Festival: "Weimar Republic of Yiddishland"
16. Juli 2019Seit 20 Jahren erinnert der Yiddish Summer Weimar (YSW) an die Vitalität und Tradition jiddischer Kultur – insbesondere der Musik, die einst eine Schlüsselrolle im kulturellen Lebens Europas einnahm.
Im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sich Berlin zur inoffiziellen Hauptstadt einer Art jüdischer Kulturrepublik, die sich quer über Europa von Russland bis Frankreich erstreckte. Das Geflecht von jiddisch-sprachigen Kabaretts, Theatern, Literaturkreisen, Bildungsstätten und sogar jüdischer Arbeiterverbände fügte sich nahtlos in den allgemeinen Kulturreigen und die damalige Gesellschaft der Weimarer Republik ein.
Das Ziel der Nazis nach der sogenannten "Machtergreifung" 1933 war es, dem ein für alle Mal ein Ende zu setzen - ohne Erfolg: Dem 'Jiddischland' wird in Weimar neues Leben eingehaucht. Und das in der Stadt, die man mit den Ikonen der Deutschen Romantik und der klassischen Literatur verbindet: Goethe und Schiller.
1000 Jahre Kulturgeschichte
"The Weimar Republic of Yiddishland" ist das Thema des YSW 2019, der in diesem Jahr vom 12. Juli bis zum 17. August stattfindet. Im Fokus steht die Blütezeit der jiddischen Kreativität, die vor der Machtübernahme der Nazis 1933 in Deutschland und ganz Europa ihren Höhepunkt erreichte.
"Jüdische Künstler waren in der Weimarer Zeit in allen Bereichen der Kultur vertreten und äußerst populär, ob in der Literatur oder in klassischer Musik und Popmusik, im Theater, Film, Kabarett, in der bildenden Kunst und sogar beim Modern Dance", so Alan Bern, Leiter des YSW-Festivals, gegenüber der DW.
Auch in der Architektur und der Philosophie gibt es berühmte Juden, die weltweit großen Einfluss hatten. Dazu zählen u. a. die Philosophin und Politologin Hannah Arendt oder Theodor Adorno, einer der Hauptvertreter der Frankfurter Schule.
Die zahlreichen Buchverlage und Musikproduzenten, die zu Zeiten der Weimarer Republik in Berlin wirkten – die Integration der jiddischen Sprache in den internationalen P.E.N-Club unter den Namen "Jiddischland" inklusive -, waren das Ergebnis der tausendjährigen Geschichte des Jiddischen in Deutschland.
"Tatsächlich war die jüdische Präsenz in der Kultur der Weimarer Zeit so stark, dass sie unweigerlich eine Reaktion der Nazis hervorrief", sagt Alan Bern. Wenn er nicht beim YSW die Fäden zieht, arbeitet der US-Amerikaner als Komponist, Akkordeonspieler und Kulturaktivist. Seit 1987 ist er in Berlin zu Hause.
Die Nazis verschmähten die Weltoffenheit der jüdischen Kultur und "machten sie zu einem wesentlichen Punkt ihrer nationalistischen, antisemitischen Propaganda", fügt Alan hinzu. Nachdem Hitler 1933 an die Macht gekommen sei, habe er sehr bald einen politischen Kurs gefahren, der "Juden aus der deutschen Kulturszene ausschloss."
Um in aller Deutlichkeit zu zeigen, wie die jüdische Kultur trotzdem überlebt hat und jetzt wieder erneut globale Bedeutung erlangt, werden beim YSW zehn neue internationale Musik- und Theaterproduktionen Premieren feiern. Diese Werke sprengen längst die Grenzen traditioneller Klezmer-Bands.
Die Revolution des Kabaretts
So steht die Weltpremiere der einzigen erhaltenen jiddischen Oper Europas "Bas-Sheve" in einer Orchesterfassung auf dem Programm. Komponiert von Henech Kon, wurde sie 1924 in Warschau uraufgeführt, allerdings nur mit Klavierbegleitung. Fast ein Jahrhundert später wird das "Triangle Orchestra", bestehend aus 30 jungen Musikern aus ganz Europa, die Oper wieder zum Leben erwecken. Sie erzählt die biblische Geschichte von König David und Batseba.
Ein anderes Highlight ist das "Café Cosmopole", ein Musiktheater mit Originalmusik des jiddischen Duos "Tsvey Brider" ("Zwei Brüder"). Anthony Mordechai Tzvi Russell singt und Dmitri Gaskin spielt dazu Akkordeon und Klavier. Mit Hilfe von Synthesizern erschaffen sie einen Klangteppich zu den Worten jiddischer Dichter und Schriftsteller, die zwischen den beiden Weltkriegen die Cafés in Berlin, Odessa und Warschau bevölkerten, wo jüdische Kommunisten, Sozialisten, Zionisten, Emigranten und die Bohème Hof hielten.
Sasha Lurje tritt regelmäßig beim YSW auf und ist eine der Mitbegründerinnen des Festivals "Shtetl Neukölln", wo einmal im Jahr die lokale Klezmer-Szene feiert. Die gebürtige Lettin nimmt dieses Jahr an verschiedenen jiddischen Musikworkshops beim YSW teil. Darüber hinaus singt sie bei der Premiere von "Baym Kabaret Yitesh" mit – eine Wiederaufnahme des jiddischen grenzüberschreitenden Warschauer Kabaretts aus den 1920er Jahren.
Michael Wex, Bestsellerautor der Tageszeitung "New York Times" und Experte des Jiddischen, steckt hinter dieser revolutionären und avantgardistischen Wiederaufnahme des "expressionistischen Experiments", das das jiddische Kabarett in Polen ausmachte und das sich in ganz Europa ausbreitete.
Die Schatten der Vergangenheit
Die Renaissance der jiddischen Kultur findet ironischerweise in der Nähe des Konzentrationslagers Buchenwald statt, das 1937 von den Nazis erbaut wurde. Unter den 56.000 ermordeten Gefangenen dort waren 11.000 Juden. "Dass wir nur ein paar Kilometer von Buchenwald entfernt sind, erinnert uns jeden Tag daran, wie wichtig unsere Mission ist", sagt Festivalleiter Alan Bern.
"Die systematische Ermordung von Millionen Juden bedeutete, dass die lebendige kulturelle Basis, aus der die zeitgenössische jiddische Kultur entstand, verschwand," fügt er hinzu. Und merkt außerdem an, dass diese Jahrtausende alte jiddische Kultur auch vom Staat Israel nicht mehr anerkannt wird und durch eine "neue kulturelle Identität für Juden" ersetzt wurde.
Einen Teil des verlorenen Kulturgutes wird Rapper Josh Dolgin beim YSW wieder aufleben lassen. "Arestantnlider: Hearing Unheard Voices" heißt sein Konzert, "ungehörte Stimmen hören". Einfluss auf seine Musik hatten ethnografische Aufnahmen von osteuropäischen, jüdischen Gefangenen, die während des Ersten Weltkrieges in deutschen Kriegsgefangenenlagern eingesperrt waren.
Bern glaubt, dass der Beitrag von Jiddisch-sprechenden, jüdischen Künstlern an der allgemeinen Kultur- und Kunstszene solche Revivals noch wichtiger macht. Der zentrale Wert des YSW sei, so Bern, dass die reiche Tradition wieder zu einer "Quelle der Inspiration und Ideen für alle zeitgenössischen Künstler, jüdisch oder nicht", wird.
Der Yiddish Summer Weimar findet noch bis zum 17. August 2019 an verschiedenen Orten in Weimar statt.