1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Atomkraft Frankreich

5. Juli 2011

Die Atomkraft ist nicht beherrschbar. Nach der Katastrophe von Fukushima ist dies auch den Franzosen klar. Mit großer Mehrheit wollen sie den Ausstieg. Für die Regierung und die Atomindustrie ist dies ein Problem.

https://p.dw.com/p/11ogJ
AKW Cattenom (Foto: dpa)
Das AKW Cattenom in FrankreichBild: dapd

Der schwere Reaktorunfall im japanischen Fukushima sorgt auch in Frankreich für politische Schockwellen, dem weltweit zweitwichtigsten Atomstaat. Zu rund 80 Prozent stammt der Strom aus einem der insgesamt 58 französischen Reaktoren. Seit General Charles de Gaulle in den 1960er Jahren die Weichen für das umfangreiche Atomstromprogramm stellte, um damit dem Land Unabhängigkeit im Energiebereich zu garantieren, galt das "tout nucléaire" als nationaler Konsens. Doch nun hat der GAU in Japan ein Umdenken bei den Franzosen ausgelöst.

Sarkozy hält an Atomkraft fest

Nicolas Sarkozy (Foto: AP)
Vor Arbeitern wirbt Sarkozy für die AtomkraftBild: AP

An der Staatsspitze ist dies noch nicht angekommen. Ende Juni präsentierte Staatspräsident Nicolas Sarkozy sein Programm der großen Staatsanleihe unter dem Titel: Zukunfts-Investitionen. Für Sarkozy spielt dabei auch die zivile Kernkraftnutzung eine Rolle: "Wir werden eine Milliarde Euro für das Atomprogramm der Zukunft bereitstellen, speziell für die Atomkraftwerke der vierten Generation", kündigte der Staatschef im Fernsehen an. Ebenso werde seine Regierung umfangreiche Mittel der großen Staatsanleihe in die Forschung stecken, zur Verstärkung der Anlagensicherheit. Sarkozy verweist stolz darauf, dass Frankreich diesbezüglich schon über einen "weltweit anerkannten Vorsprung" verfüge.

Parteien vollziehen Kurswechsel

Zwar gibt sich Nicolas Sarkozy davon überzeugt, dass in Frankreich Atomkraft noch eine Zukunft habe, doch populistisch angehaucht kündigt er immerhin eine Einschränkung an. Langfristig solle der Anteil des Atomstroms an der Energieproduktion im Land gesenkt werden. Wie dies genau erfolgen soll, erklärt Sarkozy allerdings nicht.

Mit dem Treueschwur zur Atompolitik allerdings stünden Sarkozy und seine konservative Regierung heute ziemlich allein auf weiter Flur, sagt Yves Marignac. Der Experte für Energiepolitik leitet das Pariser Büro der Nichtregierungsorganisation World Information Service Energy (WISE) und hält fest: "Alle anderen Parteien haben in den letzten Wochen eine mehr oder weniger starke Kurswende durchgeführt." Das Spektrum reicht laut dem WISE-Chef "vom mittelfristigen Atomausstieg bis hin zu sanfteren Tönen wie denen, den Anteil des Atomstroms an der einheimischen Energieproduktion senken zu wollen".

Atomindustrie verliert Rückendeckung

Yves Marignac (Foto: Privat)
Yves Marignac sieht starke VeränderungenBild: Wise-Paris

Yves Marginac hebt hervor, dass solche Töne in Frankreich noch nie zu hören waren. Und darauf ist die Atomlobby im Land, speziell die Atomindustrie, in keinster Weise gefasst. Der Experte berichtet, dass sich die Nuklearindustrie in den vergangenen 50 Jahren in einem extrem abgesicherten politischen Rahmen entwickelte: "Bislang hieß es immer, die Atompolitik sei eine nationale politische Vorgabe und daran werde sich auch nichts ändern." Damit sei es nun vorbei, nun müsse sich die französische Atomindustrie einer neuen glaubwürdigen Hypothese stellen, sagt Yves Marignac: "Im kommenden Jahr stehen Präsidentschaftswahlen an, und dabei könnte eine Mehrheit an die Macht kommen, die einen langfristigen Atomausstieg anstrebt."

Der deutsche Ausstieg kratzt am französischen Konsens

Der Beschluss Deutschlands, aus der Kernkraft auszusteigen, sorgt beim Nachbarn Frankreich für heftige Diskussionen. Und immer mehr französische Stimmen fordern, dem Vorbild aus Berlin zu folgen. Denn schließlich, so heißt es, sei Deutschland Exportweltmeister. Und wenn Deutschland nun auf erneuerbare Energien setze, habe es damit wohl wirtschaftlich die Nase im Wind.

