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Kampf um das Bürgerkriegs-Gedächtnis in El Salvador

Tobias Käufer13. Februar 2014

Kirchliche Hilfswerke aus Deutschland distanzieren sich vom Erzbistum in San Salvador, dessen Menschenrechtsbüro vor einer ungewissen Zukunft steht. Opfer des Bürgerkrieges sorgen sich um die dort lagernden Dokumente.

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Aktenschrank im Archiv des Menschenrechtsbüros San Salvador (Foto: DW/ T. Käufer)
Bild: Tobias Käufer

Luis Alfonso Coto nimmt ein Fotoalbum aus einer der Schubladen und zeigt Bilder, die den Betrachter erschüttern lassen. Es sind Fotos einer Frauenleiche mit zerschmettertem Schädel. Neben ihr auf dem Boden liegt ihre ermordete Tochter. Ein paar Albumseiten weiter sind die Bilder von ermordeten Jesuiten zu sehen. Die toten Körper liegen auf dem Rasen. Das Fotoalbum, das der katholische Geistliche in seinen Händen hält, zeigt eines der Verbrechen aus der Zeit des Bürgerkrieges in El Salvador (1980 bis 1991). Der Mord an den Jesuiten, deren Haushälterin und ihrer Tochter entsetzte die Welt. Bis heute sind die Mörder und deren Auftraggeber nicht verurteilt und zur Rechenschaft gezogen worden. Auch die Attentäter, die Erzbischof Oscar Romero 1980 während eines Gottesdienstes ermordeten und damit den Bürgerkrieg auslösten, sind bis heute nicht verurteilt.

Coto ist der neue Leiter von Tutela Legal, dem Menschenrechtsbüro des Erzbistums von San Salvador. Es war Oscar Arnulfo Romero, der ermordete "Bischof der Armen", der einst die Vorgängerinstitution gründete, um bettelarmen Bauern juristische Beratung zu ermöglichen. Das Fotoalbum, das Coto zeigt, ist nur eines von 55.000 Dokumenten, deren Schutz der katholische Geistliche seit gut vier Wochen übernommen hat. Sie belegen die Gräueltaten während des Bürgerkrieges. "Das ist das lebendige Gedächtnis unserer Geschichte und die El Salvadors", sagt Coto.

Luis Alfonso Coto (Foto: DW/ T. Käufer)
Luis Alfonso Coto zeigt Foto-Dokumente von BürgerkriegsopfernBild: DW/T. Käufer

Widersprüchliche Angaben des Erzbischofs

Genau um dieses "Gedächtnis" ist ein Streit entbrannt. Auslöser war im vergangenen September die Ankündigung des Erzbischofs von San Salvador, Jose Escobar Alas, das Büro zu schließen. Die Mitarbeiter waren entsetzt. Innerhalb weniger Tage änderte Escobar Alas gleich drei Mal die Begründung für die Schließung und sorgte damit für Irritationen und Angst. Wütende Proteste der Bevölkerung zwangen den Erzbischof schließlich, eine Neustrukturierung des Büros anzukündigen. Die Menschen, die sich bis dahin hilfesuchend an die "Tutela Legal" gewandt hatten, befürchteten, dass die historisch wertvollen - und strafrechtlich vielleicht irgendwann einmal relevanten - Dokumente verloren gehen würden. Mehr noch: Vorwürfe wurden laut, unter dem Schutz des umstrittenen Amnestiegesetzes hätten Angehörige des Militärs den Erzbischof unter Druck gesetzt. Immerhin hatten sich die ehemaligen Mitarbeiter der Tutela Legal seit langem für die Aufhebung des Amnestiegesetzes eingesetzt.

Auch in Deutschland stieß das Vorgehen des Erzbistums auf Unverständnis. Kirchliche Hilfsorganisationen wie Misereor oder Adveniat haben die finanzielle Unterstützung erst einmal eingefroren. Thomas Wieland vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat erklärte auf Anfrage der Deutschen Welle: "Wir werden prüfen, mit welcher Institution wir künftig zusammenarbeiten werden." Nicht ausgeschlossen ist, dass die deutschen Hilfswerke wegen des Zickzack-Kurses des Erzbistums künftig auf einen anderen Partner in der Menschenrechtsarbeit vor Ort setzen. Coto weiß um das zerschlagene Porzellan. "Wir haben das Vertrauen der Leute verloren. Es wird harte Arbeit werden, dieses Vertrauen zurückzugewinnen." Mittlerweile arbeiten fünf statt wie zuvor nur zwei Mitarbeiter in dem umstrukturierten Menschenrechtsbüro. Das soll die Ernsthaftigkeit des Engagements des Erzbistums unter Beweis stellen.

Gedenken an Erzbischof Oscar Arnulfo Romero (Foto: AP)
Die Ermordung von Erzbischof Romero ist bis heute nicht aufgeklärtBild: AP

Archiv soll digitalisiert werden

Die Deutsche Botschaft in San Salvador zeigt sich offen für Gespräche über Hilfe aus Deutschland, um das "Gedächtnis des Bürgerkrieges" zu ordnen, systematisieren und digitalisieren, wie es Coto fordert.

Wie wichtig der Schutz der Dokumente ist, hat die Hilfsorganisation Pro Busqueda erfahren, die vor wenigen Wochen von Unbekannten in San Salvador überfallen wurde. In den Räumlichkeiten befinden sich Unterlagen, die den Verbleib von während des Bürgerkrieges verschwundenen Kindern klären soll. Viele der Opfer wurden von Angehörigen der Militärs verschleppt. "Es kamen Unbekannte, die versucht haben, die Dokumente zu verbrennen", berichtet Direktorin Mirla Carbajal über einen Vorfall vom 14. November, als Einbrecher das Sicherheitspersonal überwältigten und versuchten Feuer zu legen. Mittlerweile ist "Pro Busqueda" in ein anderes Gebäude gezogen, das mehr Schutz vor solchen Übergriffen bieten soll.

Screenshot http://www.probusqueda.org.sv
Die Menschenrechtsorganisation Pro Busqueda sucht bis heute nach verschwundenen KindernBild: Pro Búsqueda

Wie es mit dem Menschenrechtsbüro des Erzbistums weitergeht, ist ungeklärt. Die entlassenen Mitarbeiter bieten nun eine eigene Rechtsberatung für Opfer des Bürgerkrieges an. Auch die Zentralamerikanische Universität UCA von San Salvador, von der die ermordeten Jesuiten stammen, erwägt sich in diesem Feld zu engagieren. Das Erzbistum von San Salvador hofft auf eine zweite Chance. Ob es sie bekommen wird: ungewiss.