"Erstschlag Nordkoreas unwahrscheinlich"
11. April 2017DW: Kim Jong-un hat gesagt, er wolle nicht so enden wie Saddam Hussein oder Muammar al Gaddafi - inwieweit deutet das darauf hin, dass Nordkorea dieses Mal nicht mehr abwartet, wie sich die Amerikaner vor Ort verhalten werden, sondern dass Nordkorea einen Erstschlag in Erwägung zieht ?
Rüdiger Frank: Einen Erstschlag Nordkoreas halte ich für absolut unwahrscheinlich. Das wäre Selbstmord, egal unter welchen Voraussetzungen. Was diesmal allerdings anders ist, ist das Verhalten der Amerikaner, das man seit dem Luftschlag auf Syrien nicht mehr so genau vorhersagen kann. Bis jetzt gab es ja eine Garantie dafür, dass es auch die Amerikaner bei Drohgebärden belassen würden. Da kann sich niemand mehr sicher sein. Im übrigen auch nicht die Nordkoreaner. Die wissen auch nicht, wie sie die Amerikaner jetzt einschätzen müssen.
Erst der Besuch von Chinas Staatspräsident Xi Jinping bei Trump, jetzt die US-Militärpräsenz bei Nordkorea - inwieweit könnte sich dahinter verbergen, dass China den USA gegenüber Zugeständnisse oder Zusagen gemacht hat, wie es sich künftig gegenüber Nordkorea verhält? Und: Könnte das die USA erst dazu ermuntert haben, einen Flugzeugträgerverband in Richtung Korea zu schicken?
Es wäre fatal, wenn Xi Jinping Herrn Trump gegenüber solche Signale gesendet hätte. Ernst gemeint hätte er sie garantiert nicht. Denn China hat enorm viel zu verlieren, wenn es zum Konflikt auf der koreanischen Halbinsel kommt. Sowohl was das militärische Risiko angeht, als auch das wirtschaftliche. Und natürlich der politische Schaden: China möchte sich in Nordostasien als starke Regionalmacht präsentieren. Ich halte es also für sehr unwahrscheinlich, dass China einer härteren Linie bis zu einem Militärschlag zugestimmt hat.
Es heißt der wahre Grund, dass Trump jetzt den Kampfverband mit einem Flugzeugträger entsendet, sei dem Umstand geschuldet, dass ein sechster Atomwaffentest in Vorbereitung ist. Für wie wahrscheinlich halten Sie das?
Ich bin überzeugt davon, dass es einen sechsten Atomwaffentest geben wird. Ich kann natürlich nicht sagen, wann. Ich bin mir aber sicher, dass es auch noch einen siebten und einen achten gibt. Nordkorea hat verkündet, dass es die Absicht hat, Atomwaffen zu entwickeln. Man arbeitet sich da stückweise vor. Wir wissen, wie viele Tests es bei den Amerikanern und Russen gebraucht hat, bis sie soweit waren. So gesehen ist Nordkorea noch am Anfang des Weges.
Wie schätzen Sie Nordkorea generell ein - aggressiv, unberechenbar und angriffslustig oder wirklich nur defensiv und so verängstigt, dass Kim Jong-Un sein Waffenarsenal nur zur Verteidigung braucht?
Nach allem, was wir in den letzten zwei Jahrzehnten erlebt haben, kann man schon davon ausgehen, dass das Atomprogramm Nordkoreas primär defensiven Zwecken dient. Nordkorea hat höchstens ein Interesse daran, irgendwann mal Korea wieder zu vereinigen - möglicherweise mit militärischen Mitteln -, das hat man 1950 schon mal versucht. In Pjönjang ist man aber realistisch genug, um zu wissen, das das Ganze nicht funktionieren wird. Also primär geht es darum, sich vor den Amerikanern zu schützen, sie davon abzuhalten, ähnliche Aktionen zu probieren wie im Irak, in Libyen oder jetzt in Syrien. Deswegen glaube ich auch, dass man mit den Nordkoreanern über das Atomprogramm reden kann, wenn man es schafft, ihnen alternative Sicherheitsmechanismen anzubieten, die eine ähnliche Funktion ausüben würden wie dieses Atomwaffenprogramm. Die USA haben Nordkorea immer Gespräche angeboten als "Belohnung", wenn sie ihr Atomprogramm abbauen. Auf diese Reihenfolge geht Nordkorea natürlich nicht ein.
Warum probiert man dann nicht einen anderen Ansatz der Verhandlungen zum Atom-Konflikt mit Nordkorea?
Viele Parteien haben kein Interesse an einer Lösung dieses Konflikts - weil viele von ihm profitieren! Die Amerikaner können ihre Militärpräsenz in Ostasien und auf der koreanischen Halbinsel damit begründen, dass es Nordkorea gibt. Japan kann sein Militär aufrüsten. Man kann einen Verteidigungsring in Richtung China aufbauen, indem man sagt, das habe nichts mit China zu tun, sondern das richtet sich gegen Nordkorea. Darüber spricht natürlich niemand, aber deshalb ist es auch kein Wunder, dass es bisher zu keiner Lösung gekommen ist.
Inwieweit könnte ein klares militärisches Signal der USA wie in Syrien jetzt Nordkorea und seine Machthaber-Familie wirklich ins Wanken bringen ?
Auf keinen Fall. Ganz im Gegenteil. Es gibt in Nordkorea keine Opposition. Das Land steht hinter der Familie Kim. Der Familie wird nachgesagt, sie hätten das Land von den Japanern befreit und gegen die Amerikaner verteidigt. Wenn Amerika nochmals eine Militäraktion starten würde, wäre das die Bestätigung für diese Geschichte. Man würde das Regime eher noch stärken.
Was ist eigentlich gefährlicher für Nordkorea - die militärische Präsenz der USA oder der Abbruch bzw. die Einschränkung der Handelsbeziehungen zwischen China und Nordkorea ?
Ich glaube schon, dass die militärische Bedrohung durch die Amerikaner groß ist. Die nordkoreanische Wirtschaft ist aber seit Jahrzehnten auf Autarkie ausgerichtet. Chinas Rolle ist anders erwähnenswert.
China ist das Land, das deutlich näher an Nordkorea gelegen ist. Das heißt, die Chinesen verstehen viel besser, wie dort die innenpolitischen Verhältnisse sind. Und China ist ein sozialistisches Land wie Nordkorea, das es aber geschafft hat, sich marktwirtschaftlich zu reformieren. Chinas Beispiel ist etwas, das Nordkoreas Gesellschaft tagtäglich erlebt. Und dieses Beispiel untergräbt die Jahrzehnte der einseitigen Diktatur, die es in Nordkorea gegeben hat. Nordkorea hat bereits begonnen, sich zu verändern. Vorsichtig aber in Richtung eines graduellen Wandels. Die Impulse dafür kommen alle aus China. Das heißt, wenn es einmal einen Wechsel des Regimes in Nordkorea geben wird - und zwar einen friedlichen - dann wird das das Verdienst der Chinesen sein. Nordkorea wehrt sich dagegen mit Händen und Füßen.
Rüdiger Frank studierte Koreanistik und ist Vorstand des Instituts für Ostasienwissenschaft an der Universität Wien. Er kennt beide koreanischen Staaten und besucht diese regelmäßig. Zudem war er Mitglied von EU-Delegationen.
Das Gespräch führte Wolfgang Dick.