Atomwaffen: Wohin steuert Kommandant Macron?
7. Februar 2020Emmanuel Macron war noch keine zwei Monate im Amt, da ließ sich der französische Präsident an ein Seil binden und aus einem Helikopter abseilen. Macron landete in James-Bond-Manier auf "Le Terrible", dem "Schrecklichen", einem 138 Meter langen U-Boot der französischen Marine. Der Präsident schaute durchs Sehrohr, ließ sich den schwarzen Koloss erklären, den Atomantrieb und die 16 Raketen, deren Atomsprengköpfe aus 8000 Kilometern Entfernung Millionen Menschen Tod und Verderben bringen können. Die Zerstörungskraft der Raketen des U-Boots: insgesamt 700 Mal so groß wie die der Hiroshima-Bombe.
Diese nukleare "Force de Frappe", also Schlagkraft, ist seit Charles de Gaulle Grundpfeiler französischer Verteidigungspolitik. Neben "Le Terrible" sollen derzeit drei weitere Atom-U-Boote sowie 40 an Land und zehn auf einem Flugzeugträger stationierte Rafale-Jets mit Atomraketen mögliche Feinde Frankreichs abschrecken. "Die Abschreckung ist Teil unserer Geschichte, unserer Verteidigungsstrategie - und das wird sie auch bleiben", sagte Macron, als er im Januar 2018 versprach, das französische Atom-Arsenal rundum zu erneuern. Bis 2025 will er dafür 37 Milliarden Euro ausgeben.
Macron könnte die Nukleardoktrin erweitern
Wenn Macron an diesem Freitag an der "École de guerre" in Paris spricht, dann könnte er seinen Treueschwur zum Atomarsenal noch einmal wiederholen. Er könnte aber auch weitergehen und bei seiner Rede vor den jungen Offizieren und Offizierinnen die französische Nukleardoktrin fundamental verändern. Bislang gilt: Frankreich hält nur ein "striktes Minimum" an Atomwaffen vor, das gerade ausreichen soll, die Sicherheit des Landes zu gewährleisten. Die "vitalen Interessen" Frankreichs stehen im Zentrum.
Doch Macron hat seit 2017 immer wieder größere Ambitionen erkennen lassen. Will der französische Präsident die europäischen Nachbarn unter seinen nuklearen Schutzschirm stellen? Jetzt, wo nach dem Brexit Frankreich die einzige Atommacht in der EU ist? Zu einer Zeit, in der das Vertrauen in den Schutz Europas durch US-Militär schwindet? "Es ist meine Aufgabe, die vitalen Interessen in Fragen der Nuklearwaffen zu definieren", sagte Macron Anfang der Woche bei einem Besuch in Warschau. Das werde er bei seiner Rede am Freitag tun. "Die Interessen unserer europäischen Partner sind dabei in meinen Augen immer zu berücksichtigen." Er werde auch über "Abläufe und Modalitäten" sprechen, die er den Partnern Frankreichs dazu vorschlagen werde.
Geld gegen atomare Teilhabe
In Deutschland wurden zuletzt einzelne Stimmen laut, die eine genaue Vorstellung davon haben, wie diese Abläufe und Modalitäten aussehen könnten. "Deutschland sollte bereit sein, sich mit eigenen Fähigkeiten, das heißt, materiellen und logistischen Mitteln an dieser nuklearen Abschreckung zu beteiligen", sagt etwa Johann Wadephul von der CDU, Vizefraktionschef der Union im Bundestag. "So wie im Rahmen der nuklearen Teilhabe an den US-Nuklearwaffen innerhalb der NATO liegt es im deutschen Interesse zu wissen, was die Franzosen mit ihren Nuklearwaffen vorhaben, und auf die französische nukleare Strategie Einfluss zu nehmen."
Doch würde ein französischer Präsident jemals seine alleinige Entscheidungsgewalt über einen Atomschlag aufgeben wollen? Seine in der Verfassung niedergeschriebenen Rechte als Oberbefehlshaber der französischen Streitkräfte? Das kann sich Corentin Brustlein, Direktor des Zentrums für Sicherheitsstudien am Institut für internationale Beziehungen in Paris, schwer vorstellen. "Davon sind wir weit entfernt. Und wenn Macron jetzt in seiner Rede zu weit geht, den Karren vor das Pferd spannt und sein Ehrgeiz zu grandios ist, dann würde das nach hinten losgehen", sagt er der DW. "Den europäischen Nachbarn eine nukleare Teilhabe zu ermöglichen, sie alle mit französischen Atomwaffen schützen wollen - das wäre nicht glaubwürdig."
Atomare Schlagkraft? Nein, danke!
Brustlein sieht zwei Probleme: zum einen sei das französische Atomarsenal schlicht nicht groß genug, um glaubwürdige Abschreckung für ganz Europa zu ermöglichen. Zum zweiten: "Was auch immer Macron vorhat: er muss darauf achten, dass seine Vorschläge die europäischen Partner in ihren Heimatländern nicht politisch schwächen." Schließlich ist der Glaube an die Kraft atomarer Abschreckung etwa in Deutschland nicht so ausgeprägt wie in Frankreich. Die Mehrheit der Deutschen lehnt Atomwaffen strikt ab. Und auch innerhalb der Großen Koalition dürfte die Forderung Wadepuhls nach mehr atomarer Teilhabe als Minderheitenmeinung gelten.
"Atomwaffen und deren Verbreitung bleiben eines der größten Sicherheitsrisiken", sagt der SPD-Fraktionschef im Bundestag, Rolf Mützenich. Ziel der SPD bleibe deren komplette Beseitigung. Die Linkspartei sprach sogar von "gefährlicher Großmannssucht" und warnte vor Versuchen, Deutschland zur Atommacht zu machen.
Kommt irgendwann die EU-Bombe?
Und was wäre mit einer Atommacht Europa - also einer gemeinsamen EU-Armee, die auch Atomwaffen in ihren Silos lagert? An Gedankenspielen über EU-Streitkräfte hat sich der französische Präsident in der Vergangenheit ebenfalls beteiligt. Und seit seinem Interview zum "Hirntod" der NATO im Herbst spricht er immer wieder davon, dass die europäischen "Säule" im Verteidigungsbündnis gestärkt werden muss, da die USA als verlässlicher Partner ausfallen. "Das wäre ein revolutionärer Wandel in Europa, wenn die Staaten die Souveränität über den Einsatz von Gewalt einer neuen Entität übertragen", sagt Sicherheitsexperte Brustlein. "Das wäre dann ein europäischer Bundesstaat. Dieses Szenario ist nur sehr langfristig denkbar."
Schon heute, so meint Brustlein, könnten sich die Partner Frankreichs jedoch auf eines verlassen: "Die nukleare Abschreckung Frankreichs hat auch eine europäische Dimension." Das hätten Frankreichs Staatschefs in den vergangenen 40 Jahren immer wieder deutlich gemacht und Macron werde es wohl wiederholen: "Die vitalen Interessen Frankreichs enden nicht an den französischen Landesgrenzen."