Auf der Suche nach dem "Brahms Code"
8. Oktober 2019Unerbittlich schlägt die Pauke am Anfang der 1. Sinfonie von Johannes Brahms, an der er ganze 14 Jahre gearbeitet hat. Kraftvoll und gnadenlos, als ob uns der Rhythmus sagen wollte: "Genau so ist es, so muss es sein und nicht anders".
"Diese Musik ist großartig. Nicht nur, weil sie die Zeit widerspiegelt, in der sie geschrieben wurde, sondern weil sie auch ein Soundtrack unserer Zeit ist", sagt der Dirigent Paavo Järvi gleich in den ersten Minuten des DW-Films "Brahms Code" - und beantwortet damit die Frage, warum man sich nun auf eine anderthalb stündige Reise in die Tiefe der Brahms Sinfonik begeben sollte.Die Verbündeten - wieder unterwegs
Gemeinsam mit den Musikern der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, einer eingeschworenen Solistenvereinigung, erforscht der estnische Maestro Järvi die vier Sinfonien des norddeutschen Genies Johannes Brahms. Man denkt und sucht zusammen, man lacht und streitet sich auch schon mal. Kameras begleiten die Musiker bei Proben und bei der Aufführung des Zyklus in Paris - im geschichtsträchtigen "Théâtre des Champs Élysées". "Natürlich ist es Wahnsinn, in dieser Stadt einen ganzen Zyklus spielen zu können", sagt die Flötistin Bettina Wild. "Zwei Konzerte hintereinander, nur mit unseren Sinfonien - ohne einen Solisten, der in der Regel dazu beiträgt, dass der Saal voll wird. Nur wir mit unserem Brahms im Mittelpunkt, das ist eine Sensation!"
Musik als gemeinsame Sache starker Individuen - das ist seit Jahren das Erfolgsrezept der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen. Das besondere Orchester, das seinen Ursprung als Zusammenschluss gleichgesinnter Musikstudenten hat und sich selbst verwaltet, erfindet sich mit jedem Projekt neu. Mit dem estnischen Dirigenten Paavo Järvi, zur Zeit einer der gefragtesten Maestri der Welt, spielte sich die Kammerphilharmonie an die Weltspitze. Mit dem gemeinsamen Zyklus der Beethoven-Sinfonien setzten sie Maßstäbe, es folgten die Sinfonien von Robert Schumann. Und jetzt sind es die Sinfonien von Johannes Brahms.
"In den letzten Jahren habe ich mit der Kammerphilharmonie ausschließlich Brahms gespielt", erzählt Paavo Järvi. "Für das Orchester ist es eigentlich fast schon zu einem religiösen Ritual geworden, dass wirklich vor jedem Konzert geprobt wird - ganz gleich, wie oft wir das Stück schon gespielt haben. Es gibt jedes Mal neue Farben, Nuancen und Facetten zu entdecken."
Regisseur Christian Berger: Trilogie abgeschlossen
So tief ins musikalische Detail und die geistige Tiefe jedes einzelnen Taktes zu gehen, ist ein Luxus, den nur wenige Orchester genießen - ein Luxus, der dank des Films "Brahms Code" nun auch dem Zuschauer zuteil wird. Der Film "Der Brahms Code" des Regisseurs und DW-Kulturredakteurs Christian Berger ist mittlerweile die dritte Kooperation mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und Paavo Järvi. Bei der Arbeit an den Filmen "Das Beethoven-Projekt" (2010) und "Schumann at Pier2" (2012) entwickelte sich zwischen Filmcrew und Künstlern ein vertrauensvolles Verhältnis, das den neuen Brahms-Film überhaupt erst möglich machte.
"Dieses Orchester war immer besonders und ist besonders geblieben, auch wenn zwischen dem ersten und dem letzten Film acht Jahre liegen", sagt Christian Berger. "Jeder der drei Filme hat seine Besonderheit. Der erste Film war ja ein Porträt des Orchesters und des Dirigenten. Beim zweiten Film haben wir uns auf Schumanns Sinfonien konzentriert und sehr aufwändig die Musik inszeniert, sozusagen ein Konzert veranstaltet für eine Filmproduktion." Der Brahms-Film ist beides: Er präsentiert Musiker und den Dirigenten als Gesprächspartner und geht nahtlos über zu den Konzertaufnahmen aus Paris.
Was am Ende herauskommt, ist großartige Musik. Er liefert neue Erkenntnisse über den "alten" Brahms. So fällt Maestro Järvi zu den Tempi der 2. Sinfonie schon mal das Bild der eleganten, tänzelnden Lipizzaner der Spanischen Hofreitschule ein, ein anderes Mal spricht er von einem "verrückten deutschen Tango".
Die Menschen hinter der Musik
Auch wenn der charismatische Maestro Paavo Järvi im Mittelpunkt steht, gelingt es Christian Berger Orchestermusiker aus der Anonymität zu holen. "Mir war es wichtig, von dem heroischen Bild des Dirigenten, der alles macht, wegzukommen", erklärt Berger. "Jeder der Orchestermusiker ist Künstler mit eigenen Gedanken und eigener Interpretation." So rebelliert die Hornistin Elke Schulze Höckelmann schon mal gegen die Aufforderung des Maestros, eine Pause möglichst lange zu halten: "Je länger ich Pause mache, desto schwieriger ist es auch eigentlich wieder zu spielen. Da muss man eine Mischung finden, inne zuhalten, aber doch im Fluss zu bleiben."
"Das interessierte mich als Regisseur und als Zuschauer und ich hoffe, das interessiert auch die Leute, weil man dann vielleicht ein bisschen mehr versteht, wie ein Orchester funktioniert, was für Leute es eigentlich sind, die da an der Pauke oder am Cello sitzen, was der Konzertmeister macht", sagt Christian Berger. "Am Ende des Films hat man das Gefühl, viele neue gute Bekannte gewonnen zu haben - Orchestermusiker, die man nie wieder pauschal als Orchestermasse wahrnehmen wird. Und man meint, dem Genie Brahms einen Schritt näher gekommen zu sein."
Der zweiteilige Film "Brahms Code" wird im DW-TV-Programm ab dem 11. Oktober zu sehen.