Aufruf: In der Fastenzeit päpstlicher als der Papst sein
2. März 2024Der 2. März gilt nicht gerade als historisch bedeutsames Datum. Zumindest in besonders frommen katholischen Kreisen könnte sich daran bald etwas ändern, denn der 2. März wäre wie gemacht als Gedenktag für Papst Pius XII. Er wurde an eben diesem Tag sowohl geboren als auch gut 60 Jahre später zum Papst gewählt. Für ihn läuft derzeit ein Seligsprechungsverfahren in Rom. Im Vatikan liegen alle Unterlagen bereit. Die Seligsprechung ist an sich schon ausgemachte Sache. Ein tugendhaftes Leben allein soll für katholische Selige und Heilige allerdings nicht genügen. Im Falle von Papst Pius bedarf es noch eines Wunders. Damit ist die Heilung einer Person gemeint, nachdem diese Papst Pius um Fürsprache bei Gott gebeten hatte. Die Heilung darf außerdem nicht medizinisch erklärbar gewesen sein, andernfalls wäre es ja auch kein Wunder.
Wundern kann man sich allerdings bereits über den ersten Schritt des Verfahrens, also die Feststellung des tugendhaften Lebens. Obwohl Pius in päpstlicher Manier nur einer unter Zwölfen ist, ist er unter den vergangenen Päpsten vergleichsweise berühmt. Andere würden sagen: Berüchtigt. Gerade darin liegt die Krux, denn Pius XII. war Papst während des Zweiten Weltkriegs. Zugegebenermaßen keine leichte Zeit, um sich den Status der Seligkeit zu verdienen. Und es stimmt auch, dass die Rolle der katholischen Kirche im Umgang mit den Gräueltaten des Nationalsozialismus überaus vielschichtig ist, um es vorsichtig auszudrücken. Das soll hier weder bestritten noch im Detail aufgearbeitet werden. Gerade auf diese Komplexität hatte sich die Kirche bei der Verteidigung von Pius dann auch lange berufen. Er habe nichts vom Ausmaß der Verbrechen gewusst und sie deswegen auch nicht klarer verurteilen können. Wer daran glaubt, wird leider nicht selig, sondern seit letztem Jahr eines Besseren belehrt. Ein Historiker entdeckte in den vatikanischen Archiven den Brief eines Jesuitenpaters im deutschen Widerstand aus dem Winter 1942. Er ist an das päpstliche Sekretariat adressiert. Darin wird über all das berichtet, was wir heute die Shoa nennen. Es ist von ermordeten Juden, der täglichen Vernichtung tausender Leichen in Verbrennungsöfen und auch Auschwitz die Rede.
Damit lässt sich kaum mehr bestreiten, dass Pius vom größten Menschheitsverbrechen des letzten Jahrhunderts gewusst hatte. Es dauerte gleichwohl nicht lange, bis die nächste Verteidigungslinie gezogen war. Der Papst habe den Massenmord an Juden nicht öffentlich angeprangert, weil die Nazis sonst noch grausamer gegen ihre Opfer und deren Helfer vorgegangen wären. Um den weiteren Gang der Seligsprechung zu sichern, wird die Begründung wohl ausreichen. Ist in der katholischen Kirche mal etwas ins Rollen gekommen, lässt es sich nur noch schwer aufhalten. Aber ob sich ein zukünftiger Papst noch einmal in eine Reihe mit Pius stellt, indem er seinen Namen annimmt, darf eher bezweifelt werden.
Geschichte ist bekanntlich dafür da, um aus ihr zu lernen. Entscheidend ist deshalb, in wessen Reihe wir uns heute stellen. Da gibt es die geschlossenen Reihen jener, die wieder zurückwollen. Zurück in eine vermeintlich heile Welt der Deutschen, einer homogenen Volksgemeinschaft, die die Antwort auf alle Krisen zu sein scheint. Was das Weltbild stört, wird wahlweise geleugnet oder abgeschoben. Es gibt aber auch die Menschen, die längst verstanden haben, dass Menschenrechte und Demokratie alternativlos sind. Eine Alternative für Deutschland, die an dem Ast sägt, auf dem wir alle sitzen, brauchen sie nicht. Es ist eine bunte Truppe, die in den vergangenen Wochen auf die Straße gegangen ist, um friedlich für eine solidarische Gesellschaft zu Felde zu ziehen. Darunter viele Menschen, die vorher noch nie an einer Demonstration teilgenommen haben. Sie wollten nicht länger schweigen, angesichts dessen, was inzwischen wieder denk- und sagbar geworden war. Damit haben sie sich wahrlich päpstlicher als Papst Pius verhalten.
Egal wo man steht, die aktuelle Fastenzeit wäre ein guter Anlass, um den nächsten Schritt zu machen. Nicht nur von Christinnen und Christen wird sie genutzt, um einmal in heilsamer Weise auf etwas zu verzichten. Warum tun wir nicht einmal genau das Gegenteil und nutzen die Fastenzeit, um aktiv zu werden? Wer beim Verzicht bleiben möchte, der verzichte eben auf die Gleichgültigkeit. Dieser Bruch der Passivität kann für den einen der Eintritt in eine Partei und für die andere erst einmal das Informieren über diverse Parteiprogramme sein. Auch in Kirche und Zivilgesellschaft gibt es nicht nur eine Möglichkeit, sich zu engagieren. Am Ende kommt es darauf an, angefangen zu haben. Angesichts der Krise tätig zu werden, bekämpft die Ohnmacht und macht selig – ob nun von der Kirche anerkannt oder nicht.
Felix Kramm
Felix Kramm, geboren 1993, ist Jurist und Doktorand an der Universität Heidelberg. Auf Instagram bloggt er unter dem gleichnamigen Account „felix.kramm“ über Kirche, Politik und christliche Spiritualität. Er ist Teil des katholischen Social Media-Netzwerks „Das Bodenpersonal“.
Dieser Beitrag wird redaktionell von den christlichen Kirchen verantwortet.