos wurde im Sommer 1999 stark bombardiert.Bild: picture alliance/dpa

Kosovo

Von herausragender Bedeutung war die Debatte um den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der "Operation Allied Forces" im Kosovo. Der serbische Machthaber Slobodan Milosevic hatte dem nach mehr Unabhängigkeit strebenden Kosovo 1989 im Rahmen der so genannten "Antibürokratischen Revolution" weitgehende Autonomierechte wieder genommen und zur "serbischen Provinz" degradiert. In den folgenden Jahren verschärfte sich der Konflikt, tausende Kosovaren verließen das Land. Die internationale Gemeinschaft befasste sich 1995 auf der Friedenskonferenz von Dayton mit der Krisenregion, aber der Konflikt eskalierte weiter. Als Anfang 1999 die Verhandlungen von Rambouillet ebenfalls keine friedliche Beilegung des Konfliktes erreichen konnten, begannen am 24. März NATO-Einheiten unter Beteiligung der Bundeswehr mit der Bombardierung strategisch wichtiger Ziele in Jugoslawien.

Da die militärischen Aktionen der NATO als "humanitäre Intervention" zur Verhinderung weiterer Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet wurden, war die Beteiligung der Bundeswehr gerechtfertigt. Trotzdem löste der Kosovokrieg eine intensive innenpolitische Debatte aus.

Holländische UN-Soldaten in Potocari vor einigen Hundert moslemischen Zivilisten, die aus dem nahegelegenen Srebrenica geflüchtet sind (Foto:dpa)
Holländische UN-Soldaten vor moslemischen Zivilisten, die vor dem Massaker in Srebrenica geflüchtet sind.Bild: picture-alliance/dpa

Nie wieder Krieg – nie wieder Auschwitz

Der damalige Bundesaußenminister Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) rechtfertigte die Kriegsbeteiligung. Den Satz:"Ich habe nicht nur gelernt: Nie wieder Krieg. Ich habe auch gelernt: Nie wieder Auschwitz," bezog er unter anderem auf das Massaker von Srebrenica. Im Juli 1995 waren dort 8000 Bosniaken von serbischer Polizei und paramilitärischen Verbänden umgebracht worden. Das Verbrechen gilt als das schlimmste Massaker in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg, vom Internationalen Gerichtshof wird es als Genozid gewertet.

Zwischen diesen Extremen pendelt die Diskussion um Bundeswehreinsätze im Ausland: Nie wieder darf eine deutsche Armee einen Angriffskrieg führen, gleichzeitig aber darf deutsche Politik nicht zulassen, dass so etwas wie ein Völkermord stattfindet, wenn er zu verhindern ist.

Mehrere Bundeswehr - Soldaten laufen mit vorgehaltenen Gewehren in der Nähe von Feisabad einen Weg entlang.
"Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt," sagte der damalige Bundesverteidigungsminister Peter Struck in einer Regierungserklärung am 11. März 2004Bild: picture-alliance/ dpa

Laufende Einsätze

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 beteiligte sich die Bundeswehr an der internationalen Antiterrorkoalition. Diese Beteiligung wurde erst möglich, nachdem Bundeskanzler Gerhard Schröder die Abstimmung über den Einsatz mit einer Vertrauensfrage koppelte. Seither patroulliert die Marine am Horn von Afrika und im Mittelmeer im Rahmen der US-geführten "Operation Enduring Freedom". Unter der ISAF – Flagge ist die Bundeswehr zudem seit 2002 im Norden von Afghanistan stationiert. Zwei Jahre später begann der Einsatz von EUFOR in Bosnien-Herzegowina, an dem sich bis zu 2.400 Soldaten beteiligen können – derzeit sind es nur 120.

Die Bundesmarine ist seit 2006 auch an der Seeraumüberwachung vor der Küste des Libanon beteiligt. Die Mission UNIFIL II steht unter der Führung der Vereinten Nationen - auch in diesem Fall können maximal 2400 Soldaten eingesetzt werden - momentan sind es 230. Seit 2008 ist ein UN - Einsatz in der sudanesischen Krisenregion Darfur dazu gekommen. Die Bundeswehr stellt bis zu 250 Soldaten für logistische Unterstützung zur Verfügung. Schließlich geht es seit Dezember 2008 unter EU-Führung bei der Operation "Atalanta", an der momentan 460 Soldaten beteiligt sind, um die Bekämpfung der Piraterie am Golf von Aden. Alles in allem sind derzeit etwa 7800 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Ausland im Einsatz.

Autor: Matthias von Hellfeld

Redaktion: Hartmut Lüning