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Asbest: Krebsgefahr in jeder Wand

2. Juni 2020

Asbest ist gefährlich – das weiß jeder. Aber viele ahnen nicht, wo die Gefahr lauern kann: Zuhause. In jeder Wand, hinter jeder Kachel können die tödlichen Fasern stecken. Deshalb gibt es jetzt eine neue UBA-Leitlinie.

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Handwerker bei der Kernsanierung eines Hauses mit viel Staub
Bild: Imago

Asbestsanierung – das ist doch etwas für öffentliche Gebäude aus den 1970er Jahren? Stimmt! Aber bei weitem nicht nur. Die Wahrheit ist: Asbestfasern können sich auch an ungeahnten Orten verstecken - an denen sie außerdem kaum zu erkennen sind.

Anfang November 2018 hat der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) deshalb eine neue, strengere Sanierungsrichtlinie verabschiedet. Sie sieht vor, dass Firmen bei Verdachtsfällen Baumaterialien immer auf Asbest beproben müssen. Das soll die Arbeiter schützen, aber auch verhindern, dass asbestbelasteter Bauschutt unerkannt in Recycling-Kreisläufe und damit in neue Baumaterialien zurückgelangt.

Für Bauherren hat das Umweltbundesamt im April 2020 eine Leitlinie  veröffentlicht, wie bei der Asbesterkundung und bei der Vorbereitung von Arbeiten in älteren Gebäuden zu verfahren ist. 

Vorsicht beim Renovieren  

Schon bei einer einfachen Renovierung im Eigenheim können ganz schnell gefährliche Faserkonzentrationen in die Atemluft gelangen. Darf's ein neues Fenster sein? Soll das Bad saniert werden? Sind Elektroleitungen zu verlegen? Soll neues Parkett ins Zimmer? Grundsätzlich gilt: Besser erstmal über Asbest nachdenken!

"Jeder Fachmann kennt Wellasbestplatten, wie sie auf etlichen Dacheindeckungen auch heute noch zu finden sind. Die sind für jeden auch nur halbwegs Geschulten einwandfrei zu identifizieren", sagt Frank Jansen vom VDI. So einfach ist es allerdings nicht immer.

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Putze, Fliesenkleber, Spachtelmassen

Denn wer ahnt schon, dass sich der Asbest auch im Fliesenkleber unter den alten Kacheln im Bad verstecken kann, im Putz an der Wand, in den ausgespachtelten Fugen an der Gipskarton-Decke oder im und unter dem alten Fußbodenbelag? Leider kaum jemand – nicht einmal viele Facharbeiter, gibt der Bauingenieur Jansen zu bedenken.

Erst vor gut zehn Jahren ist die Fachwelt darauf aufmerksam geworden, dass in vielen Fliesenklebern, Spachtelmassen und Putzen über Jahrzehnte auch Asbestfasern beigemischt waren.

Die machen dort zwar nur einen geringen Anteil aus. Bearbeitet allerdings jemand eine solche Wand mit der Schleifmaschine – etwa um neue Kacheln zu verlegen - gelangen die Fasern in lebensgefährlich hoher Konzentration in die Luft.

Der Staub, der bei solchen Arbeiten entsteht, ist so fein, dass er alles durchdringt. Sind darin Asbestfasern enthalten, reicht bereits ein geringer Prozentsatz aus, um die Lunge schwer zu schädigen.

Viele Handwerker kennen die Gefahr nicht

Auch Jansen, der 2015 mit dem VDI und dem Gesamtverband Schadstoffsanierung ein Diskussionspapier zu dem Problem veröffentlicht hat, war das Ausmaß der Asbestverseuchung zunächst gar nicht bewusst: "Ich habe vor dem Studium eine Lehre als Fliesenleger gemacht. Als ich dann durch meine Arbeit beim VDI mit dem Thema in Berührung kam, habe ich erst mal gedacht: Au weia!" 

Die Gefahr kann grundsätzlich in jedem Gebäude stecken, das vor der Jahrtausendwende errichtet wurde. "Zudem gibt es kein Haus bei dem nicht mal irgendwo irgendetwas ausgebessert worden ist", gibt Jansen zu bedenken. Die Erkenntnisse des Diskussionspapieres sind nun auch in die neue Richtlinie eingeflossen. 

Zwar wurde asbestbedingter Lungenkrebs schon 1942 in Deutschland als Berufskrankheit anerkannt, doch erst 1995 wurde der Stoff in Deutschland und 2005 europaweit verboten. Deshalb hat es auch so lange gedauert, bis die Fachwelt auf die weniger sichtbaren Asbest-Baustoffe aufmerksam wurde.

