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Politik

Aung San Suu Kyi: Die letzte Abrechnung

1. Oktober 2021

Der Schauprozess gegen Aung San Suu Kyi soll ihre Rückkehr in die Politik verhindern. Aber der Widerstand gegen das Militär kommt von neuen Kräften.

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Staatsrätin Aung San Suu Kyi
Aung San Suu Kyi auf dem Gipfel des Verbands südostasiatischer Nationen (ASEAN) 2017 (Archivbild)Bild: Athit Perawongmetha/REUTERS

Am 1. Februar 2021, als das Militär in Myanmar mit einem Putsch die Macht im Land übernahm, wurde Aung San Suu Kyi verhaftet. Seither steht die dominierende Politikerin des Landes und Verfechterin von Demokratie erneut unter Hausarrest. Dort hatte sie sich zwischen 1989 bis 2012 mit Unterbrechungen schon einmal für insgesamt 15 Jahre befunden. 

Die Militärs haben kurz nach der Verhaftung begonnen, die ehemalige Staatsrätin und Führerin der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) mit diversen Gesetzesverstößen zu konfrontieren. Zuerst wurden ihr Verstöße gegen das Export- und Importgesetz wegen der nicht genehmigten Einfuhr von Walkie-Talkies vorgeworfen, dann immer schwerwiegendere Verstöße: Aufwiegelung des Volkes, Verstöße gegen den "Burma Official Secrets Act" und Korruption.

Die vom Militär kontrollierte Anti-Korruptionsbehörde will herausgefunden haben, dass Suu Kyi widerrechtlich 600.000 US-Dollar und Gold vom Yangoner "Chef Minister der Region Yangon" angenommen habe. Der Prozess wegen Korruption soll an diesem Freitag beginnen. Allein für diesen Vorwurf drohen ihr bis zu 15 Jahre Haft. Aung San Suu Kyi ist 76 Jahre alt.

Aung San Suu Kyis Anwälte Min Min Soe (r) und Khin Maung Zaw (l)
Aung San Suu Kyis Anwälte Min Min Soe (r) und Khin Maung Zaw (l)Bild: AP Photo/picture alliance

Schauprozess  

Suu Kyi, die seit der Verhaftung nur sehr wenige, kurze und zumeist virtuelle Auftritte bei Anhörungen hatte, erklärte am 24. Mai mit Blick auf eine mögliche Auflösung ihrer Partei, dass die NLD weiterleben werde, solange das Volk lebe, denn die Partei habe im Volk ihr Fundament. Durch ihre Anwälte ließ sie bei jeder neuen Anschuldigung mitteilen, dass sie auf "nicht schuldig" plädiere. 

Für Beobachter wie den unabhängigen Myanmarkenner David Scott Mathieson steht außer Frage, dass es sich bei dem Prozess um einen Schauprozess handelt. Die Militärregierung und vor allem ihr oberster Führer Min Aung Hlaing wollen eine Rückkehr Aung San Suu Kyis in die Politik für immer verhindern. Dafür würde eine einzige Verurteilung reichen: Sie könnte keiner Partei mehr vorstehen und nicht an den Wahlen teilnehmen, die das Militärregime für August 2023 in Aussicht gestellt hat. 

Der Mythos wächst

Trotz des Prozesses und unabhängig von seinem Ausgang steht schon jetzt außer Frage, dass Suu Kyis Ansehen im Land immer weiter wachsen wird. In der Bevölkerung, die zum großen Teil hinter Aung San Suu Kyi und der NLD steht, wird man sich erzählen: Wenn das Militär nicht geputscht hätte, hätten Suu Kyi und ihre Partei Myanmar in eine goldene Zukunft geführt. Sie hätte das Werk ihres Vaters vollendet und ein einiges und gerechtes Myanmar geschaffen. Sie wird neben ihrem Vater endgültig zur bedeutsamsten Symbolfigur des Landes.

