Athen: Zeit ist Geld
24. August 2012Es ist 11.47 Uhr, als die eskortierte Autokolonne mit dem griechischen Premier Antonis Samaras vor dem Kanzleramt einbiegt. Auf dem regennassen Vorhof ist der rote Teppich ausgelegt, eine Ehrenformation der Bundeswehr ist angetreten, die Nationalhymnen erklingen. Bundeskanzlerin Angela Merkel empfängt den seit Juni amtierenden griechischen Regierungschef mit allen militärischen Ehren.
Doch für Samaras ist es mehr als ein normaler Antrittsbesuch: Für den griechischen Premier geht es in Deutschland um alles oder nichts. Aus Berlin kommt der größte Widerstand gegen das erklärte strategische Ziel Antonis Samaras, seinem Land mehr Zeit für die Umsetzung der Reformvorhaben einzuräumen. Griechenland werde alle Auflagen erfüllen und die Notkredite von mehr als 100 Milliarden Euro auf jeden Fall zurückzahlen, "das garantiere ich persönlich", hatte Samaras vor dem Besuch erklärt.
Er hoffe aber, dass Griechenland das EU-Defizitziel von drei Prozent erst 2016 erfüllen müsse und damit zwei Jahre später, als von der sogenannten "Troika", also den Kreditgebern vom Internationalen Währungsfonds (IWF), der Europäischen Zentralbank (EZB) und der EU-Kommission vorgegeben.
Alle warten auf die "Troika"
Griechenland braucht spätestens im Oktober weitere 31 Milliarden Euro Hilfsgelder. Bevor die nächste Tranche ausgezahlt werden kann, muss Athen den Experten der "Troika" aber nachgewiesen haben, dass es Einsparungen in Höhe von 11,5 Milliarden Euro erbringen wird. Nach Medienberichten heißt es allerdings bereits, das Finanzloch der Griechen sei weitaus größer und das Land müsste bis zu 14 Milliarden Euro einsparen oder erwirtschaften, um die Forderungen der Kreditgeber zu erfüllen.
Diese Hiobsbotschaften sind auch in Berlin angekommen. Zwar heißt es vonseiten der Bundesregierung, Entscheidungen über die weitere Zukunft Griechenlands könnten erst fallen, wenn der offizielle Troika-Bericht über den Stand der Umsetzung der Reformauflagen vorliege. Führende Politiker wie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble haben eine Lockerung der Auflagen aber schon abgelehnt. Mehr Zeit zu geben, heiße "im Zweifel mehr Geld", so Schäuble. Die Euro-Zone sei mit ihrem Hilfspaket aber bereits "an die Grenze dessen gegangen, was irgendwie wirtschaftlich vertretbar" sei. Im Fall Griechenland gehe es "nicht um mehr oder weniger Großzügigkeit", sondern um mehr Vertrauen in der Euro-Zone.
Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Rainer Brüderle, lehnt weitere Hilfen ebenfalls ab. Griechenland sei bereits "großzügig" geholfen worden, sagte er in einem Interview des Deutschlandfunks, "jetzt muss Griechenland mal liefern". Der Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, sagte im ZDF-Morgenmagazin, es habe "keinen Sinn, immer wieder Aufschub zu verlangen", um die notwenigen Strukturreformen aufzuschieben.
Die Bundeskanzlerin macht auch nicht den Eindruck, als vertrete sie eine andere Meinung. "Es ist für mich wichtig, dass wir alle zu unseren Verpflichtungen stehen", hatte sie am Donnerstagabend bei einem Besuch des französischen Präsidenten Francois Hollande in Berlin betont: "Ich werde Griechenland ermutigen, auf dem Reformweg, der ja auch den Menschen in Griechenland sehr viel abverlangt, voranzuschreiten."
Unabdingbare Anstrengungen gefordert
Viel mehr sagte zwar auch Francois Hollande nicht, er setzte aber einen anderen Akzent: "Ich möchte, dass Griechenland in der Euro-Zone bleibt, das ist mein Wille und unsere Aussage, seit diese Krise begonnen hat." Zwar fehlte auch bei Hollande der Hinweis auf die Reformen nicht, aber wenn er sagt, dass "Griechenland, damit wir das erreichen, natürlich die unabdingbaren Anstrengungen unternehmen muss", dann klingt das doch deutlich kompromissbereiter.
Premier Samaras wird an diesem Samstag (25.08.) in Paris von Hollande erwartet. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Frankreich durchaus bereit wäre, Griechenland mehr Zeit für die Reformvorhaben einzuräumen. Gegen ein "Nein" aus Berlin könnte aber auch Hollande wenig ausrichten. Endgültige Entscheidungen über die Zukunft Griechenlands werden am Ende wohl erst auf dem EU-Gipfel in Brüssel Mitte Oktober fallen. Im schlimmsten Fall könnten die Kreditgeber den Geldhahn endgültig zudrehen und Griechenland in den Staatsbankrott entlassen.
Welche Folgen ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone hätte und wie ein Domino-Effekt auf die anderen Euro-Staaten verhindert werden könnte, wird in ganz Europa seit Monaten durchgerechnet. Auch in einem Arbeitsstab des Bundesfinanzministeriums, der sich seit rund einem Jahr mit den Folgen der Staatsschuldenkrise beschäftigt. Dass dieser Arbeitsstab den Namen "Grexit" trägt, wollte Martin Kotthaus, der Sprecher des Bundesfinanzministeriums, nicht bestätigen. Wohl aber sagte er, dass dort alle Szenarien durchgespielt würden – "egal wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich sie sind".