AU-Gipfel: Kinder kriegen, aber richtig
3. Juli 2017"Das Ziel ist nicht, die Geburtenrate zu beschränken", sagt Ministerin Kaffa Rékiatou Christelle Jackou. "Das Ziel ist, eine starke, verantwortungsbewusste und aktive, arbeitende Bevölkerung zu haben." Der Zuwachs werde nur dann zum Problem, wenn die wirtschaftlichen Möglichkeiten nicht gegeben seien. Jackou ist Ministerin für Bevölkerung in Niger, dem afrikanischen Land mit dem höchsten Bevölkerungszuwachs. Eine Frau bekommt dort im Schnitt 7,6 Kinder. Die Zahl der Geburten zu beeinflussen, ist ein sensibles Thema in Afrika, einem Kontinent, wo sich Wohlstand vielerorts über die Zahl der Kinder definiert.
Dieses sensible Thema will die Afrikanische Union bei ihrem Gipfeltreffen anpacken. Die Herausforderungen sind enorm: Von aktuell 1,2 Milliarden Menschen wird sich die Bevölkerung Afrikas bis 2100 auf 4,5 Milliarden fast vervierfachen, wie die Vereinten Nationen prognostizieren. Nigeria hat heute etwa 180 Millionen Einwohner - bis 2100 dürfte diese Zahl auf 800 Millionen ansteigen. Wie so viele Menschen ernährt und mit Arbeitsplätzen versorgt werden können, ist unklar.
Die Afrikanische Union könnte also auf Maßnahmen setzen, um die Zahl der Geburten zu reduzieren. In der Ankündigung des Staatenbunds ist der Schwerpunkt aber anders gewählt: Man will "die demografische Dividende nutzen", indem man in die Jugend investiert. Der äthiopische Premierminister Hailemariam Desalegn formuliert das für sein Land so: "Wir glauben, dass wir zehntausende neue Arbeitsplätze schaffen können, indem wir der Jugend Trainings der unternehmerischen Fähigkeiten und Mentorenprogramme bieten. Dadurch werden wir das Wirtschaftswachstum ankurbeln und schließlich jungen Menschen und Frauen zu wirtschaftlicher Unabhängigkeit verhelfen."
Erst die Arbeit, dann die Familie
In der Ökonomie steht die demografische Dividende für das wirtschaftliche Potenzial veränderter Altersstrukturen in einer Gesellschaft. In dem hohen Anteil junger Menschen im arbeitsfähigen Alter sehen Volkswirte eine Chance für Wirtschaftswachstum. Doch ganz so einfach sei das nicht, sagt Agbada Mangalu Mobhe, Professor für Bevölkerungs- und Entwicklungswissenschaften an der Universität Kinshasa. Man müsse das Bevölkerungswachstum stets im Zusammenhang mit der Entwicklung vorhandener Ressourcen sehen.
Um eine wachsende Bevölkerung nutzbar zu machen, müsse Wirtschaftswachstum vorausgehen, sagt Mangalu Mobhe. "Kinder sind ja nicht von Anfang an produktiv: Sie müssen zunächst aufgezogen, zur Schule geschickt werden. Man muss ihre Gesundheit sicherstellen und ihre Freizeit organisieren. Diese zeitliche Diskrepanz führt dazu, dass ein Bevölkerungswachstum oft eine Verarmung der Gesellschaft mit sich bringt." Wenn Eltern einer Familie mit zehn Kindern diesen allen eine Bildung und einen Weg in die finanzielle Unabhängigkeit ermöglichen könnten, sehe er kein Problem.
An der Realität vorbeigeplant
In einer Welt der begrenzten Ressourcen stehen die Startchancen für Neugeborene allerdings nicht immer so gut. In vielen Ländern Afrikas sollen international finanzierte Familienberatungsstellen Eltern dabei helfen, ihre Lebenssituation in die Familienplanung mit einzubeziehen. Der Zugang zu Verhütungsmitteln ist ein entscheidender Punkt, den auch die AU in ihrem Strategiepapier anspricht. Wenn das Bedürfnis junger Menschen nach modernen Verhütungsmethoden gedeckt werde, könne die Zahl der ungewollten Schwangerschaften um 70 Prozent reduziert werden, heißt es in dem Dokument.
Gerade dem kinderreichen Niger mangelt es nicht an Aufklärungskampagnen. Doch noch immer wächst die Bevölkerung dort jährlich um fast vier Prozent. Die Menschen seien informiert, sagt die Ethnologin Mossi Mariama Hima - doch die Kampagnen gingen an der Realität der Menschen vorbei. "Die große Mehrheit der Nigrer - rund 84 Prozent - leben auf dem Land. Sie leben von einer Landwirtschaft, die sich auf einfache Mittel verlässt. Diese Bevölkerung ist auf Arbeitskräfte angewiesen." Ein weiteres Problem sei, dass Aufklärungsarbeit sich weitgehend auf potenzielle Mütter beschränke, sagt der kongolesische Professor Mangalu Mobhe. Die Frauen könnten aber häufig gar nicht allein entscheiden - die Ehemänner und die Großfamilie würden mitreden.
Sie erwarte von den Staatschefs ein klares Bekenntnis zur Verbesserung der Bildungssysteme auf allen Ebenen, unterstützt von einem Fonds, sagt Nigers Bevölkerungsministerin Christelle Jackou. Der Faktor Bildung ist in mehrfacher Hinsicht relevant: Nicht nur bekommt die heranwachsende Generation dadurch bessere Zukunftsperspektiven. Untersuchungen zeigen auch, dass eine höhere Bildung den Eintritt in die Ehe hinauszögert. Die Folge ist, dass Frauen später und tendenziell nicht so oft Mütter werden.