Sanktionen aus London gegen Saudi-Arabien
24. Oktober 2018Die britische Premierministerin Theresa May kündigte bei einer Parlamentssitzung in London als Reaktion auf die Tötung des Journalisten Jamal Khashoggi an, "allen Verdächtigen" das Visum zu entziehen. Zuvor hatte das US-Außenministerium 21 saudi-arabische Verdächtige identifiziert, die mutmaßlich in die blutige Tat verwickelt sind.
Die Personen entstammen demnach den "Geheimdiensten, dem Königshof, dem Außenministerium und weiteren saudi-arabischen Ministerien". May verkündete, das britische Innenministerium werde Maßnahmen gegen "alle Verdächtige" ergreifen, um deren Einreise nach Großbritannien zu verhindern. "Wenn diese Personen derzeit über ein Visum verfügen, dann wird es ihnen heute entzogen", sagte May. Sie gehe davon aus, noch mit dem saudischen König Salman zu sprechen. May sagte, zusätzlich zu den bisher getroffenen Maßnahmen werde der Umgang mit Rüstungsexporten nach Saudi-Arabien "geprüft".
Macron telefoniert mit saudischem König
Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron hat nach dem gewaltsamen Tod Khashoggi die Drohung seines Landes mit internationalen Sanktionen gegen die Schuldigen bekräftigt. Frankreich werde nicht zögern, solche Maßnahmen in Absprache mit seinen Verbündeten zu ergreifen, teilte der Élysée-Palast nach einem Telefonat Macrons mit dem saudischen König Salman mit.
Wie das US-Außenministerium am Dienstag mitteilte, sollen 21 Personen ab sofort kein Visum mehr erhalten. Bereits erteilte Visa werden entzogen. US-Außenminister Mike Pompeo sagte, die Einreisesperren "werden nicht das letzte Wort der Vereinigten Staaten in dieser Angelegenheit sein". Denkbar seien auch Finanzsanktionen gegen Einzelpersonen.
Internationale Skepsis
Mit dem Vorgehen Großbritanniens und der USA werden damit erstmals Konsequenzen aus den Vorwürfen gezogen, Khashoggi sei bei einer Auseinandersetzung im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul getötet worden.
Zahlreiche andere Regierungen hatten die bisherige Erklärung des Königshauses in Riad als unzureichend bezeichnet - zumal Riad zuvor wochenlang versichert hatte, der Journalist habe das Konsulat lebend wieder verlassen. EU-Ratspräsident Donald Tusk mahnte eine gründliche Aufklärung an. Das einzige Interesse der EU sei es, "alle Details ans Licht zu bringen - egal wer dahinter steckt", sagte Tusk vor dem Europaparlament in Straßburg.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und der saudiarabische Kronprinz Mohammed bin Salman sprachen telefonisch über "die notwendigen gemeinsame Bemühungen und Schritte, um sämtliche Aspekte des Mordes an Jamal Khashoggi aufzuklären". Das teilte das Präsidialamt in Ankara mit, Es war ihr erstes Telefonat seit der Tat. Von der Führung in Riad verlangte Erdogan die vollständige Aufklärung des Verbrechens, vermied es aber, bin Salman beim Namen zu nennen. Der einflussreiche Thronfolger wird verdächtigt, die Tötung des kritischen Journalisten angeordnet zu haben. Wie das türkische Präsidialamt mitteilte, erfolgte das Telefonat auf seinen Wunsch. Experten mutmaßen seit Tagen, dass Riad versucht, Ankara dazu zu bewegen, den Fall fallenzulassen.
Die türkische Regierung hat bisher direkte Schuldzuweisungen an Saudi-Arabien vermieden, doch veröffentlichen türkische Medien fast täglich neue Details aus den Polizeiermittlungen, die den Kronprinzen belasten und den Druck auf Riad aufrecht erhalten. So berichtete eine Zeitung, dass der Chef des zur Tötung Khashoggis entsandten Kommandos mehrfach am Tag der Tat mit dem Büroleiter des Kronprinzen telefoniert habe.
Salman selbst verurteilte die Tötung Khashoggis als "abscheuliches Verbrechen". Bei einem Wirtschaftsforum in Riad sagte der Kronprinz zu, den Fall aufzuklären: "Die Gerechtigkeit wird siegen." Es waren die ersten öffentlichen Äußerungen des Thronfolgers seit Khashoggis Tod.
Enge Verbindung zwischen Washington und Riad
US-Präsident Donald Trump sprach von einer dilettantisch verschleierten Tötung. "Es war ein totales Fiasko." Schon der Tatplan sei "sehr schlecht" gewesen, sagte Trump im Weißen Haus. Er sieht in dem Fall Khashoggi "eine der schlechtesten Vertuschungsaktionen in der Geschichte" und machte in einem Interview des "Wall Street Journal" den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman für die Tat verantwortlich. Der Prinz leite de facto die Regierungsgeschäfte, sagte er. "Wenn es also irgendjemand war, dann er."
Der US-Präsident telefonierte nach eigenen Angaben mit dem saudiarabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman und mit dem König. Der Kronprinz, der am Mittwoch eine Rede bei einer Investorenkonferenz in Riad halten wollte, habe dabei bekräftigt, dass "er nichts damit zu tun hat" und dass eine "untere Ebene" verantwortlich sei, sagte der US-Präsident.
Vizepräsident Mike Pence sagte, die US-Regierung werde weitere Antworten von Riad verlangen. Für die US-Regierung ist der Fall wegen der engen wirtschaftlichen Beziehungen zu Saudi-Arabien und dem gemeinsamen Vorgehen gegen den Iran überaus delikat.
Laufen glaubwürdige Ermittlungen?
Medienberichten zufolge hat die Türkei mittlerweile CIA-Chefin Gina Haspel über die Ermittlungen des seit dem 2. Oktober verschwundenen Journalisten informiert. Die regierungsnahe Zeitung "Sabah" berichtete, der türkische Geheimdienst MIT habe Haspel bei einem Besuch in Ankara "Video- und Audioaufnahmen" gezeigt und ihr die bei der zweimaligen Durchsuchung des saudi-arabischen Konsulats und der Residenz des Konsuls gesammelten Beweise vorgelegt. Unklar ist, zu welchen Erkenntnissen die Ermittler dadurch gekommen sind.
Nur wenig wird über die laufenden Ermittlungen der türkischen Behörden bekannt. So haben saudische Behörden bei der Durchsuchung des Konsulats, in dem Khashoggi Dokumente für seine geplante Hochzeit abholen wollte, vergangene Woche Ermittler nicht an einen Brunnen im Garten des Konsulats herangelassen. Das berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf Sicherheitskreise. Nach mehreren Berichten in regierungsnahen türkischen Medien wurde die Erlaubnis erst am Mittwochnachmittag erteilt.
Nach Medienangaben verfügen die Ermittler über Ton- und Bildaufnahmen aus dem Konsulat, welche die Tötung des "Washington Post"-Kolumnisten belegen sollen. Die Regierung in Ankara hat dies bisher aber nicht bestätigt. Auch Präsident Recep Tayyip Erdogan erwähnte die Existenz solcher Aufnahmen in einer Rede zum Fall Khashoggi nicht.
sam/haz (afp, rtr)