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Asyl: Bundesregierung drückt aufs Tempo

Sabine Kinkartz, Berlin7. September 2015

Die Koalition hat sich auf einen Plan zur Bewältigung der hohen Flüchtlingszahlen geeinigt. Dabei schwankt sie zwischen Zuversicht und Realismus. Mehr Geld und Personal sollen helfen, aber auch mehr Einschränkungen.

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PK Merkel Gabriel zum Umgang mit steigenden Flüchtlingszahlen(Foto: Reuters/F. Bensch)
Bild: Reuters/F. Bensch

Wenn die Bundeskanzlerin und ihr Vize gemeinsam auftreten und das auch nicht von langer Hand geplant ist, dann geht es um Wichtiges. "Wir haben ein bewegendes, ja atemberaubendes Wochenende hinter uns", fasst Angela Merkel die Lage am Montagmorgen im Kanzleramt zusammen und meint damit nicht nur die Ankunft von rund 20.000 Flüchtlingen in Deutschland am Samstag und Sonntag, sondern auch die Erkenntnis, dass der Zustrom der Schutz und Hilfe Suchenden so schnell nicht abebben wird.

Wie soll das Land damit umgehen, wie können hunderttausende Menschen untergebracht, versorgt, aber auch integriert werden? Darüber haben am Sonntagabend die Spitzen der Regierungsparteien CDU, CSU und SPD im Bundeskanzleramt beraten. Am Tag danach stehen Angela Merkel und Sigmar Gabriel Rede und Antwort. "Ich glaube, dass das gestern vielleicht eines der wichtigsten Treffen im Koalitionsausschuss gewesen ist", sagt der SPD-Chef, der den Flüchtlingszustrom als die "größte Herausforderung seit der Wiedervereinigung" bezeichnet. Die Kanzlerin spricht von "Kraftakt" und "Krisenbewältigung", aber auch von "Verantwortung" und "Solidarität".

Geplante Änderungen

Gemeinsam mit der CSU haben sich die Regierungsparteien auf eine Reihe von Maßnahmen geeinigt, mit der die Flüchtlings- und Asylpolitik verändert werden soll. Für die Versorgung und Unterbringung werden im Haushalt 2016 zusätzlich drei Milliarden Euro eingeplant. Weitere drei Milliarden Euro sollen zudem Ländern und Kommunen zur Verfügung gestellt werden. Wie das Geld genau verwendet werden soll, darüber wollen sich Bund und Länder bei einem Spitzentreffen am 24. September einigen.

Deutschland Ankunft von Flüchtlingen in München (Foto: Getty Images/AFP/C. Stache)
Noch nicht am Ende der Reise: Flüchtlinge kommen am Bahnhof in München anBild: Getty Images/AFP/C. Stache

Die Unterstützung für Asylbewerber in Erstaufnahmeeinrichtungen wollen die Koalitionspartner von Geldzahlungen auf Sachleistungen umstellen. Darauf hatte vor allem die bayerische CSU gedrängt. "Die Gewährung von Barleistungen ist gerade auch ein Anreiz, nach Deutschland zu kommen, weil viele andere Länder, auch in Europa, dieses so nicht haben", argumentiert die Chefin der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt. Solche "Fehlanreize" dürfe es nicht länger geben.

Mehr sichere Herkunftsstaaten

Die Liste der sogenannten "sicheren Herkunftsländer" soll um die Balkan-Staaten Albanien, Kosovo und Montenegro erweitert werden. Asylbewerber aus den westlichen Balkanländern sollen in Deutschland grundsätzlich in Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben müssen, wo mit Unterstützung des Bundes 150.000 winterfeste Plätze eingerichtet werden sollen. Die Höchstverweildauer für Flüchtlinge dort soll von drei auf sechs Monate verlängert werden. Solange soll auch wieder eine Residenzpflicht gelten.

Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wird, sollen in Zukunft schneller in ihre Heimatländer abgeschoben werden. "Wer vollziehbar ausreisepflichtig ist, muss unser Land auch verlassen", so die Bundeskanzlerin, die zudem ankündigte, dass Sozialleistungen für "vollziehbar Ausreisepflichtige" reduziert werden sollen. Im Gegenzug plant die Bundesregierung allerdings so etwas wie ein "Mini-Einwanderungsgesetz" für Menschen aus sechs Balkan-Staaten. "Wer einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz nachweisen kann, soll auch aus diesen Staaten bei uns arbeiten können", sagt die Kanzlerin.

