Auch Deutschland lauscht mit
30. Juni 2013Bei aller Notwendigkeit der Informationsgewinnung sei "das Thema der Verhältnismäßigkeit immer ein wichtiges Thema". Das war's - mehr Kritik am Spionageprogramm PRISM kam Angela Merkel beim Berlin-Besuch von US-Präsident Obama (19.06.2013) nicht über die Lippen.
Die Kanzlerin hat für ihre Zurückhaltung gute Gründe. Denn das, was für weite Teile der Bevölkerung Neuland ist, nämlich die Gewissheit, dass große Teile unserer Internetkommunikation überwacht werden, dürfte die Kanzlerin nicht überrascht haben.
Auch deutsche Spione schnüffeln im Netz. Und zwar nicht nur bei konkreten Verdachtsfällen, sondern großflächig. Der Bundesnachrichtendienst (BND), der Auslandsgeheimdienst Deutschlands, darf bis zu 20 Prozent der Kommunikation zwischen Deutschland und dem Ausland überwachen und nach festgelegten Suchbegriffen durchforsten. Das ist gesetzlich so festgelegt.
Der BND will mehr Geld
Für eine volle Ausschöpfung des genehmigten Überwachungsrahmens fehlen dem BND jedoch bislang die Kapazitäten. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" können derzeit nur etwa fünf Prozent des Datenverkehrs vom BND überwacht werden. Daher plant der Dienst in den kommenden fünf Jahren, für 100 Millionen Euro seine Rechen- und Serverkapazitäten zu verstärken und 100 zusätzliche Mitarbeiter einzustellen. Genehmigt sind die Zusatzausgaben aber noch nicht.
Im Jahr 2011 filterte der BND allein für den Bereich Terrorabwehr 329.628 Telekommunikationsverkehre aus den Datenströmen heraus und unterzog diese einer genaueren Kontrolle. Dazu gibt es eine Liste mit etwa 1500 Suchbegriffen, welche der Kommunikationsfluss enthalten muss, um geprüft werden zu dürfen.
Die Angaben stammen aus einem Bericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) vom März 2013. Das PKGr besteht aus elf Abgeordneten des Deutschen Bundestages und ist für die Kontrolle der Deutschen Nachrichtendienste zuständig. Neben dem BND sind das der Verfassungsschutz als Inlandsnachrichtendienst und der Militärische Abschirmdienst (MAD) als Nachrichtendienst der Streitkräfte.
Nachrichtendienste teilen Informationen
Im Vergleich zur amerikanischen National Security Agency (NSA) und dem britischen Government Communications Headquarters (GCHQ) ist der Bundesnachrichtendienst im Bereich der Telekommunikationsüberwachung nur schwach aufgestellt. "Das machen allein die Umfangsdaten des Personals deutlich", sagt der deutsche Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom. "Die NSA hat 60.000 Mitarbeiter und beschäftigt noch viele Fremdfirmen. Für das Government Communications Headquarters arbeiten nach Expertenschätzungen insgesamt fast 15.000 Mitarbeiter. Die Fernmeldeelektronische Aufklärungsabteilung des BND umfasst 1500 Leute, also zehn Prozent von dem, was die Briten haben."
Da die Nachrichtendienste befreundeter Staaten einen Teil ihrer Informationen, gerade im Bereich der Terrorabwehr, austauschen, profitiert auch Deutschland von den Abhörmaßnahmen der US-Amerikaner und Briten. Besonders dann, wenn es sich bei den Bespitzelten um deutsche Staatsangehörige handelt. Hier sind dem BND nämlich weitgehend die Hände gebunden, da er rechtlich nicht befugt ist, innerhalb Deutschlands Informationen über eigene Staatsangehörige zu sammeln. Das ist Aufgabe des Verfassungsschutzes und für den gelten datenschutzrechtlich strengere Regeln.
"Wir können natürlich nicht ausschließen, dass die amerikanischen Nachrichtendienste ihre Informationen auch aus Mitteln gewonnen haben, die wir nicht kennen und die wir in Deutschland auch nicht anwenden würden", erklärt Hartfried Wolff, Bundestagsabgeordneter der FDP und Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium, im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Millionen Telefonverbindungen werden überwacht
Zum Glück gebe es die Möglichkeit des Informationsaustausches zwischen den Geheimdiensten, sagt der ehemalige Chef des Bundesnachrichtendienstes Hans-Georg Wieck. "Wie sollte man sonst die Vorbereitung von Terroranschlägen aufspüren, die hier im Lande vorbereitet werden, und bei denen den deutschen Inlandsdiensten keinerlei Hinweise vorliegen?"
Nach neuesten Informationen des Magazins "Der Spiegel" überwacht die NSA in der Bundesrepublik monatlich rund eine halbe Milliarde Kommunikationsverbindungen, also Telefonate, E-Mails, SMS oder Chatbeiträge. An einem durchschnittlichen Tag würden rund 20 Millionen Telefonverbindungen in Deutschland überprüft, so das Magazin, das sich auf interne NSA-Statistiken beruft.
Spionage unter Freunden
Dass sich auch die Regierungen befreundeter Staaten gegenseitig ausspionieren, steht auf einem anderen Blatt. Am Samstag (29.06.2013) wurde bekannt, dass die Amerikaner Abhörgeräte in der EU-Vertretung in Washington D.C. versteckt haben sollen. Vor Tagen hatte die britische Zeitung "The Guardian" bereits darüber berichtet, dass beim G20-Gipfel in London 2009 der britische Geheimdienst GCHQ die Delegationen befreundeter Staaten belauscht und dazu sogar präparierte Internetcafés für die Diplomaten einrichtet hatte.
"Die haben ihren Job gemacht", zeigte sich Geheimdienstexperte Schmidt-Eenboom damals wenig überrascht. "Die müssen nicht nur zur nationalen Sicherheit beitragen und schwere Verbrechen bekämpfen, sondern eine Hauptaufgabe liegt in der Förderung des wirtschaftlichen Wohls Großbritanniens." Denn auch wenn die Regierung bei der Diskussion um Abhörmaßnahmen häufig den Fokus auf die Terrorabwehr legt - was genau die Spione alles treiben, erfährt die Öffentlichkeit nie. Geheimdienste arbeiten eben geheim.