Duwa Lashi La, Präsident des National Unity Government (NUG), erklärt dem Militär auf Facebook den "defensiven Volkskrieg"
Duwa Lashi La, Präsident des National Unity Government (NUG), erklärt dem Militär auf Facebook den "defensiven Volkskrieg"Bild: National Unity Government via Facebook via AP/picture alliance

Zugleich emanzipiert sich die Opposition von Aung San Suu Kyi, wenn es um konkrete Politik geht. Die junge Generation Z, die Bewegung zivilen Ungehorsams, die Gegenregierung des National Unity Government (NUG) und die Widerstandsarmee People's Defense Force (PDF) gehen ihre eigenen Wege. Der Präsident des NUG hat Anfang August einen "defensiven Volkskrieg" gegen die Militärregierung erklärt, eine deutliche Abkehr von Aung San Suu Kyis gewaltfreier Politik des Dialogs. Suu Kyi ließ nach dem Aufruf zum Krieg durch ihre Anwälte nur mitteilen, dass sie dazu keinen Kommentar abgebe.

Neue Generation in der Folge Suu Kyis

Schon vor dem Putsch wurden in der Zivilgesellschaft und sogar in der NLD kritische Stimmen laut, die etwa mit den Fortschritten bei den Friedensverhandlungen mit den bewaffneten ethnischen Gruppen oder der Wirtschaftspolitik von Suu Kyi nicht zufrieden waren. Diese Stimmen konnten sich bei der vom Militär kassierten Wahl von 2020 zwar noch nicht durchsetzen, aber seit Aung San Suu Kyi erneut unter Hausarrest steht, müssen die NLD und andere Oppositionskräfte notgedrungen auf eigenen Füßen stehen.

Demonstranten bei Anti-Militärprotesten in Myanmar heben die Hand zum Drei-Finger-Gruß
Trotz der Tötung von über 1100 Personen durch die Sicherheitskräfte (Stand September 2021) reißen die Proteste in Myanmar nicht abBild: dpa/AP/picture alliance

Die gleichzeitige Überhöhung von Aung San Suu Kyi und Kritik an ihr sind kein Widerspruch. Als Symbolfigur des Widerstands ist sie so wichtig wie eh und je, aber als politischer Akteur nimmt ihre Bedeutung jeden Tag weiter ab. An ihre Stelle tritt das NUG in Kooperation mit einigen ethnischen Minderheiten, deren gemeinsame Opposition zum Militär zumindest vorläufige eine politische Klammer bildet.

Autoritärer Starrsinn des Militärs 

Wenn es das Ziel des Militärs sein sollte, mit dem Prozess die Symbolkraft Aung San Suu Kyis und damit die Oppositionskräfte zu schwächen, dann wird dieses Ziel offensichtlich nicht erreicht. Stattdessen wird Suu Kyi endgültig zum Mythos und hat doch keine nennenswerte Wirkung auf die konkrete Handlungsfähgkeit der Opposition. Warum also hält die Junta trotzdem am Prozess fest?

Militäreinheiten nehmen an einer Armeeparade an Myanmars Tag der Streitkräfte teil
Das Militär in Myanmar sieht sich als Stabilitätsanker, der allein Recht und Ordnung garantieren kann. Hier bei einer Militärparade vom März 2021Bild: AP Photo/picture alliance

Wie in der Vergangenheit will sich das Militär den Anstrich von Recht und Ordnung geben. Dazu gehört auch ein gewisser autoritär-bürokratischer Starrsinn. Wie wichtig es den Generälen ist, vermeintlich gesetzeskonform zu handeln, sieht man auch daran, wie sehr sie bis heute betonen, der Putsch vom Februar 2021 sei im Rahmen der Verfassung von 2008 legal gewesen, da eine unmittelbare Gefahr für die Stabilität des Landes bestanden hätte. Die Verfassung sieht für diesen Fall vor, dass das Militär die Macht übernehmen kann. Den Notstand muss eigentlich der Präsident erklären. Da der aber als NLD-Mitglied bereits verhaftet war, erklärte der vom Militär eingesetzte Vize-Präsident, dass die Stabilität Myanmars gefährdet und eine Machtübernahme des Militärs notwendig sei.

Für den Prozess gegen Aung San Suu Kyi bedeutet dieser Bürokratismus: Da nun einmal ein Prozess eröffnet wurde, wird er auch zu Ende gebracht werden.

Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia