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Aufschwung ohne Jobs

Thomas Kohlmann31. Oktober 2003

Die US-Wirtschaft ist mit 7,2 Prozent im abgelaufenen Quartal so stark gewachsen wie seit fast zwanzig Jahren nicht mehr. Neue Jobs hat der Aufschwung aber bislang kaum gebracht.

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Arbeitslose in den USABild: AP

Wenn Thomas Kochan Recht behält, dann droht auch Europa der Effekt der "jobless recovery“, des Aufschwungs ohne Arbeitsplätze. Der Arbeitsmarktforscher vom bekannten Massachusetts Institute of Technology (MIT) hat untersucht, dass die US-Unternehmen heute viel mehr als früher vom Produktivitätszuwachs durch neue Technologien profitieren. "Wir werden in Zukunft wesentlich höhere Wachstumsraten brauchen als in der Vergangenheit, um Arbeitsplätze zu schaffen“, sagt Kochan.

Seine These: Durch neue Fertigungstechniken und schnellere Datenverarbeitung können Unternehmen auf höhere Nachfrage reagieren, ohne neue Mitarbeiter einzustellen. Die Folge: Alle bisherigen Berechnungsmodelle, wie viel Wachstum wie viele Arbeitsplätze schafft, müssen nach Kochans Meinung überarbeitet werden.

"Bislang lag die Beschäftigungsschwelle in den USA immer sehr niedrig“, erklärt Herbert Buscher, Arbeitsmarktexperte am Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH): "Schon bei einem Wachstum von einem Prozent entstanden früher in den USA neue Jobs. In Deutschland brauchen wir dagegen ein Plus zwischen 1,7 und zwei Prozent.“

Hohe Arbeitslosenquote

Obwohl die US-Wirtschaft seit zwei Jahren wieder wächst, verharrt die Arbeitslosenquote auf dem für amerikanische Verhältnisse hohen Niveau von rund sechs Prozent. Und das, obwohl die Wirtschaft im zweiten Quartal um 3,1 Prozent zulegte. US-Arbeitsmarktforscher Kochan wundert das nicht, denn noch immer leiden amerikanische Unternehmen unter Überkapazitäten, die Fabriken sind nach wie vor nur zu Dreivierteln ausgelastet.

Besonders extrem ist die Situation in der Automobilindustrie – dort werden dutzende von Werken dichtgemacht und hunderttausende verlieren ihren Job. Allein im verarbeitenden Gewerbe der USA gingen in den vergangenen drei Jahren mehr als 2,5 Millionen Stellen verloren. Kein Wunder, dass der erste Lichtblick am Arbeitsmarkt Erleichterung auslöste. 57.000 neue Arbeitsplätze meldeten die Statistiker aus Washington für den September 2003.

An das optimistische Szenario der US-Regierung von zwei Millionen neuer Jobs bis zum Herbst 2004 wollen trotzdem viele Amerikaner nicht glauben. Professor Kochan vom MIT sieht das ähnlich. Bei einem Produktivitätsanstieg von durchschnittlich 4,5 Prozent in den vergangenen beiden Jahren, so lautet sein Argument, hätten die US-Unternehmen schlicht und einfach gar keinen Bedarf an neuen Mitarbeitern in dieser Größenordnung.

Deutschland profitiert von Reformen

Ob das Szenario von Kochan auch für Deutschland realistisch ist, bezweifelt allerdings der deutsche Arbeitsmarktexperte Buscher: "Ich sehe ein großes Potenzial in den Arbeitsmarkt-Reformen, die zur Zeit bei uns angeschoben werden.“ Durch die Hartz-Gesetze werde viel getan, um es Unternehmen in Zukunft einfacher zu machen, Arbeitsplätze zu schaffen.

Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement will sogar noch weiter gehen und die so genannte Meistbegünstigtenklausel streichen. Die verhindert bislang, dass Beschäftigte, um ihre Jobs zu sichern, auf einen Teil ihres Gehalts verzichten, erklärt Buscher: "Es ist doch völlig absurd, dass jemand, der bereit ist, im Monat auf 100 oder 200 Euro Gehalt zu verzichten, stattdessen von unseren Gesetzen in die Arbeitslosigkeit gedrückt wird. Man muss regelrecht dankbar sein, dass Leute wie Clement endlich den Mut haben, solche Missstände anzupacken“, lobt der Experte aus Halle.

So pessimistisch die Stimmung derzeit in Deutschland ist, so optimistisch sind noch immer viele Konjunkturexperten für die Entwicklung in den USA. "Noch sind die Unternehmen extrem vorsichtig", meint Stefan Bielmeier von der Deutschen Bank. "Ein richtiger Beschäftigungsschub ist erst dann möglich, wenn die Nachfrage spürbar anzieht. Dann werden die US-Unternehmen kaum daran vorbeikommen, neue Mitarbeiter einzustellen". Doch Bielmeier will sich nicht darauf festlegen, wann die Amerikaner historisch niedrige Arbeitslosenquoten wie die im Jahr 2000 wiedersehen werden: Damals hatte sie zwischen 3,5 und vier Prozent geschwankt.