Lewada-Zentrum unter Druck
29. Mai 2013Begonnen habe alles mit einem Artikel, den er in der russischen Presse gelesen habe, berichtet Manfred Sapper, Chefredakteur der deutschen Fachzeitschrift Osteuropa. Darin habe er erfahren, dass die russische Staatsanwaltschaft das Moskauer Lewada-Zentrum verwarnt habe. Dem Institut drohe sogar die Schließung. "Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass wir was machen müssen", sagte Sapper der Deutschen Welle.
Das Meinungsforschungsinstitut muss sich gemäß dem Gesetz über Nichtregierungsorganisationen als "ausländischer Agent" registrieren lassen, da es Finanzmittel aus dem Ausland bezieht. Wie viele andere Nichtregierungsorganisationen (NGOs) lehnt das Lewada-Zentrum dies ab, weil es darin eine Diffamierung sieht. In dem Fall hat jetzt die Zeitschrift Osteuropa eine Petition an den russischen Präsidenten Wladimir Putin gerichtet. Mehr als 1400 Unterschriften aus Deutschland, Russland und anderen Ländern sind - Stand 29.05.2013 - inzwischen zusammengekommen, darunter etliche von Wissenschaftlern, Politikern und Journalisten.
Propaganda wie im Stalinismus
"Der Angriff auf das Lewada-Zentrum leitet eine neue Stufe in der Politik ein, jene Kräfte der russischen Zivilgesellschaft einzuschüchtern und zu zerstören, die der Staatsmacht nicht genehm sind", heißt es in der Petition. Seit März 2013 seien rund 600 NGOs staatsanwaltschaftlich überprüft worden. Ihre Stigmatisierung als "ausländische Agenten" sei eine Propaganda-Methode, deren Wurzeln im Stalinismus lägen. Dies könne und dürfe nicht akzeptiert werden. Die Unterzeichner fordern die Parlamentarische Versammlung des Europarats auf, die Massenüberprüfungen russischer NGOs und ihre Stigmatisierung als "ausländische Agenten" zu verurteilen.
Das Lewada-Zentrum sei das wichtigste Meinungsforschungsinstitut und ein Inbegriff freier unabhängiger sozialwissenschaftlicher Forschung in Russland, betont Manfred Sapper. "Alle deutschen Wissenschaftler, egal welcher Disziplin, die sich ein Bild von der russischen Gesellschaft und Politik sowie der Veränderungen der öffentlichen Meinung machen wollen, verwenden vor allem die Daten des Lewada-Zentrums", so der Chefredakteur der Zeitschrift Osteuropa.
Lewada-Zentrum unerlässlich
Auch Wolfgang Eichwede, ehemaliger Direktor der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen, hält das Lewada-Zentrum für einen wichtigen Orientierungspunkt in der russischen Wissenschaftslandschaft. Dessen Gründer Juri Lewada sei ein großer Soziologe gewesen. Er habe in der Zeit der Perestroika eine große Rolle gespielt und sei bei der Etablierung der Sozialwissenschaft und Meinungsforschung im neuen Russland führend gewesen. "Das Lewada-Zentrum ist in seiner Unabhängigkeit für das Wissen über Russland unerlässlich", sagte Eichwede der DW.
Für Klaus Bednarz, Publizist und ehemaliger ARD-Korrespondent in der Sowjetunion, ist das Lewada-Zentrum eine der wichtigsten Informationsquellen über das heutige Russland. Das Vorgehen der russischen Staatsanwaltschaft gegen das Institut sei einer der bisher schwersten Schläge Putins gegen das "langsam wachsende zarte Pflänzchen Zivilgesellschaft in Russland". Das unabhängige Lewada-Zentrum sei dem russischen Präsidenten ein Dorn im Auge. "Putin als gelernter KGB-Mann ist ein Mann, dem Kontrolle über alles geht", so Bednarz.
Russland schadet sich selbst
Auch Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, nutzt Daten des Lewada-Zentrums für seine Arbeit. Er ist zudem Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO), die die Zeitschrift Osteuropa herausgibt. Das russische NGO-Gesetz und das Vorgehen gegen das Lewada-Zentrum kritisiert er scharf.
Wenn das Institut seine Arbeit einstellen müsste oder nicht mehr unter den bisherigen Bedingungen fortführen könnte, dann wäre das ein großer Schlag für die Russlandforschung, so Polenz. Es sei für jedes Land gefährlich, soziologische Forschung zu behindern. "Deshalb verstehe ich die russischen Behörden überhaupt nicht. Wenn man nicht wissen will, wie die Menschen im eigenen Land denken, wie will man dann für sie vernünftige Politik machen?", sagte er der DW. Russland müsse überzeugt werden, dass es sich mit dem Vorgehen gegen das Lewada-Institut selbst schade.