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Aus den Schlagzeilen, aus dem Sinn?

Andreas Noll22. Juni 2015

Mit Stahlhelm und Splitterschutzweste stehen sie an der Front. Doch wenn die Waffen schweigen, verlieren viele Journalisten das Interesse an Konflikten. Über die Folgen debattierten Experten auf dem Global Media Forum.

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Bosnische Frauen trauern um ihre in Srebrenica ermordeten Angehörigen (Foto: dpa)
Vor 20 Jahren im Zentrum der Weltöffentlichkeit: die Opfer des Völkermords von SrebrenicaBild: picture-alliance/dpa

Wie schnell sich der Wind dreht und Konflikte in den Hintergrund treten, hat Asiem El Difraoui am eigenen Leib erfahren. Der in Paris lehrende Politikwissenschaftler sollte bei einem französischen Radiosender sein Buch über die politische Entwicklung in Ägypten vorstellen, doch dann fragte ihn der Moderator unmittelbar vor der Sendung: "Können wir auch 25 Minuten über den Islamischen Staat sprechen?" Der IS hatte gerade Mossul eingenommen und ein Kalifat ausgerufen - und die Medien kannten plötzlich nur noch ein Thema in der arabischen Welt. "Dabei", so der Nahost-Experte El Difraoui, "weiß jeder, dass es in Ägypten derzeit gar nicht gut läuft und wir sogar mit einer Revolte rechnen müssen".

Porträt Asiem El Difraoui (Foto: DW)
Politikwissenschaftler Asiem El DifraouiBild: DW/M. Magunia

Gewalt zu zeigen, sorgt für neue Gewalt

Wenn die Medien ihre Scheinwerfer ausstellen und sich anderen Themen zuwenden, weil die Lage sich scheinbar stabilisiert hat, dann verschwinden ganze Berichtsgebiete von der medialen Landkarte. Dass eingefrorene Konflikte allerdings schnell wieder "heiß" werden können, darin waren sich die Debattenteilnehmer aus fünf Ländern einig. Entsprechend wichtig sei es für die Weltöffentlichkeit, dass auch über "Post-Konflikt-Gesellschaften" kontinuierlich berichtet werde. Doch genau hier liegt Einiges im Argen. "Mainstream-Journalismus kümmert sich nicht mehr um die kontinuierliche Berichterstattung aus Konfliktgebieten", analysiert der Journalist Dana Asaad von Awene.com aus dem Irak.

Blick in den Plenarsaal beim Gobal Media Forum in Bonn (Foto: DW)
"Reporting on post-conflict societies and frozen conflicts" - Debatte auf dem Global Media Forum in BonnBild: DW/M. Magunia

Mit der Berichterstattung aus seinem Land und über den Irak geht er dennoch hart ins Gericht. So existierten zwar heute hunderte Medienunternehmen im Irak, aber sie seien vor allem ein Teil der Propagandamaschine. Stets bereit, gesellschaftliche Konflikte anzuheizen. Asaad: "Die Journalisten haben dazu beigetragen, dass sich der Kampf gegen den IS zu einem Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten entwickelt hat. Mit der Berichterstattung über Anschläge und Tote motivieren wir viele junge, frustrierte Anhänger beider Seiten, sich an diesem Konflikt gewaltsam zu beteiligen."

Die Gründe für diese Entwicklung sieht der junge Journalist nicht nur in der fehlenden Ausbildung ("Arbeitslose ohne Qualifikation wurden zu Journalisten") sondern auch in den Mechanismen der Berichterstattung. El Difariou sieht das ähnlich: "Ereignisse sind nur berichtenswert, wenn viel Blut fließt. Rohe Gewalt motiviert wiederum viele Leute, sich einem Lager anzuschließen. Eine kontinuierliche Berichterstattung könnte dagegen das Gemeinsame betonen. Dass die Menschen beider Lager gemeinsam leiden."

Jedes Detail ist wichtig

Über eine gemeinsame Aufarbeitung von Leid konnte Sokha Cheang von "The Phnom Penh Post" berichten. Vor 40 Jahren waren dort die Roten Khmer an die Macht gelangt - rund zwei Millionen Kambodschaner fielen ihrer Schreckensherrschaft zum Opfer. Der Konflikt liegt zwar Jahrzehnte zurück, aber zählt für die älteste englischsprachige Zeitung in der kambodschanischen Hauptstadt bis heute zu den wichtigsten Themen. Sokha Cheang legt daher großen Wert auf eine umfangreiche Berichterstattung über das Kriegsverbrechertribunal, das vor fast einem Jahr zwei greise Angeklagte zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt hatte. "Das ist die Geschichte Kambodschas. Die Menschen interessieren sich für die Hintergründe der Roten-Khmer-Herrschaft und verfolgen daher die Verfahren des Gerichtes. Deshalb müssen wir Journalisten versuchen, jedes Detail der Geschichte des Regimes zu durchleuchten und die Menschen aufklären."

Gedenken an die Opfer des Roten Khmer Regimes (Foto: Reuters)
Die Aufarbeitung der Herrschaft der Roten Khmer hat in Kambodscha eine große BedeutungBild: Reuters/S. Pring

Wie schnell Fronten innerhalb Gesellschaften wieder aufbrechen können, wusste Marcus Bensmann zu berichten. Der Zentralasien-Experte nannte die Unruhen im kirgisischen Osch, wo es während der Auflösung der Sowjetunion zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Kirgisen und der usbekischen Minderheit gekommen war. "20 Jahre lang passierte gar nichts. Die Leute sprachen noch nicht einmal darüber. Und dann kam es 2010 zu ganz ähnlichen Gewalttaten - aus heiterem Himmel. Tausende Kirgisien stürmten in die usbekischen Viertel und brannten Häuser nieder."

Wie lässt sich das Interesse wecken?

Sind sich die Experten in der Forderung nach mehr kontinuierlicher und hintergründiger Berichterstattung einig, so bleibt die Frage der Umsetzung doch schwierig. Hintergründige Berichterstattung aus Gesellschaften, die sich nicht in einem akuten Konflikt befinden, hielten viele Kollegen für langweilig, kritisiert Denis Dzidic, der über die Entwicklung seiner Heimat Bosnien-Herzegowina schreibt. "Es gibt kein Blut mehr, also ist es nicht sexy über die Segregation in Schulen zu berichten", fasst der Journalist nüchtern die Tatsache zusammen, dass Bosnien in den internationalen Medien heute kaum mehr vorkommt.

Kämpfer des IS
Durch brutale Gewalt im Fokus der Weltpresse: die Kämpfer des ISBild: picture-alliance/abaca/Balkis Press

Personalisieren sei das Gebot der Stunde. Dadurch fänden auch hintergründige Geschichten ihr Publikum. Dieses Publikum, so Dzidic, und die internationale Aufmerksamkeit seien dringend notwendig: Damit das Ausland die Entwicklung im Lande besser einordnen könne, aber auch um weiter Druck auf die politische Führung auszuüben.

Die Vorteile des "Web 2.0" nutzen, Kooperationen mit lokalen Medien stärken und neue Formen der Berichterstattung ausprobieren - die Experten nennen zahlreiche Ansatzpunkte, um Weltregionen wieder in den Fokus zu holen, die diese Aufmerksamkeit für ihre Entwicklung dringend benötigen. Ein einfacher Weg wird das allerdings nicht.