Ein Polizist jagt einen Flüchtling mit erhobenem Knüppel (Foto: Reuters/S. Nenov)
Flüchtlinge im mazedonischen Gevgelija: Europa, ein Kontinent der gemeinsamen Werte?Bild: Reuters/S. Nenov

Merkel macht Druck auf die übrigen EU-Staaten

Bei der Bundespolizei wollen Union und SPD zusätzlich 3.000 Stellen schaffen. Der Bundesfreiwilligendienst, in dem sich Menschen für soziale Zwecke engagieren, soll bis zu 10.000 zusätzliche Stellen bekommen. Ein Beschleunigungsgesetz soll den Bau von Flüchtlingsunterkünften vorantreiben, auch unter Verzicht auf bislang geltende Standards. Wegen des steigenden Bedarfs an Wohnraum will die Koalition zudem sozialen Wohnungsbau verstärkt fördern. Angela Merkel spricht von einem "Gesamtkonzept für die Herausforderungen, die vor uns stehen" und kündigt an, dass die Gesetzesänderungen noch im Oktober Bundestag und Bundesrat passieren sollen.

In der Länderkammer ist die Zustimmung allerdings von den Grünen abhängig, die unter anderem gegen eine Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten sind. Parteichefin Simone Peter will die von der Bundesregierung getroffenen Maßnahmen jetzt "in Ruhe anschauen und prüfen", schließt aber eine Zustimmung nicht aus. "Wenn das vor allem Symbolpolitik ist, dann ist das mit uns nicht zu machen. Wenn es wirklich hilft, Flüchtlinge unterzubringen und gut zu versorgen, dann sind wir mit dabei."

Wie geht Europa mit seinen Flüchtlingen um?

Bis zu zehn Milliarden Euro könnten die geplanten Maßnahmen im kommenden Jahr kosten. "Wir wissen, dass wir schnell waren, als es darum ging, Banken zu retten", formuliert die Kanzlerin. "Ich finde, wir müssen genauso schnell sein, wenn es darum geht, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um diese Herausforderung zu bewältigen."

Mit Nachdruck fordert Merkel aber auch Solidarität innerhalb der Europäischen Union ein. Es müsse eine faire Verteilung innerhalb der EU geben. "Das eilt, das drängt. Deutschland ist ein aufnahmebereites Land, aber Flüchtlinge können in allen EU-Staaten so aufgenommen werden, dass sie Schutz vor Verfolgung und Bürgerkrieg finden können."

Nicht nur Deutschland, Österreich und Schweden

Merkel lässt keinen Zweifel daran, dass sie in dieser Frage nicht nachgeben wird. Sie halte zwar nichts davon, sich gegenseitig an den Pranger zu stellen, aber: "Manch einer sagt, er hat damit wenig zutun. Das wird auf Dauer nicht tragen." Sonst könnten in der EU auch "andere Gedanken" aufkommen, sagte Merkel auf die Frage, ob Zwangsmaßnahmen gegen widerspenstige Staaten denkbar seien.

"Na klar schaffen wir es, in diesem Jahr 800.000 Flüchtlinge aufzunehmen, unterzubringen und auch zu integrieren", ergänzt Sigmar Gabriel. Deutschland sei schließlich ein wirtschaftlich starkes Land. "Genauso klar ist aber auch, dass sich das nicht auf Dauer jedes Jahr wiederholen kann." Die EU brauche eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik und müsse zudem etwas dafür tun, damit der Zustrom aus den Krisengebieten nicht weiter so dramatisch anwachse, wie das in den letzten Tagen und Wochen der Fall gewesen sei.

Flüchtlingsunterkunft in Ebeleben mit ausgebrannten Dachstühlen
Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte: Nicht jeder in Deutschland ist bereit für die HerausforderungBild: picture-alliance/dpa/S. Kahnert

Enttäuschungen vorbeugen

Die Herausforderungen in der Flüchtlingskrise sieht Gabriel mit "Zuversicht und Realismus". Zuversichtlich sei er, weil momentan so viele Bürger jeden Tag zeigen würden, "wie großartig und wie solidarisch sie versuchen, Menschen in Not zu helfen." Der öffentliche Dienst lege eine Arbeits- und Einsatzbereitschaft an den Tag, die jedes Vorurteil gegen diesen Berufsstand widerlege. "Die Bürger haben mit ihrer Begrüßung ein Bild von Deutschland gezeichnet, das uns ein Stück weit auch stolz machen kann auf unser Land", sagt die Kanzlerin und Gabriel stimmt ihr ausdrücklich zu.

Trotz allem Stolz warnen die Politiker aber davor, die Augen vor dem zu verschließen, was in den kommenden Monaten auf Deutschland zukommen wird. Es werde Konflikte geben, die Gesellschaft werde schon durch die schiere Zahl der Flüchtlinge und durch die Vielzahl der Aufgaben herausgefordert. "Je offener man darüber spricht, dass es auch Menschen gibt, die Sorgen haben, dass es Ängste im Land gibt, dass wir auch Konflikte haben können, das wird uns helfen, von Anfang an realistisch damit umzugehen und auch Enttäuschungen zu vermeiden", sagt Sigmar Gabriel.