Atomunfall auch in Frankreich möglich

Andre-Claude Lacoste (Foto: dpa)
Andre-Claude Lacoste hält einen schweren Unfall auch in Frankreich für möglichBild: picture alliance / dpa

Laut jüngsten Umfragen sprechen sich bis zu 77 Prozent der befragten Franzosen für einen "progressiven Atomausstieg" aus. Ein Tabu ist damit gebrochen. Der nationale Atomkonsens wankt schon seit Anfang April. Knapp drei Wochen nach dem japanischen Reaktorunglück bekennt André-Claude Lacoste, Chef der Atomsicherheitsbehörde in Paris, erstmals öffentlich, auch in Frankreich sei ein schwerer Unfall nicht auszuschließen. Und als er die allerersten Lehren aus dem GAU in Fukushima zieht, räumt er gewisse Mängel an der Studie zur Sicherheit der französischen Reaktoren ein: "Wir haben beispielsweise nicht die möglichen Schäden im AKW untersucht, falls ein Erdbeben und eine Überschwemmung zusammenkommen", gibt Lacoste mit gewisser Selbstkritik zu.

Stadträte fordern Abschaltung

AKW Fessenheim (Foto: dapd)
AKW Fessenheim in FrankreichBild: AP

Ein schwerer Unfall ist auch in französischen Kraftwerken möglich. Diese Erkennnis veranlasste den Stadtrat von Straßburg zum Umdenken und sorgte für Schlagzeilen. In einer spektakulären Abstimmung forderte er, das benachbarte Atomkraftwerk Fessenheim, die älteste Atomstromanlage im Land, zu schließen. Eine Premiere im Land, der andere Gemeinden zwischenzeitlich folgten.

Roland Riess, Bürgermeister von Straßburg, erklärt, zwar sei bei ihm im Elsass kein Tsunami zu befürchten, "aber vor einem Erdbeben sind wir keineswegs sicher". Schließlich habe die Erde im benachbarten Oberrhein-Tal schon gebebt. Und da das Atomkraftwerk Fessenheim gerade mal sechzig Kilometer entfernt liegt, befinde sich Straßburg also in der potenziellen Gefahrenzone. Roland Riess gibt zu, sehr erleichtert zu sein, "dass der Stadtrat der Forderung, das Atomkraftwerk zu schließen, einstimmig, wirklich einstimmig zugestimmt hat".

Dessen ungeachtet gab die Behörde für Atomaufsicht grünes Licht für den Weiterbetrieb von Reaktor 1 in Fessenheim. Die Behörde empfahl nun erwartungsgemäß eine Verlängerung der Laufzeit um zehn Jahre. Jedoch knüpfte sie ihre Zustimmung an die Auflage, technische Verbesserungen vorzunehmen.

Kritik an atomarer Sicherheit in den Medien

Mit bislang ungewohnter Schärfe widmen sich seit der Katastrophe von Fukushima auch die Medien dem Thema Atom. Kurz nach dem GAU in Japan sendete das Fernsehen beispielsweise mehrere Reportagen, die die prekären Alltagsbedingungen der sogenannten "Wanderarbeiter des Atoms" beleuchten, also derer, die als Subunternehmer für die Wartung der französischen Kernkraftwerke zuständig sind. Dass da einiges im Argen liegt, hält auch ein Bericht fest, den der parlamentarische Ausschuss für Technologiefolgenabschätzung in Paris nach dem GAU in Arbeit gab und der Ende Juni veröffentlicht wurde. Die Forderung der Autoren: die Sicherheit der Anlagen sei das höchste Gut und habe über wirtschaftlichen Aspekten zu stehen.

Imagestrategie der Atomindustrie gefährdet

Baustelle des geplanten Europäischen Druckwasserreaktors (EPR) in Flamanville (Foto: dpa)
Unfälle in Flamanville vertuschtBild: picture-alliance/ dpa

Ende Juni deckte auch die Tageszeitung "Le Monde" auf, dass beim Bau des Europäischen Druckwasser-Reaktors EPR, des Atomkraftwerks der vierten Generation, Arbeitsunfälle vertuscht werden. Das hat Gründe: Der EPR wird als sicherster Kraftwerkstyp bezeichnet und gilt als potentieller Exportschlager der französischen Atomindustrie. Der Japaner Taro Mitamura verfolgt die neue Atomdebatte sehr aufmerksam. Mitamura ist Kernenergie-Experte und leitet das Studio des japanischen Fernsehsenders NHK in Paris. Er beobachtet, dass Frankreich nun sehr viel Wert auf mehr Sicherheit lege. Und dass die Verantwortlichen sich bemühten, auf internationaler Ebene Sicherheitsstandards zu verstärken und zu ihrer Vereinheitlichung auf hohem Niveau beizutragen. "Da könnte Frankreich weltweit die Führungsrolle übernehmen", sagt Mitamura.

Atomausstieg wird Wahlkampfthema

Es ist fraglich, ob die Imagestrategie der Atomindustrie aufgeht. In den französischen Medien dürfte das Thema Kernkraft nicht so schnell aus den Schlagzeilen kommen. Im Frühjahr 2012 stehen nämlich Präsidentschaftswahlen an. Nur die rechte UMP, die aktuell an der Regierung ist, spricht sich noch für einen weiterhin unbeschränkten Atom-Kurs aus. Zudem ist eine öffentliche Debatte zum Thema Atommüll anberaumt. Ein heißes Thema, denn auch Frankreich sucht noch immer händeringend eine Lösung zur dauerhaften Entsorgung der strahlenden Abfälle. Und ein Endlager wollen auch die Franzosen nicht in ihrer Nachbarschaft haben.

Autorin: Suzanne Krause
Redaktion: Gero Rueter