Assad am Abgrund?
15. Juni 2015Rund 50 US-Dollar erhalten einfache Soldaten der syrischen Armee im Moment. Jetzt hat ihnen Premierminister Wael Nader al-Halki ein Angebot gemacht: Entschließen sie sich, ganz vorne an der Front gegen die bewaffnete Opposition zu kämpfen, legt ihnen die Regierung noch einmal rund 37 weitere US-Dollar drauf. Und sie bekommen täglich eine warme Mahlzeit.
Zahlreiche Indizien deuten darauf hin, dass dem Assad-Regime militärisch die Kräfte ausgehen. Im März fiel die im Nordwesten gelegene Stadt Idlib an die bewaffnete Opposition, im Mai eroberte die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) die im Zentrum des Landes gelegene Wüstenstadt Palmyra. Inzwischen beherrscht der IS über die Hälfte des syrischen Territoriums. Auch kontrolliert er sämtliche Grenzen des Landes; einzige Ausnahme ist die zum Libanon. Das aber vermag er nur mit Hilfe der schiitischen, von Iran gesteuerten und finanzierten Hisbollah-Miliz. Agenturberichten zufolge kämpfen auch irakische, afghanische und iranische Milizen an der Seite des Assad-Regimes.
US-Botschaft in Damaskus twittert gegen Assad
Die große Frage ist allerdings, gegen wen Assads Truppen genau kämpfen. Die staatliche syrische Nachrichtenagentur SANA hatte zuletzt bekannt gegeben, die Truppen hätten bei Aleppo mehrere IS-Kämpfer getötet und ihre Ausrüstung zerstört. Zugleich aber trat die amerikanische Botschaft in Damaskus mit einer ganz anderen Nachricht an die Öffentlichkeit. Über ihren offiziellen Twitter-Account erklärte sie, das syrische Militär hätte IS-Kämpfern den Weg nach Aleppo freigebombt. "Die Koalitionspartner bemerken die kontinuierliche Verschlechterung der Lage in Syrien sowie die Unfähigkeit und den Unwillen des Assad-Regimes, den IS zu bekämpfen", twitterten Botschaftsangehörige am 2. Juni dieses Jahres. Am Tag zuvor hatten sie das Regime noch schärfer kritisiert: "Wie wir seit langem sagen, hat Bascaer al-Assad seine Legitimität seit langem verloren und wird niemals ein effektiver Partner im Kampf gegen den Terrorismus sein."
Dass die USA ausgerechnet den Kurznachrichtendienst Twitter nutzen, um auf Distanz zum Assad-Regime zu gehen, ist ein deutlicher Hinweis darauf, wie wenig sie diesem noch zutrauen – militärisch ebenso wie ethisch. Deutlich verurteilte die Botschaft darum auch den dauernden Einsatz von Fassbomben in vom IS besetzten Gebieten. Diese töten nicht nur IS-Kämpfer, sondern auch Zivilisten. "Tatsache ist, dass es für den IS kein besseres Rekrutierungs-Instrument gibt als die Brutalität des Assad-Regimes", twitterte die Botschaft am 1. Juni.
Luftschläge der USA
Offenbar auch aus diesem Grund setzen die USA seit einigen Tagen verstärkt auf eigene Luftschläge gegen den IS. In ihren jüngsten Twitter-Mitteilungen berichtet die Botschaft von zahlreichen, ihren Angaben nach erfolgreichen Einsätzen.
Diese Schläge, berichtet die Zeitung "Sharq al-Awsat", hätten noch eine weitere Wirkung: Sie stützen die übrigen Aufständischen. "Zum ersten Mal haben die US-geführten Luftschläge direkt die anderen Rebellengruppen in Syrien unterstützt, unter anderem auch die Al-Kaida verbundene Nusra-Front."
Chancen für die Politik
In dieser Lage sehen westliche Diplomaten eine Gelegenheit, auch wieder mit politischen Mitteln in den seit über vier Jahren dauernden Krieg in Syrien einzugreifen. Im Umfeld des G-7-Gipfels in Elmau zitierte die Nachrichtenagentur Reuters einen auf Anonymität bestehenden Diplomaten, Assad befinde sich "seit den Rückschlägen, die seine Armee hinnehmen musste, mehr und mehr in der Defensive." Damit, zitiert Reuters einen weiteren Diplomaten, öffne sich ein "Fenster der Gelegenheit".
Wann und auf Grundlage welcher Koalitionen der Kampf gegen den IS zukünftig geführt werden könnte, scheint derzeit allerdings noch unklar. Nun, da das Assad-Regime immer schwächer werde, müsste dessen Schutzmacht Iran ein Interesse daran haben, sich auf Gespräche mit der internationalen Assad-Koalition einzulassen, vermutet die große arabische Tageszeitung "Al Hayat". Auch Russland könnte sich angesichts von Assads Schwäche von diesem abwenden.
Dschihadisten an der Macht?
Fällt das Assad-Regime als Partner im Kampf gegen den IS weg, rücken andere Kräfte in den Vordergrund. Doch welche könnten das sein? "Al Hayat" – das Blatt wird von einem saudischen Finanzier unterhalten – setzt auf die Al-Nusra-Front. "Man könnte sich darauf einigen, die Nusra-Front von ihrem nicht mehr als Terror-Organisation zu bezeichnen, sie militärisch zu unterstützen und ihr zu erlauben, zugleich gegen das Regime und den IS zu kämpfen".
Das von einem saudischen Finanzier unterhaltene Blatt verzichtet allerdings darauf, sich mit den politischen Konsequenzen einer solchen Abmachung zu beschäftigen. Käme sie zustande, dürfte sie für das künftige Syrien weitreichende Folgen haben. Denn die Dschihadisten würden für ihr Engagement einen entsprechenden Preis fordern. Aller Wahrscheinlichkeit nach wäre das eine Beteiligung an der künftigen Regierung. Statt von einem laizistischen Diktator vom Schlage Assad würde das Land dann von Al-Kaida verbundenen Politikern regiert.
Noch ist es nicht so weit. Fest steht: Nach der militärischen scheint nun auch die publizistische Schlacht um die Zukunft Syriens eröffnet.