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Asyldebatte nach Solingen-Anschlag: Merz spricht von Notlage

28. August 2024

CDU-Chef Friedrich Merz hat konkrete Forderungen in einem Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz. Doch dieser lässt in einem Punkt nicht mit sich reden. Die Grünen zeigen sich empört.

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Friedrich Merz und Olaf Scholz reden im Bundestag miteinander (08.02.2023)
Friedrich Merz (l.) will mit Kanzler Olaf Scholz in der Migrationspolitik zusammenarbeiten (Archivfoto aus dem Bundestag)Bild: Florian Gaertner/photothek/picture alliance

Bundeskanzler Olaf Scholz will am individuellen Recht auf Asyl nicht nicht rütteln. "Das steht in unserem Grundgesetz. Und das wird niemand mit meiner Unterstützung infrage stellen", bekräftigte der SPD-Politiker am Dienstagabend im Zweiten Deutschen Fernsehen. Scholz hatte sich zuvor mit Friedrich Merz, dem Vorsitzenden der größten Oppositionspartei in Deutschland, der Christlich Demokratischen Union (CDU), im Kanzleramt in Berlin getroffen. Es ging um eine mögliche Zusammenarbeit zwischen Regierung und Opposition bei einer Neuausrichtung der Migrationspolitik in Deutschland.

Nach dem Messeranschlag von Solingen, bei dem ein mutmaßlicher Islamist vergangenen Freitag drei Menschen erstochen und acht weitere verletzt hatte, forderte Merz unter anderem einen generellen Aufnahmestopp von Flüchtlingen aus Syrien und Afghanistan. Tatverdächtig ist ein 26-jähriger Syrer.

Viele Blumen und Kerzen auf dem Boden, ein Mann stellt eine weitere Kerze dazu
Blumen und Kerzen am Tatort in Solingen Bild: Thomas Banneyer/dpa/picture alliance

Merz spricht nun von "faktischem Aufnahmestopp"

Inzwischen spricht der CDU-Chef von einem "faktischen Aufnahmestopp", zu dem seine Vorschläge führen würden. "Eine Änderung des Asylrechts im Grundgesetz fordern wir nicht", heißt es in einem der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vorliegenden vierseitigen Fragen-und-Antworten-Papier, das Merz an die Mitglieder des Bundesvorstands seiner Partei nach seinem Treffen mit Scholz verschicken ließ.

Neuausrichtung notfalls auch ohne Grüne und FDP?

Im Gespräch mit Scholz schlug Merz eine gemeinsame Neuausrichtung der Migrationspolitik vor - notfalls auch ohne die Regierungspartner des sozialdemokratischen Kanzlers, also Grüne und Freie Demokraten (FDP). Das würde einem Koalitionsbruch gleichkommen. Die Unionsparteien - CDU und die Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU) - und SPD könnten nötige Gesetze ohne die beiden Parteien beschließen, sagte Merz.

Friedrich Merz spricht zu Journalisten
CDU-Chef Merz gab nach dem Treffen mit Kanzler Scholz eine Pressekonferenz Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Es gehe der Union nicht darum, Teil der Regierung zu werden. Aber CDU/CSU seien nicht unschuldig daran, dass die illegale Einwanderung in Deutschland "aus dem Ruder" gelaufen sei, gestand Merz ein.

Der CDU-Chef forderte vom Kanzler auch, notfalls eine "nationale Notlage" zu erklären, falls es in der Europäischen Union nicht kurzfristig gelinge, die illegale Migration einzudämmen. Er will damit Gesetzesänderungen in Deutschland auch gegen geltendes EU-Recht durchbringen. Dem Bundeskanzler "entgleitet mittlerweile das eigene Land", behauptete Merz.

EU erklärt: Was sind die Werte der EU?

Olaf Scholz wiederum begrüßte zwar das Gesprächsangebot, betonte jedoch anschließend, die Regierung werde sich auch künftig an internationale und europäische Regeln sowie das Grundgesetz halten. "Wir wollen und müssen die irreguläre Migration begrenzen. Sie ist zu hoch", sagte der Kanzler. Bereits am Montag hatte Scholz eine konsequentere Abschiebepraxis und die Verschärfung des Waffenrechts angekündigt.

Scharfe Kritik kommt von den Grünen

Der Grünen-Politiker und Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Konstantin von Notz, kritisierte mit deutlichen Worten die Äußerungen von Merz. "Das Reden von Friedrich Merz sorgt nicht für mehr Sicherheit, sondern für größere Verunsicherung", sagte von Notz dem Ersten Deutschen Fernsehen an diesem Mittwochmorgen. "Das ist im Grunde genau das, was die Terroristen wollen", argumentierte der Grünen-Politiker.

Konstantin von Notz
Konstantin von Notz (Archivbild) Bild: Thomas Trutschel/photothek/picture alliance

Er betonte, seine Partei sei grundsätzlich bereit, im Kampf gegen den Terrorismus mit der CDU zusammenzuarbeiten. "Wir als Grüne stehen für alle verfassungskonformen, europarechtskonformen Vorschläge zur Verfügung", sagte Notz, der stellvertretender Vorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion ist.

Bessere Ausstattung für Sicherheitsbehörden gefordert

Mit Blick auf Solingen fügte von Notz hinzu: "Man muss gegen die Leute, die so etwas planen, hart vorgehen. Die haben in unserem Land nichts zu suchen, das ist völlig klar, aber man muss eben Vorschläge machen, die funktionieren." Von Notz forderte zugleich in den Ausländerbehörden und bei der Polizei eine ausreichende personelle und technische Ausstattung.

Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Irene Mihalic, zeigte sich ebenfalls offen für Gespräche und kritisierte die Tonalität von Merz. "Der Vorsitzende der größten Oppositionsfraktion zündelt", sagte sie der "Bild"-Zeitung, "statt seiner Verantwortung gerecht zu werden". Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann sagte der Deutschen Presse-Agentur, alle demokratischen Parteien seien in der Verantwortung, die Gefahren des islamistischen Terrors entschieden zu bekämpfen.

FDP sieht dagegen große Übereinstimmung mit Merz-Vorstoß

Der Vorsitzende der Freien Demokraten, Bundesfinanzminister Christian Lindner, sagte, die Vorschläge von Merz zur Migration deckten sich stark mit denen der FDP. Lindner bekräftigte: "Wir schlagen zusätzlich vor, Dublin-Flüchtlingen wie dem Täter von Solingen keine Sozialleistungen mehr in Deutschland zu zahlen, damit diese in das zuständige EU-Land ausreisen."

Der mutmaßliche Attentäter von Solingen hätte eigentlich nach Bulgaren abgeschoben werden sollen. Dort hatte er zuerst EU-Boden betreten.

se/AR (dpa, afp, kna, rtr, ZDF, ARD)