Noch Jahrzehnte später tödlich

"Die Arbeitsschützer haben sich zuerst das Asbest angeschaut, das offensichtlich und besonders häufig in Baumaterialien oder anderen Produkten verwendet worden ist", erinnert sich Thomas Kuhlbusch, Gruppenleiter der Fachgruppe Gefahrstoffmanagement an der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.

"Das waren Eternitplatten, Fassadenverkleidungen, Dächer, die mit Asbeststoffen gebaut worden sind und auch Brandschutzpappen und -textilien. Weniger im Vordergrund standen anfangs Produkte, in denen nur geringe Mengen Asbest verarbeitet wurden oder in denen der Asbest überhaupt nicht sichtbar war."

Indien Arbeiter decken Hausdach mit Asbest
In Europa ist Asbest seit 2005 verboten. Vor allem in Asien wird der Stoff indes noch heute viel genutzt. Bild: CC-BY-Biswarup Ganguly

Meist dauert es sehr lange, bis Arbeiter, die Asbeststäuben ausgesetzt waren, daran erkranken. "Wir haben jetzt Todesfälle durch Asbest von Menschen, die vor 40 Jahren dem Stoff ausgesetzt waren", sagt Kuhlbusch. Die winzigen Fasern überdauern sehr lange in den Lungenbläschen. Sie werden nicht abgebaut und können noch nach Jahrzehnten Entzündungen hervorrufen. "Asbest ist nach wie vor eine häufige Ursache für berufsbedingten Krankheiten und Todesfälle", sagt Kuhlbusch.

Als Handwerker, Mieter oder Immobilienbesitzer sei es vor allem wichtig zu wissen, wie man Asbest erkennt und mit ihm umgeht, sagt der Chemiker Kuhlbusch. Das Problem zu dramatisieren helfe nicht weiter. 

Wie hoch ist die Hintergrundbelastung wirklich? 

Asbest kommt als Mineralstoff natürlich in der Umwelt vor und lässt sich überall in der Luft nachweisen. "Untersuchungen zeigen, dass 75 bis 130 Fasern pro Kubikmeter Luft vorhanden sind", erklärt Kuhlbusch. Diese Fasern atmen wir alle ständig ein. Aber deshalb bekommt noch lange nicht jeder Lungenkrebs.

Stephan Baumann, Schadstoffexperte der Firma BAFOB aus der Schweiz äußert hingegen Zweifel an der angenommenen natürlichen Hintergrundbelastung. Er betont, dass Messungen, die seine Firma nach abgeschlossenen Asbestsanierungen in der Schweiz durchführt, keine so hohen Hintergrundbelastungen zeigen. "Circa 90- 95 Prozent der Messungen sind ganz ohne Faser", schreibt uns der Toxikologe und Bauphysiker. Bei der angewandten Messmethode entspricht eine gefundene Faser einer Belastung von 85 Fasern pro Kubikmeter Luft. 

Es ist möglich, dass eine gemessene Hintergrundbelastung in der Außenluft auch vom Auto- und Zugverkehr herrührt. Bis in die späten 1980er Jahre enthielten Bremsbeläge hohe Asbestanteile zwischen 50 und 90 Prozent. Gerade an Kreuzungen, wo viele Autos abbremsen, waren daher früher hohe Faserkonzentrationen messbar. Zwar sind asbesthaltige Bremsbeläge in der EU heute verboten, es ist aber nicht auszuschließen, dass vereinzelt immer noch verbotene Bremsbeläge auf dem Markt sind. 

Kein Grund zur Panik

Es heißt zwar, dass bereits eine einzige Asbestfaser ausreicht, um Krebs auszulösen. Das heißt aber nicht, dass jede eingeatmete Faser zwangsläufig zu Krebs führt.

Kuhlbusch vergleicht es mit einer riesigen Wand, in der eine dünne Wasserleitung verläuft: "Wenn ich einen Nagel in die Wand haue: Mit welcher Wahrscheinlichkeit treffe ich dann die Wasserleitung?"

Das Krebsrisiko steigt natürlich mit der Konzentration der Fasern in der Luft und auch mit der Länge des Zeitraums, über den jemand dem Stoff ausgesetzt ist. 

Das bedeutet: Eine geringe Exposition bedeutet zwar noch kein Todesurteil. Je weniger man aber mit Asbest in Berührung kommt, desto besser. Wer ihn erkennt, kann ihn gut vermeiden. Und mit den richtigen Maßnahmen - etwa der Nutzung von Geräten, die den gefährlichen Staub einsaugen - lässt sich das Risiko wirksam verringern. 

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel wurde seit seiner Erstveröffentlichung aufgrund der Veröffentlichung neuer Richt- und Leitlinien mehrfach aktualisiert. 

Schmidt Fabian Kommentarbild App
Fabian Schmidt Wissenschaftsredakteur mit Blick auf Technik und Erfindungen