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"Sprechen Sie darüber, was Sie getan haben"

11. Februar 2016

In Detmold steht ein früherer Wachmann des KZ Auschwitz vor Gericht. Der Vorwurf: Beihilfe zum Mord in 170.000 Fällen. Zum Auftakt rief ein Überlebender des Nazi-Vernichtungslagers den Angeklagten zur Aussage auf.

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Der in Detmold angeklagte frühere KZ-Wachmann (Foto: picture-alliance/dpa/B. Thissen)
Bild: picture-alliance/dpa/B. Thissen

Der heute 94-Jährige Angeklagte soll 1943 und 1944 als Angehöriger des SS-Totenkopfsturmbanns im Stammlager des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz eingesetzt worden sein. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Beihilfe unter anderem bei Massenerschießungen und der "Selektion" von KZ-Insassen vor. Mit seinem Einsatz als Wachmann habe er zum Funktionieren der Maschinerie beigetragen, heißt es in der Anklageschrift.

"Wir stehen beide bald vor dem höchsten Richter"

Das Verfahren begann mit dem emotionalen Appell eines Auschwitz-Überlebenden. "Herr H., wir sind fast gleich alt und wir stehen bald beide vor dem höchsten Richter. Ich möchte Sie auffordern, uns die historische Wahrheit zu sagen", sagte der ebenfalls 94-Jährige Zeuge, nachdem er über seine furchtbaren Erlebnisse in Auschwitz berichtet hatte. Dort wurden nach Angaben des Nebenklägers 35 seiner Verwandten von den Nationalsozialisten ermordet. "Sprechen Sie an diesem Ort darüber, was Sie und ihre Kameraden getan oder erlebt haben", forderte er den Angeklagten zur Aussage auf.

Internationale Aufmerksamkeit

Der Angeklagte hat bereits im Vorfeld eingeräumt, im Stammlager eingesetzt gewesen zu sein, eine Beteiligung an Tötungshandlungen aber bestritten. Dutzende Journalisten aus dem In- und Ausland sowie frühere KZ-Insassen waren zum Prozessauftakt in die nordrhein-westfälische Stadt gereist.

Wegen des großen Interesses findet die Verhandlung des Landgerichts Detmold im Saal der Industrie- und Handelskammer statt. Für den Prozess sind zunächst zwölf Verhandlungstage bis Ende Mai vorgesehen. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass keiner der Zeugen den Angeklagten selbst kannte.

Spät, aber nicht zu spät

Nebenkläger und ihre Anwälte berichteten am Mittwoch in Detmold bei einer Pressekonferenz, es sei für sie von besonderer Bedeutung, vor einem deutschen Gericht schildern zu können, was der Holocaust ihnen und ihren Familien angetan habe. "Dieser Prozess hätte schon vor 40, 50 Jahren stattfinden müssen. Aber auch jetzt ist es nicht zu spät, um darzustellen, was einmal war", sagte Justin Sonder, der heute 90-Jährige hatte als Jugendlicher das nationalsozialistische Konzentrations- und Vernichtungslager nur knapp überlebt.

Lange Schlangen vor Prozessbeginn (Foto: dpa)
Besucher und Journalisten stehen Schlange vor ProzessbeginnBild: picture-alliance/dpa/F. Gentsch

Erstmals sei der arbeitsteilig organisierte Massenmord der deutschen Nationalsozialisten in Auschwitz in seinem ganzen Umfang angeklagt, sagte Nebenkläger-Anwalt Cornelius Nestler. "Wachmänner haben dafür gesorgt, dass die gesamte Vernichtungsfabrik Auschwitz gesichert wurde", sagte er. Die Beihilfe zum Mordsystem umfasse nicht nur das Bewachen der Deportationszüge, sondern auch das Aufrechterhalten unmenschlicher Zustände, von Hunger und das Ermöglichen von Massenerschießungen.

bri/qu (dpa, epd, afp)